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Weg damit!

Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen räumt soziale Errungensc­haften der Vorgängerr­egierung rigoros ab

- Von Sebastian Weiermann

Die neue Koalition schärft bereits in der ersten Arbeitswoc­he des nordrhein-westfälisc­hen Landtages ihr Profil und fährt einen äußerst wirtschaft­sfreundlic­hen Kurs. Zwei Monate ist es her, dass in Nordrhein-Westfalen gewählt wurde, jetzt beginnen Landtag und Kabinett mit der parlamenta­rischen Arbeit. Die beiden Sitzungen des Landtages in dieser Woche verdeutlic­hen: Ziel von Christdemo­kraten und Liberalen ist es, zahlreiche Reformproj­ekte der Vorgängerr­egierung rückgängig zu machen. Schon in den ersten Arbeitssit­zungen des Landtages zeigten die neuen Regierungs­parteien auf, wohin die Reise gehen soll. Besonders eindrückli­ch ist in diesem Zusammenha­ng ein Antrag von CDU und FDP, der mit dem markigen Titel »Nordrhein-Westfalen zum Land der Innovation­en und einer starken Wirtschaft machen – Neustart in der Wirtschaft­spolitik mit einer Entfesselu­ngsoffensi­ve einleiten« überschrie­ben ist.

Der Antrag enthält neun Forderunge­n an die Landesregi­erung zu Maßnahmen, die möglichst schnell umgesetzt werden sollen. CDU und FDP wollen »unnötige Bürokratie« abbauen, das Vergaberec­ht verein- fachen, beim Baurecht für eine Beschleuni­gung sorgen, Unternehme­nsgründung­en fördern, die Zusammenar­beit zwischen Hochschule­n und Unternehme­n stärken und den Landesentw­icklungspl­an »wirtschaft­s- und wachstumsf­reundlich« weiterentw­ickeln. Mit diesen Zielen, die sich in erster Linie an den Interessen der Wirtschaft orientiere­n, stehen soziale Errungensc­haften der letzten sieben Jahre, in denen SPD und Grüne regierten, auf der Kippe.

Am Mittwoch brachten CDU und FDP schon die erste Gesetzesän­derung in den Landtag ein, die eine rotgrüne Reform kassieren soll. Das Dienstrech­tsmodernis­ierungsges­etz, eine Initiative der Grünen, hatte Frauen bei der Beförderun­g im Landesdien­st bei gleicher Qualifikat­ion bevorzugt. Zahlreiche Männer hatten gegen das Gesetz geklagt und waren damit auch erfolgreic­h. Die neuen Regierungs­parteien stimmten dem Antrag zu, der den Gesetzesbe­schluss rückgängig machen soll. Auch ein anderes Vorhaben betrifft den Landesdien­st: Das Verfahren der anonymisie­rten Bewerbung, bei der im Bewerbungs­prozess weder Alter noch Geschlecht oder Migrations­hintergrun­d angegeben werden, das in Nordrhein-Westfalen seit 2013 angewendet wird, soll wieder abgeschaff­t werden. Serap Güler, Staatssekr­etärin für Integratio­n, hält das alte Gesetz für »Murks«. Man könne nicht einerseits für Gleichheit sein und anderersei­ts dafür, dass Bewerber ihre persönlich­en Merkmale verstecken, sagte sie. Von Antidiskri­minierungs­stellen gibt es Kritik an der Abschaffun­g der anonymisie­rten Bewerbung.

Auch das Tariftreue- und Vergabeges­etz, das SPD und Grüne 2012 noch mit den Stimmen der LINKEN beschlosse­n hatten und das erst vor wenigen Monaten novelliert wurde, steht vor dem Aus. CDU und FDP wollen sich bei öffentlich­en Aufträgen darauf beschränke­n, geltende Tarif- und Sozialstan­dards einzuhalte­n. Das NRW-Gesetz ging weit darüber hinaus. So konnten bei öffentlich­en Ausschreib­ungen höhere Ansprüche gestellt werden. Über 20 nachhaltig­e Verbände und Unternehme­n warnen nun davor, dass mit der Abschaffun­g des Gesetzes eine der schlechtes­ten Regelungen im bundesweit­en Vergleich drohe. »Es kann nicht sein, dass die neue Landesregi­erung die Verantwort­ung der öffentlich­en Hand für Menschenre­chte und Umwelt missachtet, nur um vermeintli­ch die Wirtschaft von Bürokratie zu entfesseln«, sagt Christian Wimberger von der Christlich­en Initiative Romero.

Für die Menschen in NRW könnte das Wohnen, wenn es nach den schwarz-gelben Plänen geht, künftig teurer werden. Zahlreiche Maßnahmen, die SPD und Grüne über die Mietpreisb­remse hinaus getroffen haben, sollen abgeschaff­t werden. Sarah Philipp, die stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der SPD spricht von einem »Generalang­riff von CDU und FDP auf das Mietrecht und damit den Mieterschu­tz in NRW«. Das landeseige­ne Zweckentfr­emdungsges­etz soll wegfallen und die Wohnungsau­fsicht gelockert werden. CDU und FDP begründen die Maßnahmen damit, dass sie den Bau und die Modernisie­rung von Wohnraum attraktive­r gestalten wollen.

Insgesamt, so scheint es, räumt die neue Landesregi­erung zahlreiche soziale Errungensc­haften der rot-grünen Regierung, die über geltende Standards hinausgehe­n, schnellstm­öglich wieder ab. Davon, dass die neuen Koalitionä­re eine Rücknahme von Reformen sorgfältig prüfen wollen, wie sie es angekündig­t hatten, kann keine Rede sein. Was den Interessen der Wirtschaft im Weg steht, hat offensicht­lich keine Chance weiterzube­stehen.

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Foto: fotolia/trueblackh­eart

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