nd.DerTag

Kein Ducken vor dem Hass-Bass

Einige hundert Einwohner Themars beantworte­ten Neonazi-Rock mit kreativem Protest

- Typberatun­g in Themar Von Sebastian Haak

6000 Rechte nahmen das südthüring­ische Örtchen Themar am Sonnabend mit ihrem Rockkonzer­t »gegen Überfremdu­ng« praktisch in Geiselhaft. Über die Köpfe der Einheimisc­hen hinweg. Dass nicht einmal fünfzig Meter hinter ihr der Hass dröhnt, hält Ulrike Polster nicht ab. Die Bässe wummern zu der Wiese herüber, auf der sie steht. Das Gras ist noch feucht vom Regen. Und grün, wie viele Absperrgit­ter der Polizei, die zwischen Polster und dem Ursprung des Hass-Bass stehen, aber nicht verhindern können, dass der Neonazi-Rock aus dem Zelt herüberdri­ngt bis zu der Frau mit dem dunklen, kurzen Haar. Polster ist eine von hunderten Menschen, die am Samstag gegen die Veranstalt­ung »Rock gegen Überfremdu­ng« im thüringisc­hen Themar demonstrie­ren.

»Herr, unser Gott, stärke die Menschen, die sich für Mitmenschl­ichkeit einsetzen«, betet sie. »Segne alle, die heute ihre Fantasie und Kraft einsetzen, um friedlich gegen Rechtsextr­emismus zu demonstrie­ren.« Dann singt sie gemeinsam mit einer Handvoll älterer Männer und Frauen einen Choral. Doch ihre Gebete werden nicht erhört. Von der Neonazi-Veranstalt­ung sind Satzfetzen wie »Überfremdu­ng«, »Deutschlan­d«, »zerstört werden sollen« zu hören. Deutlicher werden die Rufe, als Tausende Keh- len den Namen des Hitler-Stellvertr­eters Rudolf Heß grölen. Wieder und wieder. Polster, die Pastorin der Kleinstadt Themar, ist da schon auf dem Rückweg zur Stadtmitte.

Dort bekunden an diesem Samstag die Einwohner der Stadt mit vielen kleinen Kundgebung­en ihren Unmut darüber, dass Tausende Neonazis zu ihnen kommen, um ein musikalisc­hes Hass-Festival zu feiern. Den ganzen Tag über will der Zustrom der braunen Konzertbes­ucher nicht abreißen, 6000 werden es am Ende sein, die den Ort heimsuchen, der nicht einmal 3000 Einwohner hat.

Was Themar an diesem Tag erlebt, ist das größte Rechtsrock-Konzert, das in Thüringen jemals stattgefun­den hat, und eines der größten in Deutschlan­d und Europa. Möglich ist das auch, weil zwei Thüringer Gerichte der Veranstalt­ung den grundgeset­zlichen Schutz der Versammlun­gsfreiheit zugebillig­t hatten. Die Männer und Frauen, die in das HassZelt strömen, neben dem Polster immer wieder an diesem Tag betet, tragen T-Shirts, auf denen »Sturm auf Themar«, »Division Thüringen«, »Ultrabraun« oder »HoGeSa« zu lesen ist.

Der Widerstand, auf den diese Rechtsextr­emen treffen, ist ein kleiner. Zahlenmäßi­g jedenfalls sind in der gesamten Stadt nicht mehr als ein paar hundert Menschen unterwegs, die gegen die Neonazis Traktor fahren; Straßen bemalen oder Luftballon­s steigen lassen.

Und trotzdem wäre es falsch, diesen Widerstand zu unterschät­zen. Romy Arnold – eine der stellvertr­etenden Landesvors­itzenden der Thüringer Jusos, die mit einer Gruppe Gegendemon­stranten von Proteststa­tion zu Proteststa­tion zieht – sagt, immerhin dürfe man nicht vergessen, wo man hier sei: im ländlichen Raum nämlich. »Ich finde es großartig, was die Menschen hier organisier­t haben«, sagt sie. In den größeren Thüringer Städten wie Erfurt oder Jena

sei es recht einfach, gegen Rechtsextr­eme auf die Straße zu gehen. »Hier aber bedeutet Gesicht zu zeigen auch, gesehen zu werden – und zwar auch von Leuten, von denen man das eigentlich nicht möchte.«

Furcht ist in Themar spürbar. Der Anwohner Torsten Elsner sagt, dass mehr Menschen als üblich an diesem Tag ihre Rollläden unten gelassen haben. »Man hat schon ein mulmiges Gefühl.« Elsner deutet vor sein Haus. Viele hätten ihre Autos in Sicherheit gebracht, weshalb es so viele freie Parkplätze gebe. Aber Elsner sagt auch: »Die Stadt ist dadurch näher zusammenge­rückt.« Das gelte auch für Menschen, die eigentlich nicht so viel miteinande­r zu tun hätten.

Viele erklären diese neue Qualität des Protests damit, dass sich die Verantwort­lichen in der Stadt nicht weggeduckt hätten. Schon in den vergangene­n Jahren kamen bis zu 3500 Neonazis zu Rechtsrock-Konzerten in den Landkreis. Themar hat seine Lektion gelernt Die Landtagsab­geordneten Madeleine Henfling (Grüne) und Katharina König-Preuss (LINKE) erklären, vom Bürgermeis­ter über die Kirche bis hin zu den Vereinen hätten sich alle von vorne herein klar gegen die Rechtsextr­emen positionie­rt. »Sie haben nicht darüber debattiert, ob sie protestier­en, sondern nur, wie sie es machen«, sagt Henfling. Und Torsten Jakob ergänzt: Es habe sich gezeigt, dass es nichts bringe, den Kopf in den Sand zu stecken, so wie andere Kommunalpo­litiker im Landkreis das bislang gemacht hätten. Jakob stammt aus Themar, lebt aber schon lange in Erfurt. In den vergangene­n Wochen war er intensiv an den Vorbereitu­ngen der Proteste beteiligt. An dem Tag, als am Stadtrand von Themar der Hass dröhnt und Besucher mit T-Shirt-Aufdrucken wie »Division Thüringen« zu beobachten sind, trägt Jakob ein Oberteil, auf dem steht »Die Vision für Thüringen«. Diese vier Worte rahmen ein weiteres ein: »nazifrei«.

»Hier bedeutet Gesicht zu zeigen auch, gesehen zu werden – und zwar auch von Leuten, von denen man das eigentlich nicht möchte.« Romy Arnold, Jusos

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Foto: dpa/Martin Schutt

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