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Winzlinge erobern Leipzigs tote Seen

Sachsen: Geflutete Tagebaulöc­her sind oft so sauer, dass Leben darin für Jahre unmöglich ist – doch es gibt Hoffnung

- Von Violetta Kuhn, Leipzig

Von ihrer Wasserchem­ie her ähneln Tagebausee­n sauren Vulkanseen. Manche Tiere und Pflanzen lassen sich trotzdem in dem unwirtlich­en Lebensraum nieder. Ein Bericht aus dem Leipziger Seenland in Sachsen. Recht nackte Ufer, trübes Wasser und am Horizont schickt ein Braunkohle­kraftwerk Dampfwolke­n gen Himmel – für Unwissende mag dieser See wenig verlockend aussehen. Für Robert Lange ist er etwas ganz Besonderes. Er beobachtet, wie sich hier Leben ansiedelt. »Die Chance hat man nur einmal im Leben, so etwas live zu sehen«, sagt der Mann mit den kurz geschorene­n Haaren.

Lange ist Tauchlehre­r am Zwenkauer See, im Süden der sächsische­n Messestadt Leipzig. Sein Revier ist noch jung. Früher wurde hier Braunkohle abgebaut, erst vor zehn Jahren begann die Flutung des Lochs. Jetzt ist erstes Leben darin sichtbar geworden. Und es entwickelt sich: Gerade mal eine Handvoll Stichlinge habe sich im vergangene­n Jahr im Einstiegsb­ereich zum Tauchrevie­r herumgetri­eben. Heute seien dort schon 20 bis 30 Fische unterwegs, sagt Lange. Auch Pflanzen breiteten sich aus.

Doch wie kommt das Leben überhaupt in einen vermeintli­ch so isolierten Lebensraum wie einen See? Bei normalen Seen gehe das recht schnell, sagt Brigitte Nixdorf, die an der Brandenbur­gischen Technische­n Universitä­t unter anderem zu Tagebausee­n forscht. Wasservöge­l brächten in ihrem Gefieder und an ihren Füßen Fisch- und Insektenei­er, erklärt sie. Der Wind blase Sporen und Samen in den See. Überflutun­gen schwemmten Leben ein: Fische, Krebschen und Larven. Und schließlic­h sei da noch der Mensch, der etwa Fische aussetzt.

Tagebausee­n wie der Zwenkauer See machen es dem Leben allerdings schwerer. Sie sind oft sehr sauer und ähneln von der Chemie her eher Vulkanseen als gewöhnlich­en Weich- wasserseen. Mehr als 500 solcher Seen gibt es in Deutschlan­d einem Bericht des Umweltbund­esamts zufolge. Viele davon liegen in der Lausitz und im rheinische­n Braunkohle­revier.

Die Säure entsteht durch das Graben nach Kohle und das Absenken des Grundwasse­rspiegels. »Dabei werden Erdschicht­en belüftet, die zuvor Jahrtausen­de lang abgeschott­et waren«, erklärt Jörg Gelbrecht, Chemiker am Leibniz-Institut für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei in Berlin. Dadurch wird eingelager­tes Pyrit – besser bekannt als Katzengold – unter anderem zu Schwefelsä­ure umge- wandelt. Und die fließt später etwa mit dem Grundwasse­r in den See, wo sie – je nach Konzentrat­ion – die Ansiedelun­g von höherem Leben erschwert bis unmöglich macht.

Auch der Zwenkauer See war zu Beginn sehr sauer. Tausende Tonnen Kalk, die ins Wasser gegeben wurden, haben seinen pH-Wert mittlerwei­le normalisie­rt. Doch immer wieder kann Säure aus dem Boden nachströme­n, wie die Lausitzer und Mitteldeut­sche Bergbauver­waltungsge­sellschaft (LMBV) erklärt, die in der Region für die Sanierung von stillgeleg­ten Tagebauen verantwort­lich ist. Bis diese Gefahr gebannt sei, dauere es mindestens Jahrzehnte, sagt Jörg Gelbrecht. Baden kann man trotzdem problemlos in Gewässern wie dem Zwenkauer See. Leicht saures Wasser schade dem Menschen in der Regel nicht, sagt der Chemiker.

Tiere, die auf Dauer darin überleben müssen, sind da anspruchsv­oller. Fische bräuchten einen pHWert von mindestens 5,5, um sich fortpflanz­en zu können, erklärt Brigitte Nixdorf. Muscheln, Krebsen und Schnecken setze Säure besonders zu – sie löse ihre Schalen und Panzer auf. Säuren mit großer Härte seien etwas, was nur wenige Arten vertrügen.

Und gleich doppelt schwer hätten es Pflanzen, erklärt Nixdorf. Denn Nährstoffe wie Phosphor werden im sauren Wasser gebunden und sind für die Pflanzen nicht verfügbar. Zudem gebe es darin wenig anorganisc­hen Kohlenstof­f, den die Pflanzen für die Photosynth­ese brauchen.

»Tot ist aber eigentlich fast gar kein Gewässer«, betont Nixdorf. Das Leben erobere auch saure Seen. »Bakterien sind fast immer drin.« Manche Pilze kämen ebenfalls mit saurem Wasser klar. Ihnen folge pflanzlich­es Plankton. Später siedelten sich größere Wasserpfla­nzen und Kleinsttie­re wie Wasserflöh­e oder Rädertierc­hen an. Noch später folgten bestimmte Insektenla­rven, die schließlic­h die Nahrungsgr­undlage für Fische bildeten – wenn das der Säuregehal­t erlaubt. Die Vielfalt in sauren Seen sei aber sehr gering, sagt Nixdorf. Und es gebe sehr verkürzte Nahrungske­tten.

Dieser Befund trifft wohl bislang auch auf den Zwenkauer See zu. Nur wenige Geiseltier­chen, Rädertierc­hen und einzellige Algen leben nach Angaben der LMBV dort. Von Fischen wisse man gar nichts, heißt es. Der See werde wohl auch langfristi­g nährstoffa­rm bleiben und immer wieder mit neuer Versauerun­g zu kämpfen haben. Für Tiere und Pflanzen dürfte er noch lange ein eher unwirtlich­er Lebensraum sein.

Robert Lange hat für sein Unterwasse­r-Revier aber Hoffnung. Bei einem seiner Tauchgänge habe er Stichling-Männchen beobachtet, die ihren Laich bewachten, erzählt er. »Es wird.«

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Foto: dpa/Violetta Kuhn Optimistis­ch: Tauchlehre­r Robert Lange

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