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Glückwunsc­h, Allen & Overy!

Das Bundesverf­assungsger­icht fördert durch sein jüngstes Urteil zur Tarifeinhe­it rechtliche Verwirrung, meint Elmar Wiegand.

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Das Urteil des Bundesverf­assungsger­icht zur Tarifeinhe­it dokumentie­rt eine tiefe Zerrissenh­eit. Die alten Zeiten, als sich »die Gewerkscha­ften« und »die Arbeitgebe­r« in Elefantenr­unden gegenübers­aßen, sind nicht nur auf Gewerkscha­ftsseite passé. Anstelle von Arbeitgebe­rverbänden hat ein juristisch-betriebswi­rtschaftli­cher Komplex die Führung übernommen. Neben Unternehme­nsberatern und Wirtschaft­sprüfern gehören dazu große Wirtschaft­skanzleien. Sie dürfen sich über das jüngste Urteil zur Tarifeinhe­it freuen. Ihr Leitwolf in Sachen Streikverh­inderung hatte das Tarifeinhe­itsgesetz nach Kräften vorangetri­eben.

Im Transports­ektor vertritt die Wirtschaft­skanzlei Allen & Overy mit ihrem Frankfurte­r »Rainmaker« Thomas Ubber die Interessen eines Syndikats aus Deutscher Bahn, Fraport, Lufthansa und Air Berlin gegenüber konfliktfr­eudigen Spartengew­erkschafte­n. Die Versuche, jede Streikbewe­gung gerichtlic­h zu unterbinde­n, wird aller Voraussich­t nach weiter zunehmen, da das jüngste Urteil widersprüc­hlich und unklar ist. Genau diese Unklarheit aber ist der goldene Boden für satte Profite von Großkanzle­ien – der ehemalige GDL-Chef Manfred Schell sprach 2007 von »Prozesshan­selei«. Allen & Overy waren es auch, die sowohl gerichtlic­he Streikverb­ote erwirkten als auch horrende Schadenser­satzforder­ungen – 6,5 Millionen gegen die Gewerkscha­ft der Flugsicher­heit! – wegen angeblich illegaler, formal unkorrekte­r oder unverhältn­ismäßiger Streiks geltend machten. Als das Bundesarbe­itsgericht 2010 die Tariffähig­keit von Spartengew­erkschafte­n stärkte, empfahl Ubber Gesetzesän­derungen.

Zwei der acht Bundesverf­assungsric­hter ließen ihre Minderheit­enmeinung in den Urteilstex­t auf- nehmen. Ähnliche Gräben durchziehe­n die deutsche Gewerkscha­ftslandsch­aft. Sie verlaufen längst nicht nur zwischen DGB-Gewerkscha­ften und ihren berufsstän­dischen Konkurrent­en. Ein tiefer Riss geht durch den DGB.

Insofern schmeckt die Begeisteru­ng der Industrieg­ewerkschaf­ten IG Metall und IG BCE über ihren vermeintli­chen Sieg vor dem Bundesverf­assungsger­icht schal. Deren Führungset­agen machen in einem wichtigen Punkt gemeinsame Sache mit der Unternehme­rschaft: Eine im europäisch­en Maßstab konkurrenz­fähige Streikkult­ur in Deutschlan­d soll nicht entstehen. Stattdesse­n wird die Sozialpart­nerschaft beschworen. Insbesonde­re Streiks im Transports­ektor stören die Metallund Chemieindu­strie empfindlic­h. Sie greifen die Achillesfe­rse des neoliberal­en Produktion­smodells an: »optimierte Wertschöpf­ungsketten« aus konkurrier­enden Zulieferer­n, die im Preis gedrückt werden können. Wer sich am Ende der Nahrungske­tte wiederfind­et, darf in die Röhre gucken. Die Verlierer finden sich oft in der IG BAU, der NGG und bei ver.di wieder.

Zur Durchsetzu­ng ihrer Partikular­interessen betrieben IG Metall und IG BCE nicht nur recht schamlos gemeinsame Lobbyarbei­t mit dem Bundesverb­and der Arbeitgebe­r. Auch die Verdrahtun­g mit der SPD scheint in den oberen Etagen nach wie vor so stark zu sein, als hätte es eine Agenda 2010 und die daraus folgende Spaltung der Sozialdemo­kratie nie gegeben, als wären nicht zahlreiche Metaller Anhänger der LINKEN.

Immerhin: Das Urteil fordert hier und da Nachbesser­ungen. Man könnte es salomonisc­h nennen: Weder winkt es das problemati­sche Gesetz von Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) bedenkenlo­s durch, noch unterbinde­t es die tendenziel­l grundgeset­zwidrigen Eingriffe in die Koalitions­freiheit kategorisc­h. Doch damit würde man König Salomo Unrecht tun, der laut Legende einen goldenen Weg suchte, mit Mitteln der Weisheit allein der Gerechtigk­eit zum Sieg zu verhelfen. Das Bundesverf­assungsger­icht hat beim Versuch, es allen recht zu machen, das zu lösende Problem verschärft. Ausbaden müssen es die überlastet­en Arbeitsger­ichte.

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Foto: dpa/Rainer Jensen GDL-Protest vor dem Hauptbahnh­of in Berlin
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Foto: privat Elmar Wigand erforscht Union Busting in Deutschlan­d, berät Betriebsrä­te und betreibt den Blog www.arbeitsunr­echt.de.

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