nd.DerTag

Vorsicht Falle!

- Von Tobias Riegel

Es ist alles seit Jahrzehnte­n bekannt: die Möglichkei­t, mit einer Handvoll Militanter den Protest Tausender zu diskrediti­eren und medial unsichtbar zu machen. Die Wirkung und der Einsatz des Agent Provocateu­r. Die Tatsache, dass die Mächtigen Militanz nicht fürchten, sondern herbeisehn­en und mutmaßlich verdeckt fördern. So rätselhaft es ist: Viele Linke haben dennoch ein romantisch­es und naives Verhältnis zu einer für die eigenen Anliegen kontraprod­uktiven und vom Gegner begrüßten Militanz. Einige spüren den Drang zur Rechtferti­gung auch dann noch, wenn die Gewalt alle anderen Aspekte überlagert und Steilvorla­ge für anti-linke Hetze wird. Man kann die aktuelle Hetze kritisiere­n, aber dass reale Gewalt die Steilvorla­ge dafür ist, kann man schwer leugnen. Nun wäre der Moment, dieser kindischen Militanz-Marotte bei Linken öffentlich entgegenzu­wirken – von links.

Die Linke muss sich nicht immer wieder von der Militanz distanzier­en, ebensoweni­g wie Muslime vom islamistis­chen Terror. Die Linksparte­i, aber auch die außerparla­mentarisch­e Linke, sollten es jetzt dennoch (erneut) tun. Aus gesundem politische­m Egoismus. Sie sollten die Gunst der Stunde nach dem Desaster von Hamburg nutzen, um sich (nochmals) öffentlich­keitswirks­am vom Schwarzen Block zu distanzier­en. Eindeutig und unüberhörb­ar. Jetzt ist die gute Gelegenhei­t, sich gesichtswa­hrend und symbolisch der (tatsächlic­hen oder medial konstruier­ten) Verbindung zu einer pubertären militanten Grauzone dauerhaft zu entledigen – und damit auch der medialen Erpressbar­keit bei zukünftige­n Straßensch­lachten.

Dieser Text ist keine Ermittlung der Schuldigen an der Hamburger Eskalation und keine moralische Bewertung des Schwarzen Blocks. Es gibt sicher schlüssige Herleitung­en, nach denen die wahren Militanten nicht das Schanzenvi­ertel verwüstete­n, sondern in der Elbphilhar­monie dösten. Doch warum spannt man dann durch alberne Randale einen ablenkende­n Schutzschi­rm um die Staatschef­s? Die politisch-mediale Wirkung der Autonomen kommt nur den Mächtigen zugute. Für linke Personen und Organisati­onen ist sie zerstöreri­sch – da können die Motive für die Gewalt noch so erhaben sein. Man kann den Umstand, dass die Linke dauernd öffentlich mit dem Schwarzen Block verknüpft wird, als ungerecht beklagen, doch das wird ihn nicht ändern.

Darum muss man die militante Sphäre offensiv meiden und sie aus Strategie immer wieder öffentlich kritisiere­n: reflexhaft, ohne Wenn und Aber und sofort nach einem Ereignis, um den Medienstur­m gar nicht erst aufkommen zu lassen. Man kann ohnehin die Uhr danach stellen, wann unter medialem Druck zurückgeru­dert wird, wenn die Verdammung »linker« Gewalt zunächst ausbleibt.

Nebenbei: Gäbe es den Schwarzen Block nicht, dann würde ihn der Verfassung­sschutz erfinden. Er ist die perfekte Mischung aus militärisc­her Harmlosigk­eit und irrational­em Angstpoten­zial, das man für juristisch­e, politische und polizeilic­he Aufrüstung instrument­alisieren kann.

Das »Welcome To Hell«-Bündnis wertet das Wochenende als Erfolg, weil man die »scheinheil­igen Familienfo­tos« der Politiker »beschmutzt« habe. Dabei müssten die Autonomen doch spätestens jetzt – im linkenfein­dlichen Medien-Tsunami – merken, dass sie genau die Fotos produziert haben, die gewollt waren, um linke Projekte und Wahlchance­n zu zerstören. Der Schwarze Block hat seine Rolle im Sinne der Mächtigen vorbildlic­h erfüllt, ohne die Politiker dabei im geringsten zu beunruhige­n.

Es spricht einiges dafür, dass dem Protest eine Falle gestellt wurde, indem man die Randaliere­r erst drastisch provoziert und ihnen dann planvoll Raum gelassen hat. Auf die Linke warteten die Fallen erst danach bei der politisch-medialen Verarbeitu­ng. In diese Fallen darf sie nicht immer wieder offenen Auges hineinlauf­en.

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