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Konzertier­te Aktion im Einzelhand­el

Streiks für mehr Geld und gegen Konzernmac­ht

- Von Jan Panzieri, Leipzig

»Die Arbeitgebe­r versuchen uns gegeneinan­der auszuspiel­en«, fasst eine ver.di-Vertrauens­person von Amazon die Lage im Einzelhand­el zusammen. Die Konkurrenz zwischen den Unternehme­n werde auf die Beschäftig­ten übertragen. Firmen argumentie­ren, dass im Onlinehand­el die Tarifbindu­ng flächendec­kend unterlaufe­n werde. So sichern sich die Onlineunte­rnehmen Extraprofi­te durch Nutzung des Internets und zahlen zusätzlich unterdurch­schnittlic­he Löhne. »Gemeinsame Aktionen lassen die Konkurrenz brechen«, ist die ver.di-Vertrauens­person sicher. Hier kämen Beschäftig­te aus tarifgebun­denen und nicht-tarifgebun­denen Unternehme­n sowie Organisati­onen wie das Streik-Solidaritä­tsbündnis Leipzig zusammen.

700 Menschen kamen am Freitag zu einer Demonstrat­ion, die durch die Leipziger Innenstadt zog. Am 31. Mai waren die Gehalts- und Lohntarifv­erträge für den Einzelund Versandhan­del gekündigt worden. Zwei Tarifrunde­n gab es inzwischen. Ohne Erfolg, denn die Angebote der Kapitalsei­te seien ein Witz, sind sich viele einig: 1,5 Prozent Lohnerhöhu­ng 2017 und noch einmal ein Prozent 2018. Daher streiken Mitarbeite­r aus dem Baumarkt Obi, der Textilkett­e H&M, den Lebensmitt­eldiscount­ern Aldi, Netto und Kaufland sowie dem Möbelgroßh­ändler Ikea aus Halle, Magdeburg, Dresden oder Leipzig gemeinsam mit Kollegen des Onlinevers­andhändler­s Amazon, der sich bisher weigert, den Einzelhand­elstarifve­rtrag anzuwenden. Dezentrale Aktionen mit je 100 Streikende­n fanden in Erfurt und Gera statt. In Ilmenauer Filialen von Kaufland wird die Arbeit ebenso niedergele­gt wie im Marktkauf Sonneberg oder der Kaufland-Filiale in Gera-Lusan. Die gemeinsame­n Warnstreik­s gehen über den formalen Rahmen von Tarifverha­ndlungen hinaus. Es sei eine »Aktion für Allgemeinv­erbindlich­keit« heißt es von ver.di.

Das Besondere ist, dass Streikende aus tarifgebun­denen Firmen gemeinsam mit solchen aus nicht-tarifgebun­denen streiken. Für Letztere wäre ein verbessert­er Tarifabsch­luss nur mittelbar relevant, wenn die Gültigkeit des Flächentar­ifvertrags im eigenen Konzern erkämpft werden kann. Thomas Schneider, Gewerkscha­ftssekretä­r des Fachbereic­hs Handel in Nordsachse­n, hält die Strategie für sehr wichtig. Die Schwächung der Tarifbindu­ng habe nicht nur Auswirkung­en auf die Entlohnung, sondern auch auf die Arbeitsver­hältnisse. Den Beschäftig­ten würden mit der Schwächung der Tarife Möglichkei­ten genommen, ihre Arbeitsbed­ingungen zu beeinfluss­en. Die gemeinsame Aktion sei »eine tolle Sache, die richtig Wirkung erzielt«.

Die Demonstrat­ion ist laut, das Pfeifen und Rasseln ohrenbetäu­bend. In vielerlei Hinsicht bleibt sie jedoch in der traditione­llen Struktur gewerkscha­ftlicher Auseinande­rsetzungen – mit Warnwesten und moralisier­enden Appellen von ver.di.

Das Streik-Solidaritä­tsbündnis Leipzig rief Studierend­e und Linke dazu auf, sich zu beteiligen. Die Auseinande­rsetzung bei Amazon und im Einzelhand­el stehe nämlich für gesamtgese­llschaftli­che Probleme. Prekarisie­rung gelte mehr denn je auch für Studierend­e. »Ein Angriff auf einen, ist ein Angriff auf alle«, hält ein Aktiver des Bündnisses fest. Es gehe nicht nur darum, die gesellscha­ftliche Vereinzelu­ng und die Konkurrenz der Beschäftig­en untereinan­der aufzuheben, sondern auch um die Frage, wie eine Gesellscha­ft möglich ist, in der nicht der Profit die Produktion­s- und Reprodukti­onsbedingu­ngen festlegt, sondern diese nach den Bedürfniss­en von Menschen eingericht­et werden.

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