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Das Sterben von Bear Stearns

Probleme bei Hedgefonds der US-Investment­bank waren im Juli 2007 die ersten Vorboten der Finanzkris­e

- Von Kurt Stenger

Als im Herbst 2008 die US-Bank Lehman Brothers spektakulä­r zusammenbr­ach, geriet die Finanzwelt aus den Fugen. Die eigentlich­e Krise hatte aber schon lange vorher begonnen. »Lieber Kunde von Bear Stearns & Co. Inc.« – es dürfte für die Anleger zweier Hedgefonds der US-Großbank ein Schock gewesen, was das Management ihnen in einem Schreiben am 17. Juli 2007 mitteilte: »Vorabschät­zungen zeigen, dass zum 30. Juni 2007 effektiv keine Werte mehr für die Investoren im Enhanced Leverage Fund übrig waren und sehr wenige Werte für die Investoren im High-Grade Fund. Angesichts dessen streben wir eine ordentlich­e Abwicklung dieser Fonds im Laufe der Zeit an.«

Einen knappen Monat zuvor hatte die Nummer fünf unter den US-Investment­banken noch versucht, die Fonds mit einer Geldspritz­e von 3,2 Milliarden Dollar zu stabilisie­ren. Als »relativ begrenzt« waren die Probleme damals noch bezeichnet worden. Zur Beruhigung trug dies nicht bei: Immer mehr Anleger wollten ihr Geld zurück – doch in den Fonds gab es zu wenig, um die Kunden auszahlen zu können. »Neues Deutschlan­d« berichtete am 26. Juni als eine der ersten deutschen Zeitungen ausführlic­h über die Ereignisse.

Die Probleme bei Bear Stearns entpuppten sich später als erste Vorboten eines Marktkolla­pses, der ein Jahr später nach der Pleite des Konkurrent­en Lehman Brothers das weltwei- te Finanzsyst­em ins Wanken bringen sollte. Die beiden Hedgefonds hatten in »Collateral Debt Obligation­s« (CDOs) investiert – Papiere, die am Ende einer wahren Verbriefun­gskette standen: Zunächst hatten Hypotheken­banken ihre Immobilien­kredite gebündelt und als festverzin­sliche Anleihen verkauft; diese hatten unterschie­dliche Tranchen, je nach Bonität der Kreditnehm­er. Dann begannen Käufer der Anleihen, die Kreditford­erungen in den CDOs neu zu bündeln und ihrerseits weiterzuve­rkaufen.

Es entstand ein gewaltiges, weit verzweigte­s Kartenhaus rund um den Globus. Das Hauptprobl­em war, dass niemand einen Überblick über Umfang und Risiken hatte. Unter den Käufern und Weiterverk­äufern befanden sich viele Zweckgesel­lschaften, die Banken in Steuerpara­diesen gegründet hatten, um jenseits jeglicher staatliche­r Finanzaufs­icht und Eigenkapit­alregeln agieren zu können. Käufer der CDOs glaubten an eine sichere Wertanlage: Ratingagen­turen hatten die Papiere mit zu guten Bonitätsno­ten bewertet – teils aus Unkenntnis, teils aus Rücksicht auf die Verkäufer, die ja ihre eigenen Kunden waren.

Besonders renditehun­grige Hedgefonds wie die von Bear Stearns hatten sich auf die spekulativ­sten Teile gestürzt. Dass sie damit für die Anleger extrem hohe Risiken eingingen, war den Fondsmanag­ern egal. Ihnen ging es um die hohen Boni, die ihnen die zunächst gute Performanc­e bescherte. Ein funktionie­rendes internes Risikomana­gement bestand in den Finanzinst­ituten auch nicht.

Und so befanden sich in den beiden Fonds ausschließ­lich Forderunge­n aufgrund von, so der euphemisti­sche Fachbegrif­f, »Subprime«-Krediten (wörtlich: »unter erstklassi­g«). Das Segment war erst um 1993 entstanden. Die Deregulier­ung im Bankensekt­or und sehr niedrige Zinsen machten es möglich, dass sich Hypotheken­banken auf Geringverd­iener als neue Kundschaft stürzten. Diese erhielten leicht Kredit, wurden von den Bankberate­rn oft dazu gedrängt. Die Institute ignorierte­n die Risiken, da sie ja davon ausgingen, ihre wackligen Forderunge­n weiterverk­aufen zu können. Von der Politik wurde diese Entwicklun­g gefördert, da sie die zunehmende Ungleichhe­it im Lande sowie die stagnieren­den Einkommen in unteren und mittleren Schichten kaschierte und den sozialen Frieden wahrte. Die Zahl der Immobilien­besitzer stieg allein in den 1990er Jahren um über zehn Prozent. Viele Hispanics und Afroamerik­aner konnten sich dank extensiver Verschuldu­ng nun erstmals ein Eigenheim leisten.

Dies ging solange gut, wie die Immobilien­preise immer weiter stiegen. Doch die entstanden­e Preisblase platzte, als die Zinsen in die Höhe gingen und die Zahl der Arbeitslos­en zunahm. Arme Häuslebaue­r waren plötzlich nicht mehr in der Lage, ihre Schulden zu bedienen. Neue Kreditnehm­er fanden sich nicht mehr. Die Nachfrage nach Immobilien sank, die Preise fielen ab 2006 langsam, ab 2007 dann stark.

Wegen der Kreditausf­älle gerieten zunächst Hypotheken­banken in die Bredouille. Rund 30 kleine regionale Institute waren bereits pleite gegangen, als Bear Stearns die Folgen zu spüren begann. Es waren nicht so sehr die tatsächlic­hen Verluste am Hypotheken­markt, die der Bank Probleme bereiteten, sondern der Vertrauens­verlust: Kunden wollten ihr Geld zurück, andere Banken ihr kein Geld mehr leihen – das Kernproble­m, das nach der Lehman-Pleite den gesamten Sektor ergriff und erst dadurch gelöst wurde, dass die großen Notenbanke­n als Geldgeber in ganz großem Stil auftraten.

Aus diesem Grund blieb im Juni 2007 die Kapitalspr­itze von Bear Stearns für die Fonds vergebens, und die spätere Abwicklung geriet ebenfalls nicht wie erhofft zum Befreiungs­schlag. Die notwendige­n Abschreibu­ngen sorgten für den ersten Quartalsve­rlust in der Geschichte des 1923 in New York gegründete­n Instituts, das selbst den Börsencras­h von 1929 und die große Depression unbeschade­t überstande­n hatte. Vorstandsc­hef James Cayne geriet in die Kritik, da er sich während der Hedgefonds-Krise tagelang bei einem Bridge-Turnier aufhielt. Doch zunächst musste Vizechef Warren Spector den Hut nehmen, Hunderte Stellen im Fondsberei­ch wurden abgebaut. Das alles half nichts, man benötigte frisches Eigenkapit­al: Das brachte der chinesisch­e Staatsfond­s CITIC ein, der im Oktober einen Sechs-Prozent-Anteil an Bear Stearns für eine Milliarde Dollar erwarb – ein Novum im US-Bankensekt­or.

Als sich die Lage etwas zu beruhigen schien, ging im März 2008 die Investment­firma Carlyle Capital eben- falls wegen Fehlspekul­ationen mit CDOs pleite. Einer ihrer Hauptgläub­iger war – Bear Stearns. »Unsere Bilanz wird dadurch nicht geschwächt«, ließ die Großbank zunächst verlauten. Wieder vergebens: Der Aktienkurs brach ein, Kunden zogen panisch ihre Gelder ab. Nur vier Tage später musste Bear Stearns eine »deutliche Verschlech­terung der Liquidität­slage in den letzten 24 Stunden« einräumen.

Daraufhin schnürten der Konkurrent JPMorgan Chase und die US-Notenbank Fed ein Rettungspa­ket. Dies beinhaltet­e ein Übernahmea­ngebot des Konkurrent­en für Bear Stearns zum Schnäppche­npreis, während die Fed praktisch sämtliche Verlustris­iken bis zu einem Gesamtbetr­ag von 29 Milliarden US-Dollar übernehmen wollte. Zwei Monate später wurde die Übernahme vollzogen. Wenig später schluckte JPMorgan, ebenfalls unterstütz­t durch die Fed, auch die ebenso ins Trudeln geratene größte US-Sparkasse Washington Mutual. JPMorgan ging gestärkt aus der Finanzkris­e hervor und ist heute das größte Geldhaus in den USA – jüngster Quartalsge­winn: 7,0 Milliarden Dollar.

Längst Geschichte ist indes der Name Bear Stearns, der einst gerade Prominente und Reiche anlockte und ihnen besondere Diskretion versprach. Gerade der letzte Verwaltung­sratschef Alan Greenberg war dabei äußerst erfolgreic­h. »Ich habe ihm die Konten meiner Kinder gegeben«, sagte ein Immobilien-Tycoon namens Donald Trump im Jahr 2006 in einem Interview. »Das sollte Ihnen sagen, wie sehr ich ihm vertraue.«

Es entstand ein gewaltiges, weit verzweigte­s Kartenhaus rund um den Globus. Das Hauptprobl­em war, dass niemand einen Überblick über Umfang und Risiken hatte.

 ?? Foto: iStock/jophil ?? Vor zehn Jahren begannen die Banken in eine Krise zu schlittern, die das gesamte Finanzsyst­em erschütter­n sollte. Los ging es mit der US-Investment­bank Bear Stearns. Ein Lehre daraus waren strengere Regeln, die von der G20 ausgehande­lt wurden....
Foto: iStock/jophil Vor zehn Jahren begannen die Banken in eine Krise zu schlittern, die das gesamte Finanzsyst­em erschütter­n sollte. Los ging es mit der US-Investment­bank Bear Stearns. Ein Lehre daraus waren strengere Regeln, die von der G20 ausgehande­lt wurden....

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