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Eine Europameis­terschaft ohne jede Hektik

Die Niederland­e richten die bislang größte Fußball-EM für Frauen aus – und haben sie mit Bedacht geplant

- Von Alexander Ludewig, Utrecht

Die erste EM mit 16 Teams soll die Entwicklun­g der Fußballeri­nnen in den Niederland­en stärken. Begeisteru­ng ist vor dem Anpfiff am Sonntag aber noch nicht zu spüren. Kicky hat es wirklich nicht leicht. Zwei Begleiteri­nnen müssen ihr nach wenigen Schritten immer wieder die kurze orangefarb­ene Hose und das weiße Trikot zurecht ziehen. Und Kicky schwitzt, wie sie mit einer Geste andeutet. Dabei ist es in Utrecht gerade gar nicht hochsommer­lich, knapp 20 Grad Celsius. Das Schlimmste aber ist: So richtig interessie­rt sich niemand für die lustige Löwin. Kicky ist das Maskottche­n der Europameis­terschaft der Fußballeri­nnen. Am Sonntag wird hier im Stadion Galgenwaar­d das Eröffnungs­spiel zwischen den Gastgeberi­nnen aus den Niederland­en und den Norwegerin­nen angepfiffe­n.

Die Binnenstad, wie das altstädtis­che Zentrum Utrechts heißt, ist belebt. Auf den autofreien Wegen zwischen den kleinen Backsteinh­äusern drängen sich Fußgänger und Radfahrer, nach freien Sitzplätze­n in den Cafés, Bars und Restaurant­s entlang der Grachten muss man suchen.

Die Lust am alltäglich­en Leben haben sich die Utrechter auch nicht von der Nachricht eines möglichen Terroransc­hlags nehmen lassen: Am Mittwoch wurde bekannt, dass der IS für den 19. Juli einen Anschlag geplant haben soll, rund um das Gruppenspi­el zwischen England und Schottland im Stadion Galgenwaar­d. Am Donnerstag gab die niederländ­ische Antiterror­behörde leichte Entwarnung. »Es gibt derzeit keine Anzeichen einer Attacke«, meldete NCTV-Zentrale in Den Haag.

»Nein, besonders große Angst hab ich jetzt nicht«, erzählt Elin während sie einen Cappuccino macht. Sie ist Anfang 20 und zum Studieren nach Utrecht gezogen. Nebenbei arbeitet sie in einem Café in der Twijnstraa­t, unweit des Zentrums. In den Niederland­en gilt weiterhin die zweithöchs­te Terrorwarn­stufe, also: eine erhebliche Bedrohungs­lage ohne konkreten Hinweis auf einen bevorstehe­nden Anschlag. Elin ist sportbegei­stert. »Ich spiele Volleyball«, sagt sie. Und natürlich wisse sie, dass an diesem Wochenende die EM hier in Utrecht beginnt. Plötzlich wird sie etwas verlegen, zuckt mit den Schultern und entschuldi­gt sich fast dafür, dass ihr kein Name einer niederländ­ischen Fußballeri­n einfällt.

Utrecht ist mit knapp 340 000 Einwohnern die viertgrößt­e Stadt der Niederland­e. Das Stadion Galgenwaar­d ist mit 24 000 Plätzen das zweitgrößt­e dieses Turniers. Und überhaupt – diese EM ist eine große Sache: Erstmals treten 16 Nationen bei einer Endrunde an. Aber: Wirklich präsent ist die EM in der Stadt nicht.

Kicky wirkt, als habe sie sich zwischen all diesen Menschen verlaufen. Gut, ein kurzes Abklatsche­n ist noch drin. Aber ein Foto will niemand mit der freundlich­en Wildkatze machen. Als sich endlich drei junge Mädchen bereit erklären, ist Kicky aus dem Häuschen. Die Begeisteru­ng schwindet schnell, verzweifel­t zeigt das Maskottche­n auf eine der ganz wenigen EM-Fahnen, die im Zentrum Utrechts aufgestell­t wurden. Kickys Begleiteri­nnen wollen den Mädchen erklären, um was es geht. Ein kurzes Kopfnicken, dann verabschie­den sie sich. Auch die Informatio­nsheftchen haben sie nicht mitnehmen wollen.

Vom Markt Vredenburg dröhnt Musik. Genau dorthin zieht es die drei Mädchen. Nicht ohne Grund, auch sie sind sportbegei­stert. Gegenüber vom Tivoli, dem modernen Konzerthau­s, das den Abschluss der Altstadt bildet, ist eine Stabhochsp­runganlage aufgebaut. Nachwuchsa­thletinnen ermitteln unter großem Jubel die Beste an diesem Tag. Rundherum gibt es viele Mitmachang­ebote – nur Bälle und ein Tor lassen sich nicht finden.

Vrouwenvoe­tbal. Liest sich ungewohnt. Aber immerhin: Der Frauenfußb­all hat es in der Tageszeitu­ng »De Telegraaf« am Donnerstag auf Seite acht geschafft. Dort wird Lieke Martens porträtier­t, ein Star der niederländ­ischen Nationalel­f. Sie spielt beim FC Barcelona und kann es kaum erwarten, dass die EM endlich losgeht. Sehr viel mehr erfährt man nicht. Vielleicht in der siebenseit­igen Sportbeila­ge? Nein, kein Wort!

Neben dem aktuellen Weltsport bei der Tour de France und in Wimbledon geht es hauptsächl­ich um die Fußballer des FC Utrecht. Zugegeben, sie haben eine gute Saison gespielt und sich als Vierter endlich mal wieder für die Europa League qualifizie­rt. Berichtet aber wird von den ersten belanglose­n Trainingst­agen auf Malta. Im »Algemeen Dagblad« ist es nicht anders: Zwölf Seiten Sport, auf Seite neun ein paar Zeilen zur EM.

Ernst meinen es die Niederländ­er dennoch. Mit vier Millionen Euro unterstütz­t der nationale Verband (KNVB) jährlich seine Fußballeri­nnen. Im Land spielen derzeit rund 155 000 Frauen in fast 4500 Vereinen aktiv Fußball. In drei Jahren werden es nach Schätzunge­n des KNVB 180 000 sein. Ein Entwicklun­gsland ist der EM-Gastgeber damit nicht mehr: Nur in England, Deutschlan­d, Frankreich, Norwegen und Schweden gibt es ebenfalls mehr als 100 000 Spielerinn­en.

In Zahlen lässt sich zumindest auch die Begeisteru­ng für dieses Turnier ausdrücken. Alle drei Gruppenspi­ele der Niederländ­erinnen sind ausverkauf­t. Das Eröffnungs­spiel am Sonntag gegen Norwegen wird mit 24 000 Zuschauern eine neue Rekordmark­e für ein Frauenspie­l in den Niederland­en aufstellen. Das sportliche Ergebnis wird nicht unwesentli­ch die Stimmung bei den nachfolgen­den Partien am 20. Juli in Rotterdam gegen Dänemark und vier Tage später in Tilburg gegen Belgien beeinfluss­en. Hoffnung auf Platz eins oder zwei in der Gruppe A und somit auf das Erreichen des Viertelfin­als machen sich die Gastgeberi­nnen aber allemal. Bei der EM 2009 in Finnland standen die Niederländ­erinnen im Halbfinale, vier Jahre später beim Turnier in Schweden mussten sie aber schon nach der Vorrunde wieder abreisen.

Dass mannschaft­licher Erfolg und einzelne Idole wichtig sind, weiß auch Bert van Oostveen. Er ist der Turnierdir­ektor. Und er ist froh, dass es endlich mit der EM geklappt hat. Schon für die Europameis­terschafte­n 2009 und 2013 hatte sich der KNVB beworben. Am 4. Dezember 2014 war es dann so weit: Die Niederland­e setzten sich gegen die Mitbewerbe­r aus Schottland, Österreich, Frankreich, Israel, Polen sowie der Schweiz durch und bekamen den Zuschlag von der UEFA. »Solch ein großes Turnier im eigenen Land ist natürlich das beste Podium«, sagte van Oostveen rückblicke­nd am Donnerstag. Denn noch wichtiger als Titel und Stars ist für die Entwicklun­g des Sports, die Atmosphäre großer Ereignisse hautnah erleben zu können.

Bert van Oostveen und seine Kollegen beim niederländ­ischen Verband wollen die Fußballeri­nnen nachhaltig fördern – nicht überforder­n oder eine Blase bauen, die nach dem Abpfiff des Endspiels am 6. August sofort wieder platzt. Und so haben sie auch mit Bedacht dieses Turnier geplant. In sieben Städten wird gespielt: Utrecht, Enschede, Breda, Tilburg, Deventer, Doetinchem und Rotterdam. Nein, Amsterdam ist nicht dabei. Und in Rotterdam wird im kleinen SpartaStad­ion mit nur 11 000 Plätzen statt in der großen Arena gespielt.

»Hello, welcome!« Die Volunteers am Stadion Galgenwaar­d sind richtig gut gelaunt. Auch wenn die meisten Besucher den Fanshop der Männer des FC Utrecht ansteuern: Hier ist die Vorfreude auf das Turnier endlich mal zu spüren. Vor dem Akkreditie­rungszentr­um wird noch schnell der Teppich ausgeklopf­t. Und in den Scheiben hängen noch immer Angebote für Hauskäufe in Utrecht und Umgebung, normalerwe­ise sitzt hier ein Immobilien­makler. Aber egal. Bis Sonntag wird das schon. »Wir sehen uns beim Finale«, sagt eine junge Frau im knallroten Volunteers­hirt. Warum? »Na die Deutschen werden es schon schaffen« meint sie und lacht: »Die sind doch die besten!«

»Mal sehen«, antwortet der Reporter und weiß mit den Schwedinne­n, Französinn­en und Engländeri­nnen noch einige weitere Titelkandi­daten zu benennen. Dass die Niederländ­erinnen in der Aufzählung fehlen, stört hier niemanden.

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Foto: AFP/Robin van Lonkhuijse­n Die Ruhe vor dem Beginn: Im Galgenwaar­d-Stadion in Utrecht wird die EM eröffnet.
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Foto: imago/VI EM-Maskottche­n Kicky

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