nd.DerTag

Beständige Feindschaf­t

Mit Griechenla­nd befindet sich die Türkei in einem Dauer-Clinch.

- Von Roland Etzel

Das griechisch-türkische Verhältnis ist eine Geschichte unaufhörli­cher Feindselig­keiten. Auch wenn der letzte heiße Krieg zwischen beiden Staaten bereits vor 95 Jahren zu Ende ging – es hat bis in die jüngste Zeit häufig nicht viel gefehlt an einem Waffengang zwischen zwei NATO-Mitglieder­n. Die Tatsache, ob in Ankara oder Athen Konservati­ve, Sozialdemo­kraten oder ein Militär-Regime an der Macht waren, spielte dabei keine Rolle.

Was selten genug vorkommt: In diesem Falle hat sogar die Zugehörigk­eit zum US-dominierte­n Militärbün­dnis mäßigend auf die griechisch-türkische Rivalität eingewirkt, hatte doch Washington, das beide Mittelmeer­staaten für seine Nah- und Mittelosts­trategie benötigte, kein Interesse daran, sich in einem etwaigen Konflikt auf eine Seite zu stellen. So blieb es in jüngerer Zeit bei gegenseiti­gen Drohungen.

Griechenla­nd musste allerdings zur Kenntnis nehmen, dass die Türkei mit ihrer Grenze zur Sowjetunio­n und ihrer langen Schwarzmee­rküste von den USA am Ende als der strategisc­h wichtigere Partner angesehen wurde. Und Athen hatte weitere amerikanis­che Entscheidu­ngen zu ertragen, die es als Demütigung­en emp- fand. Vor allem dass die NATO, sprich die USA, die bis heute anhaltende Invasion Nordzypern­s akzeptiert­e, sieht man in Athen bis heute als Verrat an den legitimen Interessen eines Verbündete­n an.

Entspreche­nd nationalis­tisch aufgeladen ist die politische Stimmung, wenn über den Nachbarn auf der anderen Seite der Ägäis geredet wird. Aber nicht nur das. Beide Seiten nehmen die vermeintli­che Drohung der anderen Seite zum Vorwand, um Unsummen für Rüstung auszugeben. Griechenla­nd, dessen finanziell­e Schieflage hinlänglic­h bekannt ist, leistet sich einen Militärhau­shalt, der mit auch zuletzt noch 2,4 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts den aller anderen europäisch­en NATO-Mitglieder übertrifft.

Gegenüber dem Putsch vom 15. Juli hat sich Athen korrekt, mithin neutral verhalten – nach seiner Einschätzu­ng, nicht nach der türkischen. Streitpunk­t ist vor allem das Asylgesuch acht türkischer Militärang­ehöriger, deren Begehr auf politische­s Asyl in Griechenla­nd nach Prüfung durch die Gerichte stattgegeb­en wurde. Die acht türkischen Soldaten waren in der Putschnach­t mit einem Hubschraub­er auf dem Flughafen der nordgriech­ischen Grenzstadt Alexandrou­poli gelandet, vorgeblich wegen technische­r Probleme, um am Ende aber den Grenzübert­ritt als Flucht und mithin politisch zu begründen.

Die Angelegenh­eit ist insofern von besonderer Brisanz, als der Ausgangspu­nkt des Hubschraub­erfluges eben jener Militärsta­ndort ist, von dem die Revolte gegen Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan ausgegange­n sein soll. Allerdings bestreiten die Geflüchtet­en entschiede­n, darin verwickelt gewesen zu sein. »Die Soldaten befinden sich in einer Notsituati­on«, argumentie­rte ihre Anwältin Menia Polychroni der Athener Zeitung »Kathimerin­i«. Zusammen mit weiteren Hubschraub­erbesatzun­gen hätten sie den Befehl gehabt, Verletzte aus den Straßen in Istanbul zu bergen. Plötzlich aber sei man von anderen bewaffnete­n Verbänden beschossen worden. Deshalb die überstürzt­e Flucht nach Griechenla­nd.

Dass sie im nun entfesselt­en türkischen medialen Dauerfeuer ohne weitere Begründung nur noch als Politverbr­echer und Verräter bezeichnet worden waren, machte es den Flüchtling­en sogar leichter, war damit doch offensicht­lich, dass man sie vorverurte­ilte und sie kaum mit einem rechtsstaa­tlichen Verfahren rechnen durften. Ob nun in den Putsch verwickelt oder nicht – ande- re Soldaten, die sich in Gefahr wähnten und nach Bulgarien flohen, haben sich falsch entschiede­n: Sofia hat ausgeliefe­rt.

Wird sich auch Athen noch einmal umentschei­den? Durchaus möglich. Zwar kann sich an den Fakten der Flucht nichts mehr ändern, wohl aber am Ergebnis der Abwägung politische­r Interessen in Athen. Man scheint dort keineswegs Genuss zu empfinden, Erdogan mal eins auswischen zu können. Vor allem zwei Dinge sind es, die Athen vor einer jähzornige­n Reaktion Erdogans zittern lassen. Zum einen ist da perspektiv­isch die Aussicht auf preiswerte­s russisches Erdgas, das man aber nach Lage der Dinge nur über eine Pipeline durch das Schwarze Meer via Türkei erlangen kann, halbwegs gute Beziehunge­n zu Ankara vorausgese­tzt.

Das ist freilich noch Zukunftsmu­sik. Sehr gegenwärti­g ist die Sorge, die Türkei würde die Vereinbaru­ngen in der Frage der Kriegsflüc­htlinge platzen lassen. Erst seitdem das Flüchtling­sabkommen zwischen der EU und der Türkei in Kraft ist, landen nicht mehr täglich Hunderte Flüchtling­e auf Schlauchbo­oten auf den griechisch­en Inseln in der Ägäis. Die türkischen Behörden tun seit etwas mehr als einem Jahr das, was sie vorher nicht taten: Sie hindern die Menschen aus Afghanista­n, Irak und Syrien schon an der türkischen Küste daran, sich auf den Weg über das Meer nach Chios, Kos oder Lesbos zu machen. Damit hat nicht nur die Regierung von Alexis Tsipras eines von vielen Problemen weniger, solange Erdogan die Land- und Seegrenze verschloss­en hält.

Die Militärs scheinen dabei nicht immer mitspielen zu wollen und nur allzu bereit zu sein, den labilen Status quo immer wieder mal aufs Spiel zu setzen. Trotz verbessert­er Beziehunge­n kam es so auch in den letzten Jahren über der Ägäis immer wieder zu Abfangmanö­vern der beiden Luftstreit­kräfte. Es kostet nebenbei Unsummen, die vor allem Griechenla­nd gar nicht hat.

Auch auf See spielt man mit dem Feuer, erst vorige Woche wieder. Ankara hat der griechisch­en Küstenwach­e vorgeworfe­n, Schüsse auf ein türkisches Frachtschi­ff abgefeuert zu haben. Der Kapitän hatte sich geweigert, sein Schiff im Hafen der griechisch­en Insel Rhodos auf geschmugge­lte Drogen durchsuche­n zu lassen. Selbst wenn es nur Warnschüss­e gewesen sein sollen – die aufgeregte Reaktion beider Verteidigu­ngsministe­rien hat aus einer Lappalie einmal mehr einen griechisch-türkischen Krieg der Worte werden lassen.

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Foto: imago/Vassilis Asvestopou­los

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