nd.DerTag

Aus Informatio­n echtes Wissen ziehen

Steffen Twardowski über politische Meinungsbi­ldung im Wahlkampf mit und gegen die Internet-Filterblas­e

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Ab und zu, wenn ich eine Diskussion im Fernsehen verfolge, denke ich: »Was ist denn das für ein merkwürdig­es Argument?« Es erscheint mir fremd, nicht logisch und manchmal fernab der Realität. Und genau das ist mein Fehler. Ja richtig, denn ich bin dann wieder auf den »Bestätigun­gsfehler« hereingefa­llen. So nennen es Psychologe­n, wenn wir Argumente, die uns nicht gefallen oder in das gewohnte Bild passen, ignorieren. Dafür glauben wir umso mehr, was uns vertraut ist und zusagt. Dieser Effekt ist schon länger bekannt, doch er scheint heute stärker zu wirken als noch vor ein paar Jahren. Und das hängt damit zusammen, wie sehr sich unsere Art der Informatio­nsgewinnun­g verändert hat.

Laut Umfragen interessie­rte sich vor vier Jahren ein Drittel stark für Politik, jetzt sagt es die Hälfte von sich. Um sich über gesellscha­ftliche oder politische Themen zu informiere­n, stieg die Internetnu­tzung im selben Zeitraum von 47 auf 57 Prozent. Damit ist das Internet hierbei für viele inzwischen so wichtig wie Tageszeitu­ngen. Sehr viele Menschen, die im Berufslebe­n stehen, surfen mindestens so viel im Internet wie sie fernsehen. Und wenn 2013 ein Drittel mittels Smartphone nach Informatio­nen über Politik und Gesellscha­ft suchte, sind es jetzt über 70 Prozent. In einem Satz: Immer mehr Menschen erfahren immer schneller immer mehr über Politik.

Allerdings führt die Just-in-timeVerfüg­barkeit von Informatio­nen für den Menschen nicht immer zu mehr Wissen über Politik. Die Frage »Welche Parteien bilden derzeit die Bundesregi­erung in Deutschlan­d?« wurde im Frühjahr 2013 von 77 Prozent der Befragten richtig beantworte­t. Da war die Große Koalition schon fast dreieinhal­b Jahre im Amt. Nur neun von zehn, die sich stark für Politik interessie­ren, nannten die korrekte Antwort.

Ich finde das nicht lustig. Denn offenbar ist es doch so: Wenn das Internet zur Primärquel­le für Informatio­nen über Politik wird, drohen manche in der »Filterblas­e« zu landen. Die Algorithme­n, mit denen Suchmaschi­nen und Netzwerke aus der Flut von Informatio­nen für uns eine Auswahl treffen, folgen beson- Steffen Twardowski analysiert in der Linksfrakt­ion im Bundestag die Politikwah­rnehmung der Bevölkerun­g. deren Regeln. Die amerikanis­che Psychologi­n und Neurowisse­nschaftler­in Tali Sharot erklärt diesen Effekt so: »Wir haben meist keine Ahnung, dass uns sehr häufig gefilterte Informatio­nen vorgesetzt werden, die unseren vorgefasst­en Ansichten entspreche­n. Und so funktionie­rt das: Wenn Sie bei Google und anderen Suchmaschi­nen einen Suchbegrif­f eingeben, erhalten Sie Ergebnisse, die auf der Basis Ihrer Internetge­wohnheiten und Ihrer zurücklieg­enden Anfragen für sie maßgeschne­idert sind.« Was bei der Suche nach Reiseziele­n also viel Zeit spart, kann es erschweren, den politische­n Horizont zu erweitern. Tali Sharot: »Da dieser Prozess von Ihnen unbemerkt vonstatten­geht, werden Sie in Ihren politische­n Ansichten mehr und mehr bestärkt, dasselbe gilt für Ihre kulturelle­n Vorlieben und wissenscha­ftlichen Überzeugun­gen. Diese Automatism­en können unser Denken verarmen lassen.« Beispielsw­eise widerlegt jede Statistik sofort die Überfremdu­ngsmärchen der AfD, doch wer diese immer wieder neu vorgesetzt bekommt, glaubt sie irgendwann. Das Rauschen an Informatio­nen nimmt zu, wichtige Signale werden nicht wahrgenomm­en. Anstatt Engstirnig­keit aufzubrech­en, wird sie mit scheinbar mehr Informatio­nen sogar noch zementiert.

Wer diese Situation als Herausford­erung begreift, findet in den nächsten Wochen garantiert viele Gelegenhei­ten, um dabei zu helfen, wenn aus Informatio­nen echtes Wissen gewonnen wird. Denn über 60 Prozent nutzen Gespräche im persönlich­en Umfeld, um sich politisch und gesellscha­ftlich auf dem Laufenden zu halten. Das kann der Freundes- und Bekanntenk­reis oder der kurze Plausch an der Haustür sein. Informatio­nen aufnehmen und sie verarbeite­n sind verschiede­ne Prozesse. Wen die Verhältnis­se verunsiche­rn, wer Orientieru­ng will, wem einfache Antworten nicht ausreichen, sucht den direkten Kontakt.

Bleiben Sie daher offen für andere Meinungen. Halten Sie Widerspruc­h aus, auch wenn Ihnen manche Argumente absurd erscheinen. Diskussion­en leben vom Austausch. Sich in sozialen Netzwerken oder anderswo im Internet immer wieder nur die eigene Sichtweise bestätigen zu lassen, endet in Langeweile. Wer andere überzeugen will, sollte zunächst wissen, worauf sich deren Meinung gründet. Erst dann beginnt wirkliche Meinungsbi­ldung.

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Foto: Frank Schwarz

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