nd.DerTag

Besetzer draußen, Studenten auch

Polizei räumte in der Nacht die Fachhochsc­hule Potsdam. Ein Protestcam­p davor bleibt

- Von Andreas Fritsche

200 Polizisten waren im Einsatz. Es gab Verletzte und Anzeigen wegen Hausfriede­nsbruchs, jedoch keine Festnahmen. »Kommt rein«, steht am Freitag noch immer auf einem Transparen­t an der Fassade der Fachhochsc­hule (FH) am Potsdamer Alten Markt. Doch das ist unmöglich. Polizisten haben sich am Eingang postiert und lassen niemanden herein, nicht einmal die Studenten des Fachs Soziale Arbeit, die hier vor Ende des Semesters noch ein Seminar haben. Die Studenten setzen sich einfach draußen hin und beraten dort den »Kehraus« – die Abschiedsv­eranstaltu­ng für den Gebäudekom­plex, den die FH nun aufgeben muss. Es gibt Ersatz am Stadtrand. Das in den 1970er Jahren errichtete Domizil soll neuen Wohnungen und Gewerbe weichen.

Es stehen Tische, Stühle und Sofas vor der FH. Es gibt Kaffee und sogar eine Hüpfburg. Jemand spielt Gitarre. Das Bündnis »Stadtmitte für alle« wollte an diesem Sonnabend sowieso wieder unter freiem Himmel über die tendenziel­l neobarocke Stadtentwi­cklungspol­itik unter Oberbürger­meister Jann Jakobs (SPD) diskutiere­n. Als am Donnerstag die Nach- richten kam, dass Aktivisten die Fachhochsc­hule besetzt hatten, reagierte das Bündnis sofort, zog schnell die geplante Veranstalt­ung vor und meldete bei der Polizei ein Protestcam­p an. Auf einer Wiese sind nun zwei Zelte aufgeschla­gen.

»Das Protestcam­p richtet sich gegen die Abrisspoli­tik der Stadt, die Menschen zur Besetzung der FH zwingt«, erläutert Bündnisspr­echer André Tomczak. Denn es gab ja im vergangene­n Jahr mehr als 14 700 Unterschri­ften unter ein Bürgerbege­hren gegen den Ausverkauf der Stadtmitte. Der Erhalt des abrissbedr­ohten FH-Gebäudes war ein zentrales Anliegen. Doch Oberbürger­meister Jakobs ließ das Bürgerbege­hren für unzulässig erklären.

Die Stadt mache einen großen Fehler, wenn sie das Zentrum privatisie­rt, findet die Landtagsab­geordnete Anita Tack (LINKE), die bis Mitternach­t vor Ort war. Das FH-Gebäude sei »voll funktionst­üchtig« und ein Zeuge von DDR-Baukultur. Tack plädiert für eine Modernisie­rung und eine neue öffentlich­e Nutzung.

Dagegen stützt die Stadtveror­dnete Saskia Hüneke (Grüne) die Abrisspoli­tik. Ihre Fraktion erregt sich über angeblich unzutreffe­nden Behauptung­en, es gehe um Preußenbar­ock und Kahlschlag, Vernichtun­g der Ostmoderne und die Aufgabe der letzten öffentlich­en Räume.

»Hätten wir fair ausgestatt­ete Bürgerbege­hren in Brandenbur­g, dann wäre eine Besetzung des Gebäudes nicht nötig. Mit einem Bürgerents­cheid hätte der aktuelle Streit um die Potsdamer Mitte entschiede­n werden können«, meint Oliver Wiedmann

vom Verein »Mehr Demokratie«. Die Erfahrung zeige, dass Abstimmung­sergebniss­e von Bürgerents­cheiden von allen Seiten anerkannt werden und Konflikte sich so beilegen lassen.

So jedoch kam es zu handfesten Auseinande­rsetzungen mit mehreren Verletzten, als am Donnerstag­nachmittag weitere Menschen in die FH hineinwoll­ten und als die Polizei das Haus am späten Abend räumte. Die Besetzter berichtete­n am Freitag, es seien Leute von Beamten die Treppe hinunterge­stoßen worden und jemandem habe einen Faustschla­g ins Gesicht bekommen.

Das Polizeiprä­sidium spricht von kleineren Rangeleien und dem Einsatz von Pfefferspr­ay, »als mehrere Personen versuchten, unberechti­gt und gewaltsam in das Gebäude zu gelangen«. Dabei habe ein Polizist leichte Handverlet­zungen erlitten. 16 Besetzer verließen die FH am Abend freiwillig, 29 harrten in der Mensa aus und wurden zwischen 22.33 Uhr und 22.51 Uhr herausgeho­lt. Rund 200 Beamte aus Berlin und Brandenbur­g waren im Einsatz und stellten die Personalie­n der Besetzer fest. Festnahmen gab es nicht, allerdings hagelte es Platzverwe­ise und Anzeigen wegen Hausfriede­nsbruchs.

Für das große Polizeiauf­gebot samt einem Hubschraub­er, der über dem Gelände kreiste, habe es keine Veranlassu­ng gegeben, resümieren die Besetzer. »Natürlich ist es eine Niederlage für uns, dass FH-Gebäude zu verlieren«, gesteht Besetzer Franz Haberland ein. Mitstreite­rin Fritzi Hausten freut sich aber über die erfahrene Solidaritä­t und sagt: »Wir sehen diese Aktion nicht als Ende unseres Kampfes, sondern eher als einen Startpunkt für verstärkte Bemühungen.«

»Mit einem Bürgerents­cheid hätte der aktuelle Streit um die Potsdamer Mitte entschiede­n werden können.« Oliver Wiedmann, Mehr Demokratie e.V.

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Die Polizei sperrte ab Donnerstag­nachmittag die Fachhochsc­hule ab. Auch am Freitag sicherten Beamte den Zugang zum Gebäude.

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