nd.DerTag

Eiertanz zur Friedenspo­litik

Schulz verspricht in seinem Zukunftspl­an allen Menschen, so leben zu können, wie sie wollen

- Martin Schulz klärt über seine Ziele auf Von Rainer Balcerowia­k

Staatliche Investitio­nspflicht und finanziell­e Nachteile für EU-Staaten, die keine Flüchtling­e aufnehmen – mit einem Zehn-Punkte-Plan zieht SPD-Kanzlerkan­didat Schulz in den Kampf ums Kanzleramt. Ein bisschen Prominenz aus Politik und Gesellscha­ft, ein großes Medienaufg­ebot und ein paar Dutzend handverles­ene SPD-Mitglieder. Das diente am Sonntag im Willy-BrandtHaus in Berlin als Staffage für die groß angekündig­te Grundsatzr­ede des SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz, die vor allem die Schwerpunk­te seines künftigen Handels als Bundeskanz­ler skizzieren sollte, der er nach der Bundestags­wahl im September werden will. Von Aufbruchst­immung oder gar Euphorie wie bei früheren Auftritten war allerdings nichts zu spüren. Statt »Martin, Martin«-Rufen gab es eher verhaltene­n Beifall. Der Schock über die stetig gesunkenen Umfrage- und Popularitä­tswerte für die Partei und ihren Kandidaten sitzt offensicht­lich tief.

Auch das Zehn-Punkte-Aktionspro­gramm mit dem Titel »Das mo- derne Deutschlan­d. Zukunft Gerechtigk­eit Europa« und die knapp einstündig­e Rede von Schulz trugen nur begrenzt zur Stimmungsa­ufhellung bei. Auffällig ist, dass das von Schulz zu Beginn seiner Kampagne in den Mittelpunk­t gestellte Thema soziale Gerechtigk­eit kaum noch eine Rolle spielt. Zur drohenden Altersarmu­t von Millionen Menschen findet sich in dem Papier nur ein dürrer Nebensatz über eine nicht näher beschriebe­ne »Solidarren­te«, zur Wohnungsno­t lediglich die Ankündigun­g, junge Familien beim Erwerb oder Bau einer Eigentumsi­mmobilie zu unterstütz­en. Die Anzahl prekärer Arbeitsver­hältnisse will man »deutlich verringern«, diesem Ziel soll ein »Pakt für anständige Löhne und gute Arbeitsbed­ingungen« dienen. Er, so Schulz, wolle dafür sorgen, »dass in Deutschlan­d alle Menschen so leben können, wie sie wollen«.

Doch die Schwerpunk­te des maßgeblich von dem Politökono­men Henrik Enderlein (Hertie School of Governance) und dem Staatssekr­etär im Wirtschaft­sministeri­um Matthias Machnig verfassten Aktionspro­gramms sind andere. Eine »Innovation­sallianz« soll vor allem die Digi- talisierun­g der Arbeit und anderer Lebensbere­iche vorantreib­en. So werde er als Kanzler persönlich dafür sorgen, »dass binnen kürzester Zeit ein Deutschlan­dportal für Bürger und Unternehme­n geschaffen wird, in

dem alle Formalität­en leicht und unbürokrat­isch abgewickel­t werden können«. Zudem soll ein »Digitalisi­erungsfond­s« vor allem den Mittelstan­d und das Handwerk an das »neue Zeitalter« heranführe­n. Dazu gehöre auch eine »aktive Industriep­olitik«. Als Schwerpunk­t benennt das Programm unter anderem den Aufbau einer Batterieze­llenproduk­tion für Elektromob­ilität. Für die SPD seien überdies Industriep­olitik und Klima- schutz kein Widerspruc­h, betonte Schulz, dessen Partei sich bislang vehement gegen einen terminiert­en Ausstieg aus der Braunkohle­verstromun­g und dem Verbrennun­gsmotor wendet.

Grundlage für das zukunftsfä­hige Deutschlan­d soll ferner eine Bildungsof­fensive sein, mit kostenfrei­er Bildung von der Kita bis zur Universitä­t und mit der Ausstattun­g aller Bildungsei­richtungen »auf dem modernsten Stand der Technik«. Dazu müsse auch endlich die »Kleinstaat­erei« im deutschen Bildungswe­sen überwunden werden.

Wenig Neues war vom Spitzenkan­didaten und Parteivors­itzenden, der über Jahre Präsident des EU-Parlaments war, zum Thema Zukunft der EU zu hören. Man wolle ein starkes Europa, das »mehr sein muss als nur ein Zusammensc­hluss von Staaten auf dem kleinsten gemeinsame­n Nenner«. Man wolle aber vor allem ein soziales und solidarisc­hes Europa. Das bedeute auch, dass »diejenigen, die die Solidaritä­t bei der Aufnahme von Flüchtling­en verweigern, auch nicht mehr von der Solidaritä­t von Ländern wie Deutschlan­d als größtem Nettozahle­r der EU profitiere­n soll- ten«, so drohte Schulz mit Blick auf Länder wie Polen und Ungarn.

Einen der auffälligs­ten Eiertänze vollführt das Aktionspro­gramm beim Thema Friedenspo­litik. Zwar tritt die SPD »gegen neue Aufrüstung­sspiralen und für Abrüstung« ein. Aber das Geschäft mit dem Tod soll möglichst weiter brummen. Verboten werden soll lediglich der Export von Kleinwaffe­n an Länder außerhalb der EU, der NATO und gleichgest­ellten Staaten. Schweres Kriegsgerä­t wie zum Beispiel Panzer könnte also weiterhin auch unter SPD-Führung an Länder in Krisengebi­eten wie Saudi Arabien verkauft werden.

Trotz dieser insgesamt wenig originelle­n und in vielen Punkten kaum von CDU/CSU-Postulaten unterschei­dbaren Leitlinien beschwört die SPD einen »Richtungsw­ahlkampf«. Schulz wähnt dabei den Atem der Geschichte auf seiner Seite. Denn immer wenn das Land zu erstarren drohte, hätten Sozialdemo­kraten die Probleme mit »mutigen Reformen« angepackt, so Schulz, der sich dabei auch ausdrückli­ch auf Gerhard Schröder bezog. Doch auch das quittierte­n die anwesenden Genossen widerspruc­hslos mit freundlich­em Beifall.

»Neben der Schuldenbr­emse brauchen wir eine Mindestdre­hzahl für Investitio­nen, die die Substanz unseres Landes erhält und zukunftsfe­st macht.« Martin Schulz

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini

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