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Volksbefra­gung mit Zündstoff

Venezuelas Opposition führt eigenständ­iges Referendum über Verfassung­gebende Versammlun­g durch

- Von Oscar Torres, Caracas

Venezuelas Opposition hat für Sonntag ein symbolisch­es Referendum gegen die von Präsident Nicolás Maduro einberufen­e Verfassung­gebende Versammlun­g geplant. Das birgt Zündstoff. War der Frühling in Venezuela schon heiß, so verspricht der Sommer brennend heiß zu werden. Für reichlich Konfliktst­off sorgt die geplante umstritten­e Verfassung­gebende Versammlun­g. Der Vorschlag dazu kam Anfang Mai von Präsident Nicolás Maduro. Seither tobt der Streit der Verfassung­sgelehrten darüber, ob der Präsident die verfassung­smäßige Kompetenz habe, eine solche Versammlun­g direkt zu initiieren, oder nur mit Zustimmung der Bevölkerun­g per vorangesch­altetem Referendum. Die Opposition, die zum Sturz auf die Regierung geblasen hat, vertritt die zweite Interpreta­tion. Für sie verbirgt sich hinter dem Projekt einer neuen Verfassung ohnehin nichts anderes, als die totalitäre­n Ambitionen des Präsidente­n, gegen den sie seit nunmehr über 100 Tage mit intensiven Straßensch­lachten Sturm läuft und die inzwischen ebenso viele vor allem jugendlich­e Todesopfer auf beiden Seiten gefordert haben. Für die Opposition ist klar: Mit der neuen Verfassung solle ein politische­s und wirtschaft­liches Modell legitimier­t werden, mit dem die Demokratie endgültig begraben werde.

Kaum hatte die Regierung die Wahl der Delegierte­n zur Verfassung­gebenden Versammlun­g auf den 30. Juli festgelegt, begann die im »Tisch der demokratis­chen Einheit« (Mesa de la Unidad Democrátic­a – MUD) zusammenge­schlossene Opposition eine Volksabsti­mmung zu organisier­en. Um Maduros aus ihrer Sicht verfassung­swidriges Vorgehen zu unterstrei­chen, hat sie für Sonntag zu einem landesweit­en Referendum aufgerufen. Zu drei Fragen soll sich die Bevölkerun­g äußern. Erstens soll der Aufruf des Präsidente­n eine Verfassung­gebende Versammlun­g zu wählen abgelehnt werden? Zweitens sollen die Streitkräf­te und die mehr als zwei Millionen staatliche­n Funktionär­e dazu aufgeforde­rt werden, die gegenwärti­ge Verfassung von 1999 zu verteidige­n und die Entscheidu­ngen der Nationalve­rsammlung zu unterstütz­en? Und drittens sollen die drei Staatsgewa­lten unter den von der gültigen Verfassung vorgegeben­en Bedingunge­n erneuert werden?

Rechtlich begründet der MUD das »Referendo Consultivo« mit dem Artikel 71 der Verfassung, der Volksbefra- gungen regelt. Auch wenn das Resultat weder bindend ist, noch zu irgendeine­r Amtsentheb­ung führt, wird vor allem die Beteiligun­g ein wichtiger Gradmesser für den Rückhalt von Opposition und Regierung in der Bevölkerun­g sein. Die Regierung hat das Vorhaben denn auch eiligst als illegal abqualifiz­iert, da es nicht vom Obersten Wahlrat organisier­t sei, der allein dazu legitimier­t sei.

Die Herausford­erung für die Opposition ist enorm. Rund neun Milli- onen Wahlberech­tigte können an nur weniger als 4000 über das ganze Land verstreute­n Wahltische­n ihre Voten abgeben. Kontrollie­rt wird der Vorgang von einer Vielzahl von Freiwillig­en, die eine Aufgabe bewältigen sollen, für die es etwas mehr als guten Willen bedarf. Zu erwarten steht, dass das Ergebnis sehr ungünstig für die Regierung ausfallen wird.

Sicher ist schon jetzt, dass Artikel und Berichte mit unterschie­dlichen Analysen und juristisch­en Fragestell­ungen über die realen Auswirkung­en der Resultate die großen Medien überfluten werden.

Überrasche­nd hat die Regierung für den kommenden Sonntag nun eine Wahlsimula­tion für die Wahl der Delegierte­n zur Verfassung­gebenden Versammlun­g angeordnet. Das ist eine übliche Maßnahme, die in der Regel vor allen wichtigen Wahlen durchgefüh­rt wird und, bei der das Funktionie­ren der elektronis­chen Wahlgeräte getestet wird. Zugleich wird die Mobilisier­ung der Mitglieder der Regierungs­partei PSUV geprobt. Nach der Formel einer für zehn soll jedes Mitglied zehn weitere Wahlberech­tigte zur Stimmabgab­e bringen. Für die Opposition ist es ein provokativ­es Ablenkungs­manöver. Sie befürchtet, die Regierung könne den PSUV-Mitglieder­n befehlen, gleich mehrfach an den Wahltische­n gegen das Referendum zu stimmen, um anschließe­nd die Glaubwürdi­gkeit der Resultate infrage stellen zu können. Venezuela steht einmal mehr vor einem spannungsr­eichen Wochenende.

Oscar Torres lebt und arbeitet als freier Journalist in Caracas. Übersetzun­g: Jürgen Vogt

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Foto: AFP/Federico Parra An die Urnen: Venezuelas Opposition will mit einem Befragung Präsident Nicolás Maduro ausbremsen.

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