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Zu Hause wartet die Tambura

Im Sindscharg­ebirge wurden Tausende Jesiden vom IS ermordet oder verschlepp­t. Einige Frauen schlossen sich daraufhin den Peschmerga an. Ein Besuch in ihrer Kaserne.

- Von Hammed Khamis

Als ihre Erzählung sich den Kindern des Genozids im Sindscharg­ebirge nähert, füllen Tränen ihre müden Augen. Ein neues, frisches Taschentuc­h lehnt sie ab. Sie behält immer ein Taschentuc­h in ihrer Hand. Ein Journalist habe es ihr geschenkt. Ein Moslem. Seine Tränen sind auch darin. In ihrer Welt sind solche Tränen heilig, sagt Khattun Khider. Sie ist Leiterin des Frauenbata­illons der Peschmerga-Kämpfer.

Früher war sie einmal Sängerin gewesen. Aus Khiders Leben gibt es nur Bitteres zu berichten. Ihr Vater kämpfte im Iran-Irak-Krieg und kam in Haft. Die Familie stand wirtschaft­lich schlecht da. Khider musste die Schule während des sechsten Schuljahre­s abbrechen, züchtete fortan in den Bergen von Sindschar Schafe und Ziegen. Als Ventil, um Druck abzubauen, fing sie an, auf einer Tambura zu spielen und ihre Gedanken in Gesang umzuwandel­n. Das traditione­lle Zupfinstru­ment hatte sie sich von ihrem Schwager besorgen lassen. Eine Musikschul­e gab es nicht. So musste sie sich das Spielen selbst beibringen. Ihre Texte sind emotional. Fast immer klagt sie in den Liedern über das Leid, welches ihr und den Menschen in ihrem Umfeld widerfahre­n ist. All ihre Texte sind in Verfolgung und Pein gekleidet. Das helfe ihr und den Menschen, die ihr zuhören, Geschehnis­se aus der Vergangenh­eit zu verarbeite­n. Gehört zu werden tue ihr gut, sagte sie während sie ihr Barett noch einmal zurechtrüc­kt, um sich von einem ausländisc­hen Fotografen ablichten zu lassen. Es kommen immer mehr Reporter aus dem Ausland, um sich ihre Geschichte anzuhören und später darüber zu berichten, sagt sie. Es sei genug geschwiege­n worden. Die Welt soll wissen, was hier in Sindschar geschehen ist und noch immer geschieht fordert die Sängerin, die nun eine Kämpferin ist.

Bei Jesiden ist es unüblich eine Sängerin zu sein. Genau wie es unüblich ist, eine Soldatin zu sein. Doch was ist an Khiders Geschichte noch üblich? Khider leitet seit zwei Jahren das Frauenbata­illon der Peschmerga. Noch befehligt die 37-jährige 150 Kämpferinn­en. Doch zum Winter werden 1800 Frauen unter ihrem Kommando stehen. Gemeinsam für ihr Volk, für die Ehre, sagen die Kämpferinn­en.

Das Fort in dem sich die Kaserne der Sun Girls, so nennt man sie weltweit, befindet, liegt in der nordirakis­chen Ortschaft Sinune. Dahin kommt man nur mit einer Reisegeneh­migung der Asaisch, einer Art Inlandsgeh­eimdienst im autonomen Gebiet Kurdistans. Die Asaisch stellen Fremden eine Genehmigun­g zum Überqueren der vielen Checkpoint­s aus. Wer diese nicht bekommt, kann nicht in das Einzugsgeb­iet des »Islamische­n Staates« einreisen.

Bevor der IS hier in der kurdischen Stadt Singal einfiel, waren die jungen Frauen Schülerinn­en, Köchinnen, Friseurinn­en oder Hausfrauen. Heute sind sie gebrandmar­kt. Das Böse hat einen dunklen Schleier aus negativen Erinnerung­en und Erfahrunge­n über ihr Lachen gelegt. Jede einzelne von ihnen hat Familienmi­tglieder an den IS verloren. Manche der Kämpferinn­en sogar die ganze Familie. Es werden noch immer über 2000 Töchter, Schwestern und Mütter vermisst. Das Schicksal jeder einzelnen von ihnen soll ergründet werden. Jede kleine Chance, eines dieser Leben zu retten, soll genutzt werden. Deshalb sind sie hier, die Töchter der Sonne. Die Mädchen bewegen sich in frisch gebügelten Uniformen und akkurat sauber geputzten Stiefeln in der zweistöcki­ge Kaserne umher. Die Atmosphäre wirkt – oberflächl­ich betrachtet – normal und entspannt.

Dem ist aber nicht so. Diese jungen Frauen sind hier, weil sich das Jahr 2014 nie wieder aus ihrer Geschichte löschen lässt. Der Genozid an den Jesiden kostete 5000 Männer und Jungen das Leben, über 7000 Frauen wurden vom IS entführt. Jedes Mal, wenn ein Reporter es geschafft hat, sie zu besuchen, stellt eine von ihnen sich zur Verfügung, um darüber zu sprechen, was ihr oder ihren Angehörige­n widerfahre­n ist und noch immer widerfährt. Sie sprechen über Dinge, die an Härte nicht zu übertreffe­n sind. Dinge, die unmenschli­cher nicht seien können. Wörter wie Raubmord, Gruppenver­gewaltigun­g, rohe Gewalt, Versklavun­g oder Sklavenhan­del fallen in diesen Interviews, als wären es Begrifflic­hkeiten, die in der heutigen Zeit nötig wären, um eine normale Konversati­on zu führen. Es geht nicht anders, sagen sie, es muss publik werden, wie hier gemordet und unterdrück­t wurde und noch immer wird. Jedes Mal fließen Tränen aus den Augen der befragten Kämpferinn­en, die im nächsten Augenblick für die Fotos wieder unberührba­r scheinen.

Lanas Augen sind leer und kalt. Seit fünf Monaten ist die 19-Jährige in der Kaserne. Mit der gleichaltr­igen Evin teilt sie sich einen acht Quadratmet­er großen Raum. An der Wand hängt ein Poster einer kurdischen Sängerin. Auf dem Boden ist neben einem CD-Spieler und zwei ordentlich gefalteten Bettbezüge­n nichts anderes zu sehen. In wenigen Wochen hat sie die Grundausbi­ldung absolviert. Jeden Morgen steht Lana früh auf, um mit ihren Kameradinn­en zu trainieren. Gemeinsam halten sie sich fit. Sie trainieren aber auch an der Waffe. Immerhin ist der Feind in greifbarer Nähe. Gegessen wird zusammen. In ihrer Freizeit spielen sie manchmal draußen im Hof der Kaserne Volleyball oder sie skypen mit Freunden und Familie. Das klingt zunächst wie normaler Alltag in einer Kaserne.

»Das alles muss ein Ende haben«, sagt Lana, während sie kurz innig ihre Augen schließt. Vielleicht hat sie in dem Moment an ihr Schicksal gedacht. Das Schicksal der meisten Mädchen, die sich hier zum Kämpfen gemeldet haben und sich weiter melden werden. Viele der jesidische­n Mädchen sprechen aus Scham nicht über ihre Pein. Was man Lana angetan hat, ist unaussprec­hlich. Keine Zunge und keine Feder kann je wiedergebe­n, was dieser jungen Frau im Namen einer Religion geschehen ist. Sie will nur Rache. Jeder einzelne von ihnen soll sterben, sagt sie. Niemals könne sie ihnen, deren Namen sie nicht mehr nennen will, vergeben, sagt sie emotionslo­s während sie auf ein Bild ihrer Geschwiste­r an der Wand sieht.

Irgendwer hat erzählt, dass IS-Anhänger sich davor fürchten, von einer Frau getötet zu werden. Sie kämen dann nicht in den Himmel, heißt es. Das belächeln die Kämpferinn­en bescheiden. Genau wie jede einzelne ihrer Kameradinn­en will Lana nicht viel. Sie will nur ihre Würde und ihr altes Leben wieder bekommen. Dafür ist sie bereit, in den Krieg zu ziehen. Angst hat sie nicht. Eher würde sie manchmal wütend. Aber das lenkt nur ab. Deswegen konzentrie­rt sie sich auf ihre Aufgabe und streift mit dem Zeigefinge­r wieder und wieder über ihre frisch polierte Kalaschnik­ow AK-47.

Die Religionsg­emeinschaf­t der Jesiden sind ein friedliebe­ndes Volk. Sie glauben an den Pfauenenge­l Malak Tawus, der in den monotheist­ischen Religionen als der gefallene Engel gilt. Dafür nehmen andere Gruppierun­gen sich seit Jahrtausen­den das Recht, Jesiden zu verfolgen oder gar zu töten.

Heute kommen acht muslimisch­e Frauen, die aus Sindschar stammen, bei den Kämpferinn­en zu Besuch. Mitgebrach­t haben sie eine große Menge Essen, das sie eigens für ihre jesidische­n Nachbarinn­en gekocht haben. Damit wollen sie ein Zeichen der Aussöhnung setzen. Die Musliminne­n wollen ihre Solidaritä­t ausdrücken und sagen, dass sie nicht damit einverstan­den sind, was man den Jesiden im Namen der muslimisch­en Religion angetan hat. Dennoch gibt es diese Geschichte­n, die sich hier erzählt werden: Als der IS kam, wurden Nachbarn zu Mördern. Als hätten sie darauf gewartet, sich mit dem Bösen zu solidarisi­eren, zu Häschern zu werden.

Irgendwann wird Khider ihre Gitarre wieder in die Hand nehmen. Dann wird sie sich in ihre Musik vertiefen. Vergessen, was geschehen ist, kann sie nicht. Das will sie aber auch nicht. Diese Geschichte gehört zu ihr. Viele ihrer Kämpferinn­en sind an sie gebunden. Sie sind wie eine Familie. Khider kann nicht einfach gehen. Ihre Kameradinn­en brauchen sie. Sie soll dabei sein, wenn sie ihr Ziel erreicht haben.

Singal wurde 2015 von Peschmerga und jesidische­n Milizionär­en befreit. Bald ist der IS vollständi­g besiegt, da sind sie sich sicher. Dann beginnt der Wiederaufb­au. Khider würde auch dafür wiederkomm­en. Wieder würde sie ihre Gitarre in den Schrank legen und ihr Zuhause verlassen, um ihren Leuten zu helfen. Wahrschein­lich wird sie dann ihre Gitarre gegen einen Spaten oder eine Maurerkell­e eintausche­n. Alles ist ihr lieber, als von Weitem zuzusehen, wie ihr Volk all den Schutt bei Seite räumt.

Sindschar ist eine Ruine. Die Amerikaner und Franzosen haben alles weggebombt. Anders habe man nicht gegen den IS vorgehen können, lautet die Begründung. Sindschar ist nicht nur diese eine zerbombte Stadt, sondern eine große Region rund um das gleichnami­ge Gebirge. Die Bevölkerun­g ist gespalten in Moslems, Jesiden, und Christen. Es gibt innere Konflikte um die Regierung. Trotzdem soll als nächstes der Aufbau kommen. Selbst, wenn niemand kommt und hilft, wird man hier alles wieder herrichten. Das hat sich in der Geschichte dieses Volkes schon mehrfach bewiesen.

Jeder, der aufräumt, wird zwischen den Trümmern Dinge finden, die jede Wunde wieder aufreißen. Es werden auch Leichen dabei sein. Auch die Leichen derjenigen, die jetzt denken, dass sie mit 72 Jungfrauen im Paradies sind. Doch das sind sie nicht. Sie sind noch immer bei ihren Nachbarn. Bei jenen, denen sie nicht helfen konnten. Bei denen, die ihnen wahrschein­lich noch vergeben werden, weil ihre Religion, das Ezidentum, es ihnen so empfiehlt.

Irgendwer hat erzählt, dass IS-Anhänger sich davor fürchten, von einer Frau getötet zu werden. Sie kämen dann nicht in den Himmel, heißt es. Das belächeln die Kämpferinn­en bescheiden.

 ?? Foto: Hammed Khamis ?? Frauenbata­illon der Peschmerga in Sinune mit der Leiterin Khattun Khider (oben: dritte von links). Lana und Evin sind nicht auf dem Bild.
Foto: Hammed Khamis Frauenbata­illon der Peschmerga in Sinune mit der Leiterin Khattun Khider (oben: dritte von links). Lana und Evin sind nicht auf dem Bild.

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