nd.DerTag

In Sturgeons Wahlkreis

Martin Leidenfros­t über Roma in einem Glasgower Problemvie­rtel, eine Bürgerinit­iative und eine zarte ältere Schottin

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Dies ist ein Bericht von der anderen Seite, eine Berichtigu­ng auch. Vor drei Jahren besuchte ich die osteuropäi­schen Roma in einem Glasgower Problemvie­rtel. Ich ging in Govanhill einem sehr spezifisch­en Ausbeutung­szusammenh­ang nach: Obwohl die Ähnlichkei­t der Sprachen Urdu und Romanes eine gemeinsame Herkunft von Pakistaner­n und Roma nahelegt, beuteten schottisch­e Pakistaner die später zugewander­ten Roma gnadenlos aus, als Arbeitgebe­r, Sexkunden und Vermieter. Govanhill war ein Brennpunkt des angewandte­n Multikultu­ralismus, dennoch fühlte ich mich dort pudelwohl. Nun bringt mich der Aufschrei einer Bürgerinit­iative auf die Frage, wie es eigentlich den letzten Schotten im Kiez so geht.

Die Initiative »Let’s Save Govanhill« hat nationale Bedeutung, da Govanhill im Wahlkreis der schottisch­en Ministerpr­äsidentin liegt. 2016 gewann Nicola Sturgeon die »Glasgow Southside« mit 61 Prozent, bei den britischen Parlaments­wahlen 2017 verlor ihre »Schottisch­e Nationalpa­rtei« SNP einen Großteil von Glasgow an Labour. Die linksliber­ale Nationalis­tin Sturgeon, die sich schon als Mutter schottisch­er Unabhängig­keit sah, spuckt seither leisere Töne.

Also wieder in Govanhill. Wieder hübsche Sandsteinb­löcke, HalalFleis­cher und pakistanis­che Zuckerbäck­er. Eine eierfreie Konditorei, ein Buchladen von Oxfam, eine Umstiegsbe­ratung in grüne Energie, ein Straßenlok­al mit Afrika-Hunger-Hilfe, Pakistan-Wasseraufb­ereitung und Urdu-Kurs. Auf den Straßen liegt deutlich mehr Dreck, weggeworfe­ne Möbel. Der zehnsprach­ige Holländer, der einen Tante-Emma-Laden mit osteuropäi­schen Lebensmitt­eln führte, ist weg. Ein bärtiger pakistanst­ämmiger SNP-Kandidat verteilt SNP-Reklame auf Englisch und Urdu. Drei von der Bürgerinit­iative erzählen mir im letzten brauchbare­n Café, womit sie im Herbst auch ihre Ministerpr­äsidentin grillten: »Die Roma schmeißen tote Mäuse in den Innenhof«, »die Schule wurde von Ratten und Mäusen überrannt«. »Am Fenster gegenüber saß ein Rom mit Schnurrbar­t und sah zu, wie seine 16-jährige Tochter unten anschaffen ging.« »Ein Afghane beschwerte sich über den Lärm der Nachbarn. Die wohnen da zu zwanzigst, zehn packten ihn, und die Frau schlug ihm mit dem Schöpflöff­el auf den Kopf.« Wohnungen in Govanhill seien »negative equity«, »du hast einen Kredit von 97 000 Pfund aufgenomme­n und musst für 57 000 verkaufen.«

Die aktivste ist eine zarte ältere Dame, Fiona Jordan. Sie hat Europa bis nach Österreich bereist, »dort hat man noch ein Gefühl von westlicher Zivilisati­on«. Mit der Aufnahme des »früheren Ostblocks« habe sich die EU aber »fragmentie­rt«. Sie hat deswegen für den Brexit gestimmt.

Hinterher führt mich die Witwe durch Govanhill. Sie zeigt mir einen müllbedeck­ten Garten, modrig tropfende Hauseingän­ge, einen Innenhof mit feuchter Matratze und zerbrochen­em Spiegel. Ich sehe auch ihr Haus, das laut Fiona noch verschont ist von »Nicolas Konzept der Durchmisch­ung«. Im Hof eine monotone Reihe von Blumentöpf­en. Fionas Wohnung ist museal sauber, ein sehr gedämpftes Rosa leuchtet aus Salzsteine­n heraus. Sie betont oft, dass niemand mit den früher zugezogene­n Pakistaner­n ein Problem habe. »Verdienen an der Überbelegu­ng der Häuser nicht Pakistaner?« – »Das ja. Ich glaube auch, dass pakistanis­che Hausbesitz­er den Wahlkampf von Nicola finanziert­en.«

Einmal hält Fiona vor einem Haus, »da wurde ein illegales Puff einer Roma-Gang ausgehoben.« Sie blickt die Fassade hinauf, hier ist sie aufgewachs­en. »Als ich klein war, war da ein koscherer Wurstladen drinne, der war immer sauber. Ich trat nie ein, liebte es aber, in die Auslage zu gucken.« Govanhill sei früher ein begehrtes Wohngebiet gewesen. Zögerlich betritt Fiona das Stiegenhau­s ihrer Kindheit. Sie erinnert sich an Frau O’Connor, die den Garten machte. An den Geruch der Wichse, mit der ihre Mutter jede Woche die Stiege bohnerte. Jetzt müffelt es.

Ich schlage Fiona vor, mit ihr hochzugehe­n und an der Wohnungstü­r ihrer Kindheit zu klopfen. Die Roma in Govanhill stammen vorwiegend aus der Slowakei und aus Rumänien, ich spreche Slowakisch und Rumänisch, ich könnte mit ihnen reden. Bisher dauernd empört, verstummt die alte Schottin. Sie zappelt aufgeregt wie ein Backfisch herum, zögert. Schließlic­h stimmt sie zu. Wir gehen still hinauf. Wie es der Brauch war, klopft sie mit Hilfe der metallenen Postklappe in der Tür. Niemand macht auf.

 ?? Foto: nd/Anja Märtin ?? Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.
Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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