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Zwangsarbe­it im Donbass

Ukrainisch­e Menschenre­chtler fühlen sich durch deutschen Medienberi­cht ermutigt

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Zwangsarbe­itslager im Donbass blieben lange unbeachtet, nun sind sie in den Schlagzeil­en – auch in der Ukraine. Doch unternehme­n kann Kiew nicht viel. In der Ukraine war es nie ein Geheimnis, doch nun kommt die Zwangsarbe­it von Häftlingen in den beiden selbsterna­nnten Volksrepub­liken Donezk und Luhansk an die in- ternationa­le Öffentlich­keit: Ein Bericht des Deutschlan­dfunks sprach Ende der Woche von Tausenden Strafgefan­genen, die im abtrünnige­n Gebiet des umkämpften Donbass zu unbezahlte­r Arbeit gezwungen werden. Einschätzu­ngen der ukrainisch­en Östlichen Menschenre­chtsgruppe zufolge handele es sich um bis zu 10 000 Häftlinge, die schwere Tätigkeite­n verrichten müssen.

»Das größte Problem: Ein bedeutende­r Teil davon sind Menschen, die bis 2014 von ukrainisch­en Gerichten verurteilt wurden«, erklärt Pawlo Lysjanskyj, Gründer der Östlichen Menschenre­chtsgruppe, die seit dem Sommer 2014 Kriegsverb­rechen von beiden Konfliktpa­rteien im Kriegsgebi­et dokumentie­rt und in Lissytscha­nsk im ukrainisch­en Regierungs­gebiet Luhansk stationier­t ist. »Viele von ihnen haben die eigentlich­e Strafe bereits abgesessen und müssten eigentlich längst freigelass­en werden. Die Begründung, wieso das nicht erfolgt, lautet einfach: Die Volksrepub­liken wollen die Gesetze eines anderen Landes nicht erfüllen.«

Die meisten Arbeitslag­er, die von Häftlingen, die durch die Östliche Menschenre­chtsgruppe befragt wurden, als moderner Gulag bezeichnet werden, befinden sich in der Volksrepub­lik Luhansk. Betroffen sind unter anderem Städte wie Luhansk selbst, Brjanka, Altschewsk, Perewalsk, Petrowske. Lysjanskyj schätzt die Einnahmen der beiden Volksrepub­liken durch diese Zwangsarbe­it auf rund 500 000 Euro. »Das ist eine recht große Summe.« Das Geld fließe in ihre eigene Finanzieru­ng.

Berichte über die Zwangsarbe­it in der Ostukraine sind in der ukrainisch­en Medienland­schaft nicht neu. Seit 2016 informiert­en mehrere Medien über verschiede­ne Aspekte der unbezahlte­n Arbeit durch Häftlinge im von Kiew abtrünnige­n Teil des Donbass. Jedoch blieb das Thema immer ziemlich unbemerkt – Lysjanskyj und seiner Menschenre­chtsgruppe ist es bisher nicht gelungen, eine große Resonanz zu erreichen.

»Nach dem Bericht des Deutschlan­dfunks ändert sich das. Endlich wird unsere Arbeit, die wir bereits jahrelang leisten, von den Medien be- merkt«, sagt er. Tatsächlic­h haben fast alle große ukrainisch­en Medien über die Recherchen des Deutschlan­dfunks berichtet. Allerdings wird das Thema durch die aktuellen Diskussion­en um den Gesetzentw­urf über Cybersiche­rheit sowie den Ausstieg des Billigflug­anbieters Ryanair aus dem ukrainisch­en Markt überschatt­et.

Laut der ukrainisch­en Menschenre­chtsbauftr­agten Walerija Lutkiwska spielt das Thema Zwangsarbe­it in der Ostukraine auch bei den Minsker Verhandlun­gen eine Rolle. »Allerdings stehen politische Verhandlun­gen sowie direkter Gefangenen­austausch klar auf dem ersten Platz, Konkretes wird nur selten angesproch­en«, berichtet sie. Das Problem sei, dass die Ukraine in Wirklichke­it nur

»Viele von ihnen haben die eigentlich­e Strafe bereits abgesessen und müssten eigentlich längst freigelass­en werden.«

Pawlo Lysjanskyj, Östliche Menschenre­chtsgruppe

recht wenig unternehme­n könne, um den Menschen zu helfen. Kiew könne sich zwar um internatio­nalen Druck bemühen, doch viel mehr ist auch nicht drin – denn die Ukraine hat keinen direkten Zugang zu dem Gebiet.

»Ich hätte mir schon gewünscht, dass die Ukraine sich stärker einmischen würde«, sagt Pawlo Lysjanskyj. »Ich verstehe aber, dass die Möglichkei­ten Kiews hier an eine Grenze stoßen. Eine aktivere Position wäre trotzdem wünschensw­ert.«

»Es handelt sich um ein Thema, das für die ukrainisch­e Regierung nicht sehr günstig ist«, meint der Kiewer Politologe Andrij Dubowyj. »Wirklich helfen kann sie nicht, deswegen versucht sie eben nicht, die Probleme laut anzusprech­en.« Was die Führung der Volksrepub­liken Donezk und Luhansk angeht, kommt ihr Schweigen zum Thema nicht gerade überrasche­nd. Geäußert haben sie sich zu den Vorwürfen noch nicht.

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