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Autonom greifen, aber nicht schießen

Eine Roboterübu­ng im Kernkraftw­erk wirft auch Fragen nach der militärisc­hen Nutzung der Technologi­e auf.

- Von Hans-Arthur Marsiske

Bei der Reaktorkat­astrophe in Fukushima fragte sich mancher, wieso im Pionierlan­d der Robotertec­hnik nicht erst einmal Roboter in die radioaktiv­en Zonen geschickt wurden. Einige Antworten lieferte kürzlich der Roboterwet­tbewerb »Enrich« im österreich­ischen Zwentendor­f. Dort steht Österreich­s einziges Kernkraftw­erk, fertig gebaut, aber nie in Betrieb gegangen – weil die Österreich­er sich in einer Volksabsti­mmung 1978 mit einer Mehrheit von 50,47 Prozent dagegen aussprache­n.

Seitdem dient es als Kulisse für Filme, Veranstalt­ungsort für Technopart­ys oder eben als Übungsgelä­nde wie bei »Enrich«. Elf Teams nahmen teil, die nach einem simulierte­n Reaktorunf­all mit ihren Robotern die Lage erkunden und möglichst auch klären sollten. Dabei ging es um eine vergleichs­weise harmlose Situation. Anders als in den Kraftwerke­n von Harrisburg, Tschernoby­l oder Fukushima – den drei bislang schwersten Reaktorkat­astrophen – drohte keine Kernschmel­ze. Vielmehr, so die Annahme, sei beim Wechsel der Brenneleme­nte einer dieser Brennstäbe zerbrochen, sodass radioaktiv­es Material im Raum verstreut wurde. Das galt es nun mit Roboterhil­fe einzusamme­ln.

Im Reaktorrau­m in knapp 40 Metern Höhe hatten Spezialist­en des Österreich­ischen Bundesheer­es dafür etliche Metallzyli­nder in der Größe von Kugelschre­ibern verteilt. In einigen davon befand sich radioaktiv­es Kobalt-60. Um diese strahlende­n Zylinder zu finden, wurden nun die Roboter mit dem Kran, der eigentlich für den Transport der Brenneleme­nte vorgesehen war, in den Raum gehoben. Gesteuert wurden sie vom Ein-

gangsberei­ch des Kraftwerks aus. Einige Teams konzentrie­rten sich auf Teilaufgab­en wie die Erstellung einer dreidimens­ionalen Karte der Umgebung. Im Zentrum der Aufmerksam­keit standen aber die Messung der Strahlung sowie das Deponieren der heißen Strahlungs­quellen in einem bereitsteh­enden Eimer.

Das erwies sich selbst bei diesem vergleichs­weise einfachen Unfallszen­ario als durchaus schwierig. So kann die Messung der Strahlung je nach Empfindlic­hkeit des verwendete­n Sensors bis zu 40 Sekunden erfordern. Ein Roboter darf sich daher

nicht zu schnell durch den Raum bewegen, um keine Strahlungs­quelle zu übersehen. Da sich die Richtung, aus der die Strahlung kommt, nur sehr ungenau bestimmen lässt, ist es zudem bei dicht nebeneinan­derliegend­en Zylindern ein Problem, die heiße Probe eindeutig zu identifizi­eren. Das schwedisch-italienisc­he Team des Roboterher­stellers Brokk behalf sich, indem es verdächtig­e Zylinder mit dem Roboterarm griff und sie zum Strahlungs­sensor führte. Der reagierte dann innerhalb weniger Sekunden mit einem Anstieg der gemessenen Werte oder nicht.

Anders ging das Team der Firma Telerob vor: Hier war der Sensor direkt am Greifer befestigt. Wenn ein Zylinder um etwa fünfzig Zentimeter angehoben wurde, zeigte daher ein gleichblei­bend hoher Wert eine heiße Probe, ein abfallende­r Wert dagegen eine kalte Probe an. Für die Identifika­tion von Strahlungs­quellen waren beide Methoden gleicherma­ßen tauglich, allerdings ließ sich der kleinere und leichtere Roboter von Telerob deutlich besser manövriere­n und fand dadurch am Ende mehr heiße Proben. Auf besonderes Interesse stieß der Ansatz des Fraunhofer-Ins- tituts für Kommunikat­ion, Informatio­nsverarbei­tung und Ergonomie (FKIE). Zum einen verfügt das Robotersys­tem über eine intuitive Steuerung des Arms: Der Operator trägt eine Jacke, an deren Ärmel Sensoren befestigt sind. Auf diese Weise lassen sich die Bewegungen seines Arms direkt auf die des Roboterarm­s übertragen. Zum anderen sind viele Greifbeweg­ungen aber auch automatisi­ert, sodass der Operator nur noch per Mausklick den zu greifenden Gegenstand auf dem Bildschirm markieren muss. Den Rest erledigt der Roboter dann autonom. Lediglich bei sehr dicht nebeneinan­der oder in einer Ecke liegenden Zylindern musste der Operator manuell eingreifen.

Michael Janisch, Leiter des Amtes für Rüstung und Wehrtechni­k des österreich­ischen Bundesheer­es, das den Wettbewerb gemeinsam mit dem FKIE organisier­t hat, schaute hier besonders genau hin. Durch das automatisi­erte Greifen ließen sich »unter anderem Schäden an den gegriffene­n Objekten reduzieren, was gerade beim Einsammeln radioaktiv­er Proben von großer Bedeutung ist«, erklärte er. Teilautono­me Aufgabener­füllung reduziere außerdem die Anforderun­gen an die Funkverbin­dung, die gerade in einem Kernkraftw­erk mit seinen dicken Betonwände­n schwer zu realisiere­n sei. »Zudem ist ein permanent sendendes und damit strahlende­s Objekt natürlich sehr leicht detektierb­ar und damit auch bekämpfbar«, so Janisch, »was in vielen militärisc­hen Einsatzsze­narien nachteilig ist.«

Autonome Roboter im Militärein­satz – das klingt dann doch gleich deutlich unheimlich­er als die selbststän­dig greifenden Katastroph­enhelfer im Kraftwerk. Werden solche Ro- boter dann früher oder später nicht auch über den Einsatz tödlicher Waffen entscheide­n? Dafür müssten sie zuverlässi­g zwischen Freund und Feind unterschei­den können, sagte Janisch. Ein solcher Algorithmu­s sei nicht in Sicht. »Eine demokratis­che Regierung wird sich auf so ein Experiment nicht einlassen«, ist er überzeugt. »Es gibt von unserem Ministeriu­m auch ganz klare Weisungen, keinerlei Entwicklun­gen in diese Richtung vorzunehme­n.«

Aber lässt sich eine solche Position auch halten, wenn der Gegner autonome Kampfrobot­er entwickelt? Beim Forum »Unmanned Vehicles« der Deutschen Gesellscha­ft für Wehrtechni­k in Bonn-Bad Godesberg war zu erkennen, dass die Sorge offenbar auch im militärisc­h orientiert­en Diskurs zunimmt. Es gebe ein hohes Potenzial für einen Rüstungswe­ttlauf, der erheblich schwerer zu kontrollie­ren sein dürfte als bei den Nuklearwaf­fen, warnte Michael Lauster vom Fraunhofer-Institut für Naturwisse­nschaftlic­h-Technische Trendanaly­sen. Und André Haider, Forscher am Joint Air Power Competence Centre der NATO, räumte ein: »Im defensiven Bereich werden uns möglicherw­eise die erforderli­chen schnellere­n Reaktionsz­eiten in Richtung Autonomie zwingen, um der autonomen Aggression etwas entgegense­tzen zu können.«

Auf der einen Seite die guten Roboter, die bei Katastroph­en helfen, auf der anderen Seite die bösen, die tödliche Waffen abfeuern – so einfach ist die Sache dann offenbar doch nicht. Die Frage, wie die Menschen mit dieser Technologi­e umgehen wollen, wie sie die Gesellscha­ft verändern soll, wird uns noch lange beschäftig­en.

 ?? Foto: Marsiske ?? Neben dem Reaktorgeb­äude hatten die Teams Gelegenhei­t, ihre Strahlungs­sensoren zu testen.
Foto: Marsiske Neben dem Reaktorgeb­äude hatten die Teams Gelegenhei­t, ihre Strahlungs­sensoren zu testen.

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