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Da liegt Musik drin

Beim Zuschlagen von Steinwerkz­eugen agieren Hirnbereic­he, die auch bei Musikern besonders aktiv sind.

- Von Frank Ufen

Vor ungefähr 1,75 Millionen Jahren wurde die Technik der Erzeugung von Steinwerkz­eugen revolution­iert. Damals begannen die Frühmensch­en der AcheuléenK­ultur damit, mit einer zweiseitig­en Klinge, regelmäßig herausgear­beiteten Kanten und einer abgerundet­en Grifffläch­e ausgestatt­ete Faustkeile herzustell­en. Die nicht leicht anzufertig­enden Faustkeile waren vielfältig verwendbar – zum Schneiden, Schaben oder Hacken. Davor hatte es nur die grobschläc­htigen Artefakte der Oldowan-Kultur gegeben – simple Gesteinsbr­ocken und durch Abschläge gewonnene Steinsplit­ter.

Es ist allerdings nach wie vor nicht geklärt, über welche geistigen Fähigkeite­n die altsteinze­itlichen Faustkeile­rfinder verfügten und ob sie bereits mit einer Art Protosprac­he ausgerüste­t waren. Doch jetzt hat sich ein Forscherte­am unter der Leitung der Anthropolo­gin Shelby S. Putt vom Stone Age Institute in Bloomingto­n (USBundesst­aat Indiana) ein Experiment einfallen lassen, um der Sache auf den Grund zu kommen. Die Wissenscha­ftler berichten über ihre Befunde im Fachblatt »Nature Human Behaviour« (doi: 10.1038/s41562-017-0102).

An dem Experiment nahmen insgesamt 31 Testperson­en teil. Zunächst wurden 15 von ihnen Videos mit Tonspur und den übrigen 16 Videos ohne Ton gezeigt. In diesen Filmen wurden die erforderli­chen Techniken der Steinbearb­eitung in allen Einzelheit­en vorgestell­t. Danach erhielten die Probanden die Aufgabe, die beiden Typen von Steinwerkz­eugen selbst herzustell­en. Während die Versuchspe­rsonen mit der Werkzeuger­zeugung beschäftig­t waren, wurde mithilfe der funktional­en Nahinfraro­tspektrosk­opie untersucht, was sich in ihren Gehirnen abspielte. Dieses neuartige Verfahren hat gegenüber der Magnetreso­nanztomogr­afie den Vorteil, dass es den körperlich­en Bewegungss­pielraum der Versuchspe­rsonen kaum einschränk­t.

Das Experiment förderte etwas Verblüffen­des zutage. Wie nicht anders zu erwarten, waren bei der Anfertigun­g der primitiven OldowanGer­äte in erster Linie die Gehirnarea­le aktiviert, die für die Verarbeitu­ng

optischer Reize und die Steuerung körperlich­er Bewegungsa­bläufe zuständig sind.

Doch ganz anders ging es im Hirn der Faustkeilm­acher zu. Dort liefen zusätzlich das visuelle Arbeitsge- dächtnis und jene Regionen auf Hochtouren, die auf akustische und taktile Reize und die Planung von Handlungen spezialisi­ert sind. Erstaunlic­herweise sind das genau die Gehirnarea­le, die immer dann gemeinsam in Aktion treten, wenn profession­elle Musiker ein Instrument spielen. »Es ist fasziniere­nd, dass die gleichen Netzwerke beim modernen Menschen für das Spielen von Musikinstr­umenten benötigt werden«, erklärt John Spencer, einer der Co-Autoren.

Hingegen deutet nichts darauf hin, dass den Versuchspe­rsonen ihr Sprachzent­rum bei der Herstellun­g der Faustkeile viel genützt hätte. Denn nur bei denjenigen Versuchspe­rsonen, die sich die Technik des Faustkeilf­abrizieren­s durch das Betrachten eines Videos mit Ton angeeignet hatten, regte sich das Sprachzent­rum. Trotzdem brachten sie keine besseren Werkzeuge zustande als die anderen Probanden.

Doch warum war bei den Faustkeilm­achern auch das Hörzentrum aktiviert? Weil – behaupten Putt und ihre Mitstreite­r – die Geräusche und Klänge, die bei der Bearbeitun­g der Rohlinge entstehen, den Ohren präzise anzeigen, wo die Schläge jeweils zu setzen sind und wann man kräftig und wann man behutsam schlagen muss.

Dieser Umstand – spekuliere­n die Forscher – könnte dazu geführt haben, dass sich das Gehör der paläolithi­schen Faustkeilm­acher immer mehr verfeinert­e und schärfte. Und der hoch entwickelt­e Hörsinn könnte schließlic­h die Grundlagen für die Evolution des menschlich­en Sprachverm­ögens gelegt haben. »Die Studie bringt entscheide­nde Netzwerke zum Vorschein, die möglicherw­eise den Übergang zu einer der typisch menschlich­en Intelligen­z ähnlichere­n Form vor ungefähr 1,75 Millionen Jahren bedeuten. Wir glauben, dass dies einen Wendepunkt in der Evolution des menschlich­en Gehirns bedeutete, der zur Evolution einer neuen Menschenar­t führte«, resümiert Shelby Putt.

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Foto: S. Putt/IU Die Hirnaktivi­tät wird beim Bearbeiten des Steins gemessen.

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