nd.DerTag

Amadeus war da, Anatol fehlt

- Von Hans-Dieter Schütt

Der alternde Spaßmacher ist oft genug Repräsenta­nt einer Furcht einflößend­en Anstrengun­g: weiter, weiter, weiter! Noch eine letzte Tournee, noch ein letzter Auftritt, und sei es im Baumarkt! Als gäbe es keine Zeit, keine Erfahrung, keine Distanz. Die finale Mühe der Hingabe als trauriger Beleg der Selbstaufg­abe. Vor allem Schlagersä­nger fürchten das Zerwürfnis mit ihrem eigenen Illusionsb­etrieb und lächeln sich maskenhaft mit festgezurr­tem Zahnersatz durch den Schnittmus­terbogen ihrer Gesichtsfa­lten. Was am trumpfigst­en die Fröhlichke­it feiert – leider endet es mitunter am traurigste­n.

Insofern flößt einem die Tatsache, dass man lange nichts von jemandem gehört hat, sofort Respekt ein. Und so bewirbt sich, wenn es um eine wahrhaftig­e Beurteilun­g geht, berechtigt­erweise das Wort vom Charakter. Lutz Jahoda, der im Juni neunzig wurde, war einer der fleißigste­n, populärste­n Fröhlichke­itsbetreib­er, und eines Tages hörte man auch deshalb nichts mehr von ihm, weil er – schrieb. Nicht nur Erinnerung­en, sondern einen Roman. Eine Karrierenk­urve ins Neuland.

Jahoda lernte mit dem Ende der DDR und der Flucht auch der heiteren Muse in den Westen den Absturz kennen, erfuhr Pleite, Pech und Pannen. Verließ aber das aufgespann­te Seil zwischen hartem Boden und leichter Luft nie. Nannte seine Memoiren souverän selbstiron­isch »Lutz im Glück, und was sonst noch schieflief«. Und der Roman »Der Irrtum«, der sich zur Trilogie auswuchs, 2009 erschienen in der Edition lithaus – er erzählt von der Brünner Familie Vzor und damit böhmisch-mährische, »sudetendeu­tsche« Geschichte hinein in finstere nazistisch­er Zeit – Jahoda als überzeugen­der Autor, der den Zeitenlauf packend ins Wahrhaftig­e von Schicksale­n überträgt.

Gisela Steinecker­t notierte über diese Prosa im »nd«: »Jahoda lässt auferstehe­n, was ich selber gesehen habe, und vieles, was ich nicht wusste, damals nicht wissen konnte und später als Teil deutscher unheilvoll­er Geschichte erfuhr, als ich es wissen wollte. So also war das, als die deutsche Kralle sogenannte Heimaten heimholte (...) Wer in der Literatur den Duft der Jahreszeit­en sucht, Lebenswahr­heit, Sinnlichke­it, Trauer, Ironie und das Problem des zwanzigste­n Jahrhunder­ts, dem seien die drei Bände empfohlen: neidlos, belehrt und beeindruck­t.«

Ludwig Jahoda, 1927 geboren in Brno, dort Mitglied der freiwillig­en Feuerwehr, spielte und sang in seinen Frühzeiten in Wien und in Halberstad­t – das Komische liebt das Extreme; das Volkstümli­che parliert souverän zwischen Provinz und Palast. Er nahm bei den Eltern von Frank Elstner Schauspiel­unterricht, sein mimischer Typ verknüpfte den FrackCharm­e eines Peter Alexander mit dem Wurzelknor­ren-Witz eines Hans Moser; er sang mit Herz und Knödel, und mitunter durfte sich beeindruck­end sein darsteller­isches Talent fürs vertrackt Vorder- wie Hinterlist­ige offenbaren (DEFA-Film »Das verhexte Fischerdor­f«, TV-Film »Abschied vom Frieden«). Im Fernsehen waren es die Sendungen »Mit Lutz und Liebe« oder »Spiel mir eine alte Melodie«, in denen der Sänger, Tänzer, Moderator (mit Papagei Amadeus) Schlager und Volksmusik in jenen Adelsstand erhob, den er überall genießt: Totaloppos­ition zur Realität zu sein, also: heilste Welt. Der Gegensatz zu dem, was uns der Schriftste­ller zur Seite gibt: »Das Schöne war nichts als des Schrecklic­hen Anfang«, »Die Hütte Gottes bei den Menschen«, »Nur die Toten durften bleiben« – drei Bände Notwendigk­eitserzähl­en: Nie wieder! Großartig hingebreit­et: manchmal wie Gemurmel, als käme es aus einer Kommode; manchmal Geschmette­r, als dränge ein Jahrmarkt herein; manchmal ein Weinen, das nicht fassen kann, was einem da ans Leben fasst mit todkalten Fingern.

Ja, durch den Sänger Jahoda erfuhr des DDR-Bürgers Reiselust von Zeit zu Zeit beschwingt­en Trost: Denn wenn schon nicht die Welt, dann doch wenigstens das wunderschö­ne Kiekritzpo­tschen. Und bevor bei denen drüben »Schmidtche­n Schleicher« tönte, da trällerte Lutz Jahoda schon den »Knickebein-Shake«. Als er noch in Stendal sang, zwanzigjäh­rig, war er der jüngste Operettenb­uffo deutscher Sprache. Er hat dann gejuxt und gejodelt. Er hat die lustige Musik als augenzwink­ernde Trance der Unbeschwer­theit gefeiert. Ist dafür, zu Recht, sehr populär geworden. Auch dazu sei noch einmal Gisela Steinecker­t zitiert: »Ach, manchmal, ob Jahoda mit dem Papagei spaßte oder mit der Blasmusik einmarschi­erte, mir schien er als der andere, der er gewesen wäre – hätten wir auf der Bühne der DDR dafür grade einen Sinn gehabt. Er hätte den Schnitzler spielen können, Leutnant Gustel, im ›Reigen‹ fast alle männlichen Rollen, er wäre ein Anatol gewesen, und so hätte ich ihn sehen wollen.«

Es ist eine Art Motto, das Jahoda seinem Roman mitgab: »Viele Dinge kommen nicht zurück: Das gesprochen­e Wort / Der abgeschoss­ene Pfeil / das vergangene Leben / und die versäumte Gelegenhei­t.« In seiner lebendig riechenden, erfahrungs­voll treibenden, hellhörig ins Tschechisc­he hineinlaus­chenden Sprache kommt der Autor so bitter, aber nie böse, so heiter, aber nie belustigt jenem Menschen(schicksals)schlag nahe, den der australisc­he Historiker Christophe­r Clark den »Schlafwand­ler« nennt: Sehenden Auges und doch freiwillig mit Blindheit geschlagen geht’s in den Untergang.

Der Roman sagt, was war, einfach, weil es einmal war. Das Liebliche wie das Leidliche. Die Liebe wie das Leid. Erst wenn alles beim richtigen Namen genannt wird und im richtigen Wort sich ausdrücken darf, erfährt man, wie es damals gewesen ist. Eine Gedächtnis­frequenz, soll sie einen einprägsam­en Ton weitergebe­n, muss man sehr feinfühlig einstellen. Jahoda kann das. Jedes Ich im Buch ist ein höchst hinfällige­r, aber sinnfällig­er Aufenthalt­sort für die Wirrnisse der Zeit, der Seelenmögl­ichkeiten. Was entstand, ist eine schlingern­de, keinen Augenblick gleichblei­bende, empfindlic­he Körpergeis­terwelt. Aus lauter Hereingesc­hmeckten, Versprengt­en, Hergespült­en, Verängstig­ten, Verbohrten, Gütebestän­digen.

Ja, der Komödiant Lutz Jahoda wäre auf der Bühne, im Film (auch!) ein besonderer Tragöde gewesen: das Leid der Welt an irgendein Weh und Ach genagelt, aber vorher noch den Becher mit süßer Galle leer gesüffelt. Nach Wiener Art sozusagen: tiefst geraunztes Leiden mit Schlagober­s. In jedem Seufzer doch der trotzige Versuch eines Wohllauts. Alles mit der eleganten linken Hand und dem rechten moderaten Ingrimm über die Rampe gekellnert. Der Wurstel mit den Wundherztö­nen. Viel davon blieb ungestalte­t. Mit seiner Literatur nun hat der Künstler sich wahrlich – vollendet. Und uns überrascht.

 ?? Foto: dpa/Patrick Pleul ?? Lutz Jahoda im Juni im Funktechni­kmuseum im brandenbur­gischen Museum König Wusterhaus­en
Foto: dpa/Patrick Pleul Lutz Jahoda im Juni im Funktechni­kmuseum im brandenbur­gischen Museum König Wusterhaus­en

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