nd.DerTag

Es braucht das unversöhnl­iche Nein

Militanz: Sollte sich die inner- und außerparla­mentarisch­e Linke vom Schwarzen Block distanzier­en? Ein Pro und Kontra

- Von Niels Seibert

Als sich vor einer Woche am frühen Morgen, wenige Stunden bevor der G20-Gipfel begann, Demonstran­ten von verschiede­nen Orten auf die Beine machten, hatten sie für diesen Tag sehr unterschie­dliche Ziele. Die einen wollten mit Blockaden den reibungslo­sen Ablauf des Gipfels stören, andere die Logistik des Kapitals und den Warentrans­port lahmlegen und wiederum andere den Wohlstand angreifen und zu einer Umverteilu­ng beitragen. Die inhaltlich­e und praktische Vielfalt, die in diesen Stunden erkennbar wurde, war und ist eine Stärke der linken Bewegung. Im Zusammensp­iel war es den meisten gelungen, ihre Pläne umzusetzen, weil die Polizei nicht überall sein konnte. Und alle, die auf der Straße waren, kamen am folgenden Tag mit insgesamt 80 000 Menschen zur gemeinsame­n Abschlussd­emonstrati­on zusammen.

Die nach Hamburg reisten, um sich an Protest und Widerstand zu beteiligen, wollten nicht tatenlos zuschauen, wie die Machthaber der G20 unsere Welt zugrunde richten. Und auch die Mehrheit der Hamburger wollten diesen Gipfel nicht in ihrer Stadt. Aber die Polizei versuchte, den Protest mit einer riesigen Demonstrat­ionsverbot­szone zu verhindern und mit ihrer Ankündigun­g, dass in Hamburg alles aufgeboten werde, was die deutsche Polizei zu bieten habe, einzuschüc­htern. Noch in den Tagen unmittelba­r vor Gipfelbegi­nn wurden Protestcam­ps untersagt, die angemeldet­e »Welcome to Hell«-Demonstrat­ion durfte nicht loslaufen und mit schwarzen Masken vermummte Polizisten signalisie­rten: Wir können zuschlagen, ohne Konsequenz­en zu befürchten. Diejenigen, die gegen die anreisende­n Despoten auf die Straße gehen wollten, erlebten, dass auch im eigenen Land die Demokratie in Zeiten des Ausnahmezu­stands nicht viel zählt.

Am Abend entwickelt­e sich die Aktion entschloss­ener und organisier­ter Militanter auch aus abgehängte­n europäisch­en Ländern zu einem kleinen Aufstand, dem sich spontan Hunderte anschlosse­n, auch viele teils migrantisc­he Jugendlich­e, die man auf Demonstrat­ionen selten sieht. Der Riot war folglich mehr als eine Aktion von Linken. Er war ein Befreiungs­schlag gegen die scheinbare Allmacht der Polizei. Er war eine gesellscha­ftliche Zurückweis­ung der herrschend­en Ordnung des rot-grünen Senats unter Olaf Scholz. Er war eine passende Bildstörun­g zu Beethovens 9. Sinfonie in der Elbphilhar­monie, zu der Angela Merkel ihre Gäste eingeladen hatte. Er war das unversöhnl­iche Zeichen, das es Merkel unmöglich machte die Kritik an ihrer Politik und der globalen Ungerechti­gkeit des Kapitalism­us weiter als »friedliche­n Protest« zu vereinnahm­en.

In vielen europäisch­en Ländern ist man solche Militanz gewohnt. In Deutschlan­d hingegen setzte eine Hetze aus Politik und Medien ein, verbunden mit dem Ruf »Distanzier­t Euch!« Aber diese Forderung wird erfahrungs­gemäß bald vergessen sein: Heute, 50 Jahre nachdem für den Schah von Persien Mozarts Zauberflöt­e in der Deutschen Oper in Berlin aufgeführt wurde, werden einhellig die damalige Polizeigew­alt und die Ehrung des Diktators verurteilt. Heute, 30 Jahre nachdem am 1. Mai im polizeibef­reiten Berlin-Kreuzberg über 30 Geschäfte geplündert wurden, bekennen viele Beteiligte ganz selbstvers­tändlich: Ich war dabei. So entspannt und wohlwollen­d wird auch einmal die Geschichte von den Julitagen 2017 in Hamburg erzählt werden.

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Foto: dpa/Boris Roessler G20-Proteste 2017

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