Haftstrafe für Lula
Krise spitzt sich zu
Die Verurteilung in erster Instanz des früheren Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu neun Jahren Haft wegen Korruption und Geldwäsche ist keine gute Nachricht für Brasilien. Es ist nicht nur ein schwerer Schlag gegen die emblematischste Figur des südamerikanischen Giganten. Durch das Urteil spitzt sich die schlimme politische und institutionelle Krise zu, in der sich das Land befindet. Der Horizont sieht vor der nächsten für Oktober 2018 vorgesehenen Präsidentenwahl sehr kompliziert aus. Der derzeitige Präsident Michel Temer wurde wegen Korruption angeklagt. Vor diesem Hintergrund wollte Lula zur nationalen Rettung in die Politik zurückkehren. Dieses Projekt hängt nun in der Luft.
Neue Zürcher Zeitung, Schweiz Verweigerte Erneuerung
Lula ist noch immer beliebt, und das zu Recht. Millionen Arme hatte er zwischen 2003 und 2010 vom Elend befreit, er hat in Bildung und Hungerbekämpfung investiert wie kein Präsident zuvor. Das ist eine historische Leistung, die ihm niemand absprechen kann und die ihm bei jüngsten Umfragen immer noch dreißig Prozent Zustimmung bescherte. Die Anschuldigungen der Strafverfolgungsbehörden, dass der Ex-Präsident korrupt sei, verfangen bei seinen treuesten Wählern nicht. Denn korrupt sind in Brasilien schließlich nahezu alle Politiker, wie die seit drei Jahren laufenden Ermittlungen der »Operation Waschstraße« (Lava Jato) gezeigt haben. Doch bei all seinen Verdiensten – eine Option für eine Erneuerung Brasiliens ist der 71-jäh- rige Politiker nicht. Schon die Massendemonstrationen des Jahres 2013 hatten gezeigt, dass die Brasilianer ein neues Brasilien wollen, frei von politischem Klüngel und Postenschacher. Aber genau für diese traditionellen Übel steht auch Lula. Erfolgreich regieren konnte auch er nur, weil er sich im Kongress die erforderlichen Mehrheiten erkaufte, obwohl er doch mit dem Anspruch einer neuen politischen Ethik angetreten war. Brasilien steht jetzt ratlos vor einem Scherbenhaufen. Die politische Linke hat ihre Unschuld verloren, hat sich als genauso korrumpiert gezeigt wie die bürgerliche Elite. Weder das linke noch das rechte Lager hat derzeit eine Idee, wie es weitergehen soll, wie man die tiefe Sinnkrise überwinden kann, die das Land seit drei Jahren lähmt. Brasiliens Linke verweigert jedenfalls die überfällige Erneuerung und beharrt trotzig auf Lulas erneuter Kandidatur. Solange man sämtliche Anschuldigungen gegen ihn als Erfindungen der korrupten Presse und der parteiischen Justiz hinstellen kann, muss man sich nicht mit den eigenen Verfehlungen auseinandersetzen.
Der Standard, Österreich
In den Händen der Gerichte
Für Lulas Anwälte ist die Strategie klar: Sie müssen auf Zeit spielen. Wenige Stunden nach der Verkündung des Urteils zerpflückten sie es bereits. Sie kündigten an, wenn nötig sogar bis vor die Vereinten Nationen zu ziehen. Die Unterstützung der Volksmassen ist ihnen sicher. Im brasilianischen Machtpoker schlägt das Pendel derzeit für Richter Moro aus. Doch auch das könnte sich schnell ändern. Brasiliens Politik liegt in den Händen der Gerichte.