nd.DerTag

Eine zweigeteil­te Existenz

Olaf Scholz ist ein nüchterner Machtpolit­iker, der gegen sein steifes Image ankämpft.

- Von Folke Havekost

Für Hamburgs Bürgermeis­ter ist es ein kosmopolit­isches Gipfeltref­fen: Olaf Scholz sitzt im Ledersesse­l auf der Bühne. Grauer Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte. Stilvoll, aber nicht steif soll es sein. Die Blicke liegen auf ihm. Und auf Teju Cole, der neben ihm sitzt und mit ihm diskutiere­n wird. Scholz hat den Autor aus New York gepriesen, wo er nur konnte, und das Buch »Open City« als roten Faden in seine Grundsatzr­ede »Hamburg, Europa und die Grenzen« von 2014 eingefloch­ten. Das Treffen im Herbst 2016 findet in der Außenstell­e des Thalia-Theaters in der Gaußstraße statt. In Hamburg-Altona, dem Wohnort von Scholz, den er ab 1998 dreizehn Jahre lang im Bundestag vertreten hat. Heimspiel für den Bürgermeis­ter. Als beide auf der Bühne über Wahlen, Teilhabe und den Umgang mit Flüchtling­en sprechen, nutzt Scholz mehrfach die Gelegenhei­t, die Weltoffenh­eit seiner Hansestadt zu preisen. An einem Punkt so sehr, dass Cole intervenie­rt: Er möge doch bitte als Mensch reden, nicht als Politiker.

Da ist sie wieder, die Zweiteilun­g. Mag sein Umfeld auch davon berichten, dass man es dem Bürgermeis­ter anmerkt, wenn ihn etwas bewegt. Dass er lacht, wenn er sich freut, und dass er, etwa durch den Austausch mit Künstlern, gern über den eigenen Tellerrand hinausblic­kt. Sein Ruf lässt ihn nur schwer los: Bevor Scholz für die SPD Wahlen gewann, galt er als Apparatsch­ik, als kühler Stratege, als gutorganis­ierte Langeweile in Person. »Scholzomat« taufte ihn »Die Zeit« vor anderthalb Jahrzehnte­n, als er als SPDGeneral­sekretär die Agenda 2010 in spröden Worten verteidigt­e. Der 59Jährige versucht, den persönlich­en und den politische­n Scholz unter dem Rubrum »leidenscha­ftlicher Realismus« zu vereinen. Das gelingt in besseren Tagen mehr und manchmal weniger.

Am Mittwoch ist kein besonders guter Tag. Scholz steht vor der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft und rechtferti­gt sich für die gewaltsame­n Zwischenfä­lle beim G20-Gipfel. Dunkler Anzug, weißes Hemd, hellrote Krawatte mit Punkten. Staatstrag­end, aber nicht steif soll es sein. Um sein politische­s Überleben muss er nicht kämpfen; es ist weit und breit keiner da, der ihn gefährden kann.

Scholz redet 35 Minuten, den Blick aufs Manuskript gerichtet. Seine Stimme stockt manchmal, bleibt aber nüchtern. Er entschuldi­gt sich bei den Hamburgern und zählt seine Besuche im Polizeiprä­sidium und bei Betroffene­n auf, um das Bild vom Freitagabe­nd zu verdrängen, als der Bürgermeis­ter in der Elbphilhar­monie saß, während das Schanzenvi­ertel aus den Fugen geriet. Gleich zweimal nennt er die eingesetzt­en Polizisten »heldenhaft«. Auf die restriktiv­e Handhabung von Grundrecht­en durch eine politisch freischweb­ende Polizeifüh­rung während der Gipfeltage geht er nicht ein.

Dann blickt er von seinem Manuskript auf nach links und folgt einem Muster: In Krisenzeit­en bloß nicht von rechts angreifbar sein. Neben dem »kriminelle­n Mob« treffe eine »Mitverantw­ortung auch jene, die, aus welchen Gründen auch immer, solche Taten verharmlos­en oder sogar als politische­s Handeln rechtferti­gen«. Die Rote Flora ist gemeint. Für Linksextre­misten dürfe es »keine Handbreit Spielraum« geben, verlangt Scholz, ohne auf die Forderung der CDU nach einer Räumung des autonomen Kulturzent­rums einzugehen.

Scholz kennt das Muster, sich nach rechts abzusicher­n. 2001 kehrte er als Bundestags­abgeordnet­er aus Berlin nach Hamburg zurück und wurde Innensenat­or, weil die SPD fürchtete, ohne einen starken Mann die anstehende »Schill-Wahl« zu verlieren. Der neue Senator ordnete an, mutmaßlich­en Drogenhänd­lern Brechmitte­l zu verabreich­en. »Ich bin liberal, aber nicht doof«, erklärte der einstige Jungsozial­ist vom linken Flügel seinen Law&Order-Kurs. Die SPD verlor trotzdem die Macht, ein Vierteljah­r später starb ein Nigerianer nach einem Brechmitte­leinsatz – für seine Gegner eine mittelbare Folge aus Scholz’ Wahlkampf. Die linke Szene hat einen Platz nach Achidi John benannt. Es ist der Platz vor der Roten Flora am Schulterbl­att, auf dem am G20-Wochenende die schwersten Auseinande­rsetzungen stattfande­n.

»Die Hamburger erwarten von ihren Bürgermeis­tern, dass sie in der bundespoli­tischen Debatte eine Rolle spielen«, hat Scholz seine Rolle in besseren Tagen definiert. Doch diese Debatte zum Ausklang seiner Gastgeberr­olle für die Weltherrsc­haften hat er nicht erwartet. Er ist aus der Rolle gefallen. Denn Scholz ist Bürgermeis­ter, damit alles normal läuft in einer Stadt, die nicht auffallen will, das aber möglichst deutlich.

In der nüchternen Kaufmannsm­etropole ist Scholz mit seinem dezenten Präsidials­til zum stillen Star geworden, spätere Kanzlerkan­didatur nicht ausgeschlo­ssen. Vorbei schien es mit dem Auf und Ab der »Nullerjahr­e«, als der gelernte Anwalt für Arbeitsrec­ht als Generalsek­retär fast von der eigenen Partei abgewählt wurde. In Hamburg hauchte Scholz der von Intrigen gebeutelte­n SPD neues Leben ein, als er 2009 den Landesvors­itz übernahm. »Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt«, lautete sein Leitsatz. Für die absolute Mehrheit 2011 erhielt er zum Dank die Spitznamen »kleiner König« und »geliebter Führer«. Nach sechs Jahren im Amt trifft den einstigen Krisenmana­ger nun die erste ernsthafte Krise. »Ich bin tief bewegt von unserer Stadt, weil sie sich auch nach diesem Sturm schnell wieder aufrichtet«, sagt Scholz am Mittwoch vor der Bürgerscha­ft. Das soll auch für den Redner gelten.

Mag sein Umfeld auch davon berichten, dass man es dem Bürgermeis­ter anmerkt, wenn ihn etwas bewegt. Dass er lacht, wenn er sich freut, und dass er, etwa durch den Austausch mit Künstlern, gern über den eigenen Tellerrand hinausblic­kt. Sein Ruf lässt ihn nur schwer los.

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Foto: dpa/NDR/Wolfgang Borrs Derzeit schwer unter Beschuss: Olaf Scholz

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