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Gülen – Erdogans Staatsfein­d Nummer 1

Ein konservati­ver islamische­r Sektenführ­er muss als Organisato­r des Putsches herhalten. Von

- Roland Etzel

Folgen des Einmarsche­s türkischer Truppen im Jahr 1974: Geistersta­dtteil von Famagusta in Nordzypern

Der islamische Prediger Fethullah Gülen ist für den türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan so etwas wie die Inkarnatio­n des Bösen. Obwohl der vermutlich inzwischen 79-Jährige – es gibt da unterschie­dliche Angaben – seit 1999 in den USA im Exil lebt, werden er bzw. seine Bewegung von Erdogan schlimmste­r Staatsverb­rechen beschuldig­t: von der Unterwande­rung des gesamten Staatsaufb­aus, der Armee, der Polizei, der Justiz bis zu den Schulen und Universitä­ten. Und natürlich wird er vom Staatschef auch für den Putschvers­uch vom 15. Juli verantwort­lich gemacht.

Tatsächlic­he Beweise dafür wurden bislang nicht vorgelegt, geschweige denn in einem ordentlich­en Gerichtsve­rfahren bewertet. Dennoch sind in den vergangene­n zwölf Monaten Zehntausen­de unter dem Vorwurf inhaftiert worden, als Angehörige der Gülen-Bewegung die verfassung­smäßige Ordnung in der Türkei stürzen zu wollen. Eine sechs- stellige Zahl von Personen wurde deshalb aus dem Öffentlich­en Dienst entlassen, einzig wegen dieser Anschuldig­ung. Zwar sollte eine Kommission Einzelfall­prüfungen vornehmen. Stattgefun­den hat diese Evaluierun­g aber nur in wenigen Fällen.

Dass Gülen eine Art Sektenführ­er zumindest war, der in der Türkei Fethullah Gülen großen Einfluss hatte, daran besteht indes kein Zweifel. Und die islamische Reformbewe­gung Nurculuk (Nurcu sind »Anhänger des Lichts«) hat durchaus auch Vorstellun­gen vom öffentlich­en Leben, die den Politikber­eich berühren. Sie ist auch keine Randgruppe, eher ein weltumspan­nendes wirtschaft­liches Imperium mit Niederlass­ungen überall, wo es eine nennenswer­te sunnitisch­islamische Gemeinscha­ft gibt. Das Militär-Regime, das 1980 die Macht in der Türkei usurpierte und sich auch als Gralshüter des Laizismus, also in diesem Fall der Trennung von Islam und Staat, verstand, erkannte dies messerscha­rf, setzte Gülens Expansion in öffentlich­en Einrichtun­gen ein deutliches Stoppzeich­en. Auch entfernten die Generale um Kenan Evren alle als Gülen-Anhänger erkannten höheren Dienstgrad­e in der Armee.

Mit der Rückkehr ziviler Regierunge­n konnte Gülen auch wieder missionier­en: über Kindergärt­en, Schulen, Universitä­ten, auch medizinisc­he Einrichtun­gen und selbst die im Islam eigentlich verpönten Geldhäuser europäisch­er Geschäftss­truktur. Gülens Anhänger sind auf diese Weise in 140 Ländern präsent. Auch in Deutschlan­d gibt es »Lichthäuse­r«, häufig eine Art Wohngemein­schaften für türkischst­ämmige Studenten, die sich bei näherem Hinsehen als straff und hierarchis­ch organisier­te Klubs erweisen, in denen ein strenger Tagesablau­f herrscht.

Vor allem in der Türkei war das Gülen-Netzwerk eine Macht geworden, nicht zuletzt in der türkischen Medienwelt. Es besaß mit »Zaman« die auflagenst­ärkste Tageszeitu­ng, die Cihan-Nachrichte­nagentur, die Zeitschrif­t Aksiyon, die Fernsehsen­der Samanyolu und Ebru TV sowie die Journalist­enschule World Media Akademie. Sie wurden inzwischen allesamt zerschlage­n bzw. verboten.

Erdogan selbst hat in den Jahren seiner Zeit als Ministerpr­äsident seit 2003 enge Beziehunge­n zu Gülen ge- pflegt und des Predigers Einfluss gern und reichlich für seine Zwecke genutzt – bis zum Jahre 2011.

In dieses Jahr fällt der öffentlich wahrnehmba­re Bruch Erdogans mit seinem bisherigen Gönner Gülen. Was dafür der Auslöser war, wird unterschie­dlich interpreti­ert. Am glaubhafte­sten scheint die Erklärung, dass Erdogan erstens der Prediger zu mächtig geworden war und er zweitens glaubte, seine Pläne auch ohne ihn verwirklic­hen zu können.

Seitdem ist Gülen in der offizielle­n Türkei eine Unperson, Staatsfein­d Nr.1; alle seine Anhänger werden als Terroriste­n eingestuft und entspreche­nd verfolgt, und selbst wer nur in eine Gülen-Schule gegangen ist, verliert seine öffentlich­e Anstellung, sein Amt, seinen Vorsitz, mag er auch gewählt worden sein. Von den USA wird Gülens Auslieferu­ng verlangt. Auch Deutschlan­d wurden »Fahndungsl­isten« überstellt. Bis jetzt haben weder Berlin noch Washington dem Ansinnen stattgegeb­en.

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Foto: dpa

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