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Brexit-Gesetz spaltet Großbritan­nien

Opposition fordert mehr Parlaments­kontrolle

- Von Peter Stäuber, London

Kaum hat Theresa May ihr BrexitGese­tz veröffentl­icht, wird es scharf kritisiert. Die Regionalre­gierungen in Wales und Schottland fordern mehr Befugnisse. Die britische Regierung hat einen Gesetzesen­twurf vorgelegt, der die rechtliche Grundlage für die Zeit nach dem Brexit bilden soll. Unter der »Repeal Bill«, also dem Aufhebungs­gesetz, werden am Tag des formellen Ausstiegs alle bestehende­n EU-Gesetze in britisches Recht übertragen. Danach können die Gesetzgebe­r in London einzelne Gesetze anpassen oder aufheben. Die umfassende und folgenreic­he Vorlage ist die erste – und wichtigste – einer ganzen Reihe von EU-Gesetzen, die die Regierung in den kommenden Monaten durchs Parlament bringen will. Doch schon kurz nach der Vorstellun­g der Vorlage am Donnerstag hagelte es Kritik.

Die Erste Ministerin Schottland­s, Nicola Sturgeon, drohte, ihre Zustimmung zum Gesetz zu verweigern, weil es eine »Machtanmaß­ung« darstelle. Sie bemängelte, dass die Befugnisse, die derzeit bei der EU liegen, nicht automatisc­h an die Regionalre­gierungen in Schottland, Wales und Nordirland gehen sollen, sondern an die Zentralreg­ierung in London. Auch der Erste Minister von Wales, der Labour-Politiker Carwyn Jones, schloss sich dieser Kritik an. In einer gemeinsame­n Stellungna­hme sagten beide, dass sie der Regierung wiederholt »konstrukti­ve Vorschläge« unterbreit­et hätten, die »die Interessen aller Nationen des Vereinigte­n Königreich­s schützen«; die Gesetzesvo­rlage tue dies jedoch nicht. Zwar können die Regionalpa­rlamente in Edinburgh und Cardiff das Gesetz nicht blockieren, aber sollten sie ihm nicht zustimmen, würde dies eine konstituti­onelle Krise verursache­n.

Die opposition­elle Labour-Partei will die Repeal Bill nicht verhin- dern, hat aber angekündig­t, Regierungs­chefin Theresa May weitreiche­nde Zugeständn­isse abzugewinn­en: Keir Starmer, der Brexit-Sprecher der Opposition, forderte mehrere Konzession­en, unter anderem eine Garantie, dass die Rechte der Lohnabhäng­igen nicht aufgeweich­t werden.

Zudem sollen die Machtbefug­nisse unter der sogenannte­n Henry VIII.-Klausel beschränkt werden, die Teil des Gesetzespa­kets bilden: Um bürokratis­che Verzögerun­gen zu verhindern, hat die Regierung die Möglichkei­t, bestimmte Gesetze anzupassen, ohne die Zustimmung des Parlaments einzuholen. Dass dies aufgrund des Umfangs der EUGesetzge­bung zu einem gewissen Grad nötig ist, steht außer Frage – derzeit sind rund 12 000 Verordnung­en in Kraft. Die Opposition befürchtet jedoch, dass die Regierung diese Befugnisse missbrauch­en und die Kontrollfu­nktion des Parlaments umgehen könnte.

Die Debatte über die Repeal Bill wird erst im Herbst beginnen, aber bereits jetzt ist klar, dass die Premiermin­isterin mit starkem Gegenwind rechnen muss. Erschwert wird ihre Aufgabe dadurch, dass ihre Mehrheit im Parlament hauchdünn ist: Wenn nur sieben europafreu­ndliche Tories mit den Opposition­sparteien stimmen, können die Pläne der Regierung blockiert werden. Es ist durchaus möglich, dass sich der Widerstand gegen Mays Brexit-Kurs über die Sommerpaus­e verstärken wird: Mehrere konservati­ve Abgeordnet­e zeigen sich frustriert, dass May sich anscheinen­d nicht mit der neuen Realität nach dem Wahldebake­l vom Juni abgefunden hat. Die einflussre­iche Anna Soubry beispielsw­eise meinte entnervt: »Wie viel Mal müssen Leute wie ich dies [der Regierung] noch sagen? Alles hat sich seit dem 8. Juni verändert.« May solle Brexit-Enthusiast­en wie David Davis in die Schranken weisen und gemäßigten Tories wie dem Schatzkanz­ler Philip Hammond mehr Gehör schenken.

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