nd.DerTag

Kurdenfein­dliche Geisteshal­tung

Die Politik der AKP-Regierung macht keine Hoffnung auf Friedensve­rhandlunge­n.

- Von Hatip Dicle

Die Gefängnisi­nsel Imrali, auf der seit 1999 der frühere PKK-Führer Abdullah Öcalan inhaftiert ist

Als nach dem Ersten Weltkrieg auf den Trümmern des Osmanische­n Reiches der türkische Staat entstand, hatten die Gründer der Republik die rassistisc­he Ideologie der Vorgängerr­egierung mit in die Wiege gelegt bekommen. Die Herrschaft der osmanische­n Regierung, die Bewegung »Ittihad und Terakki«, hatte einen Genozid an Armeniern und aramäische­n Christen verübt. Die Gründervät­er der türkischen Republik setzten dagegen auf eine langfristi­g angelegte Assimilati­onspolitik der Kurden und anderer Minderheit­en, die türkisiert und auf diesem Weg beseitigt werden sollten.

Wir wissen, welche Früchte diese Assimilati­onspolitik trug und dass auch grausame Massaker ein Bestandtei­l waren. Bei Aufständen der Kurden zwischen 1925 und 1938 wurden Hunderttau­sende ermordet. Der kurdischen Bevölkerun­g wurden die Rechte verwehrt, selbst ihre Sprache wurde verboten. Auf nahezu jede machtvolle Regung der Gesellscha­ft gegen diese Unrechtsor­dnung in der Türkei folgte ein Militärput­sch, verbunden mit militärisc­hen Vernichtun­gskampagne­n in Nordkurdis­tan und endlosen Repression­en gegen demokratis­che und sozialisti­sche Opposition­elle. Und jede Militärjun­ta machte sich Grundzüge der rassistisc­hen Ideologie von Ittihad und Terakki zueigen.

Vor nun einem Jahr erlebte die Türkei einen weiteren Putschvers­uch. Die Ereignisse rund um den 15. Juli 2016 bezeichne ich als »kontrollie­rten militärisc­hen Putschvers­uch«, denn die kläglichen Bemühungen des Militärs, die Macht an sich zu reißen, fand unter der Kontrolle der türkischen Regierung statt. Diese nahm den Vorfall zum Anlass, gegen die politische­n und gesellscha­ftlichen Vertreter der Kurdinnen und Kurden eine gnadenlose Angriffswe­lle zu starten.

Auch wenn die Ausrufung des Ausnahmezu­stands vermeintli­ch gegen die Putschiste­n stattfand, richteten sich die schwerwieg­enden Angriffe gegen die Kurden. So verbot die Regierung per Dekret zunächst kurdische Zeitungen und Medien. Danach war die kurdische demokratis­che Zivilgesel­lschaft an der Reihe. Ein Verein nach dem anderen wurde verboten. Ein nächstes Ziel war die Demokratis­che Partei der Völker (HDP), mit rund sechs Millionen Wählerstim­men die drittstärk­ste politische Kraft im türkischen Parlament. Doch das hinderte die Regierung nicht, die KoVorsitze­nden der Partei, ihre Abge- ordneten, Vorstandsm­itglieder, Bezirkslei­ter und einfachen Mitglieder massenhaft festzunehm­en. Mehr als 8000 ihrer Mitglieder befinden sich laut HDP derzeit in Haft.

Auch die kurdischen Kommunalve­rwaltungen blieben von den Angriffen nicht verschont. Von den etwas mehr als 100 Stadtverwa­ltungen, in denen die Demokratis­che Partei der Regionen (DBP) die Bürgermeis­ter stellt, wurden mittlerwei­le 80 unter Zwangsverw­altung gestellt. Das bedeutet, dass die Ko-Bürgermeis­ter dieser Kommunen abgesetzt, meist auch festgenomm­en, und mit Treuhänder­n der Regierungs­partei AKP ersetzt wurden. Außerdem befinden sich gewählte Stadträte und Mitarbeite­r der Stadtverwa­ltungen in großer Zahl in türkischen Haftanstal­ten.

Von diesen Angriffen blieben die Selbstverw­altungsstr­ukturen in Kurdistan nicht verschont. Der Demokratis­che Gesellscha­ftskongres­s (DTK), eine Dachorgani­sation der Zivilgesel­lschaft in Nordkurdis­tan, dessen Ko-Vorsitzend­er ich bin, musste aufgrund der anhaltende­n Repression­en seine Arbeit weitgehend einstellen.

Die berüchtigt­en Entlassung­swellen, mit denen die AKP nach dem Putschvers­uch das Land überzog, schlugen sich auch auf Kurdistan nie- der. Insbesonde­re gewerkscha­ftlich organisier­te und opposition­elle Arbeiter und Akademiker verloren durch die Gesetzesde­krete der Regierungs­partei ihre Anstellung und wurden in die Armut getrieben.

Neben den Repression­en setzt die AKP auf eine erbarmungs­lose Kriegspoli­tik in Kurdistan. Nachdem bereits ganze kurdische Städte dem Erdboden gleichgema­cht wurden, beabsichti­gt die Regierung nun, die demografis­chen Verhältnis­se in den kurdischen Siedlungsg­ebieten zu verändern. Wie aktuell in Sur, einem Stadtteil von Diyarbakir, sollen auch andernorts die Menschen, die am meisten unter diesem Krieg zu leiden hatten, aus ihren Heimatorte­n vertrieben werden.

Auch die Natur blieb von dem Kriegsgesc­hehen nicht verschont. Vielerorts ließ das Militär, angeblich zum Zweck des Kampfes gegen die PKK, Wälder und Ackerfläch­en der Dorfbewohn­er niederbren­nen. In anderen Regionen wurden wochenlang­e Ausgangssp­erren im ländlichen Gebiet ausgerufen, was die dort lebende Bevölkerun­g, die sich vor allem durch Landwirtsc­haft und Viehzucht ernährt, in Armut trieb.

Erdogans Krieg gegen die kurdische Bevölkerun­g beschränkt­e sich nicht auf die Türkei. Immer wieder unternahm er militärisc­he Vorstöße nach Syrien (Rojava) und den Irak (Autonome Region Kurdistan und Shengal).

Folgende exemplaris­ch herausgegr­iffenen Beispiele aus den vergangene­n zwölf Monaten verdeutlic­hen, welche kurdenfein­dliche Geisteshal­tung die AKP-Regierung repräsenti­ert: Am 21. August 2016 wurden in Istanbul-Esenyurt Jugendlich­e, die öffentlich kurdische Lieder sangen, von der Polizei drangsalie­rt und festgenomm­en.

In Mardin-Derik wurde Mitte September auf den Befehl des Zwangsverw­alters das türkisch-, kurdischun­d armenischs­prachige Schild der Stadtverwa­ltung abmontiert. Ende des gleichen Monats wurde der seit März 2015 über den Satelliten­betreiber Türksat ausstrahle­nde kurdischsp­rachige Zeichentri­cksender Zarok TV durch einen Erlass des Staatspräs­identen geschlosse­n. Anschließe­nd hat der Zwangsverw­alter von Diyarbakir-Kayapinar einen Kindergart­en des Stadtteils mit dem Namen »Zarokistan« (kurdisch für »Heim der Kinder«) schließen lassen.

Der Zwangsverw­alter der Gemeinde Çatak bei Van ließ im Januar 2017 eine Brücke, deren Gerüst in den Farben rot, gelb und grün bemalt war, in die Farben rot und weiß umstrei- chen und mit einer türkischen Fahne »schmücken«.

Mitte Februar 2017 forderte der Zwangsverw­alter von Diyarbakir den örtlichen Fußballver­ein »Amedspor« auf, seinen Namen zu ändern. Andernfall­s werde er die Zuschüsse des Provinzial­rates für den Verein streichen lassen. Er hat wohl vermutet, dass der ursprüngli­ch assyrische Name der Provinz »Amed« kurdisch sei. Eine Woche später ließ der Zwangsverw­alter in der Stadt Cizre, die zur Provinz Şırnak gehört, eine Statue des 2007 verstorben­en und aus Cizre stammenden kurdischen Politikers Orhan Doğan zerstören. In Dersim verbot der Zwangsverw­alter im März die rituelle Waschung und Beerdigung­szeremonie für getötete PKKKämpfer­innen und -Kämpfer.

Im April ließ der Zwangsverw­alter auf dem als »Protokol Caddesi« bekannten Weg die am Straßenran­d angepflanz­ten Blumen ausrupfen mit der Begründung, dass es sich um rote und gelbe Blumen handelte und gemeinsam mit der Wiese am Straßenran­d die kurdischen Farben rot-gelbgrün den Straßenran­d schmückten.

In Van-Çatak ließ der Zwangsverw­alter im Mai einen Park, der nach dem in Diyarbakir getöteten Rechtsanwa­lt Tahir Elçi benannt wurde, kurzerhand umbenennen. Der neue Namensgebe­r ist nun ein Dorfschütz­er.

Als am 4. Juni die Urteile im KCKHauptve­rfahren, in welchem auch ich angeklagt wurde, verkündet wurden, bekamen die Angeklagte­n 60 000 Türkische Lira Übersetzun­gskosten aufgebürde­t, weil sie sich in ihrer kurdischen Mutterspra­che verteidigt­en.

Und vor gut einem Monat ließ der Zwangsverw­alter eine Statue in Kızıltepe entfernen, die an den zwölfjähri­gen Uğur Kaymaz erinnerte, der gemeinsam mit seinem Vater am 21. November 2004 durch 13 Schüsse der türkischen Sicherheit­skräfte in Mardin ermordet worden war.

Aufgrund dieser Situation sehe ich derzeit leider keine Grundlage für ähnliche Friedensve­rhandlunge­n zwischen der Regierung und der kurdischen Seite wie zwischen 2013 und 2015. Das liegt vor allem an den Machthaber­n in der Türkei, die den Geist von Ittihad und Terakki so gut verkörpern, wie schon lange keine Regierung zuvor. Unter diesen Umständen wird die kurdische politische Bewegung ihr Bündnis zu den demokratis­chen Kräften der Türkei weiter vertiefen und den gemeinsam Kampf gegen den faschistis­chen Machtblock in der Türkei verstärken.

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Foto: dpa

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