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Poltern, drohen, still verhandeln

In der Brexit-Runde ab Montag stehen vor allem die Rechte von EU-Bürgern im Königreich auf der Tagesordnu­ng

- Von Uwe Sattler

Vor der zweiten Brexit-Gesprächsr­unde – es wird die erste inhaltlich­e sein – werden die Töne schärfer. Allerdings vor allem aus dem Europaparl­ament, dessen Vertreter nicht mit am Verhandlun­gstisch sitzen. Michel Barnier beim Internatio­nalen Olympische­n Komitee und im Hafen von Zeebrugge, bei der Trauerzere­monie für Helmut Kohl, auf der Pariser Luftfahrtm­esse und beim Treffen mit Japans Premier Shinzo Abe. Der Twitter-Account des früheren französisc­hen Außenminis­ters suggeriert: Er ist ein vielbeschä­ftigter Mann. Nur von einer Sache ist wenig zu lesen – den Brexit-Verhandlun­gen mit der britischen Regierung. Für diese ist Barnier von der EU-Kommission als Verhandlun­gsführer bestimmt worden.

Allerdings gäbe es in dieser Hinsicht auch nicht viel mitzuteile­n. Am Montag beginnt Runde zwei der Gespräche, in der es erstmals auch um konkrete Inhalte gehen soll. Der Fahrplan, der auf dem ersten Treffen der Verhandlun­gsdelegati­onen im Juni beschlosse­n wurde, hatte als ersten Punkt die Rechte der über drei Millionen EU-Bürger im Königreich und der Briten in Kontinenta­leuropa auf die Agenda gesetzt – und damit den ersten Punktsieg der EU-Seite besiegelt. Denn während sowohl das Verhandlun­gsmandat der EU-Kommission als auch die Leitlinien des Europaparl­aments eine strikte Reihenfolg­e der Gesprächst­hemen vorsehen (nach den Rechten der EU-Bürger im Königreich die finanziell­en Verbindlic­hkeiten Londons und danach erst die künftigen bilaterale­n Beziehunge­n), wollte die britische Regierung über all diese Fragen parallel verhandeln.

Offensicht­lich bietet aber die Frage nach den Rechten von EU-Bürgern in Großbritan­nien bereits reichlich Konfliktpo­tenzial. In ihrer Regierungs­erklärung zum Brexit im Frühjahr hatte die britische Premiermin­isterin Theresa May die Rechte deutlich eingeschrä­nkt bzw. konditioni­ert. Angesichts dieser Vorhaben hatte das Europaparl­ament vor zwei Wochen noch einmal kräftig nachgelegt: Von einem »Mangel an Gegenseiti­gkeit« war in einem Brief der Brexit-Steuerungs­gruppe an EU- Chefunterh­ändler Barnier die Rede, verbunden mit der Forderung, die Rechte der EU-Bürger durch London umfassend garantiere­n zu lassen. Andernfall­s, so wurde unverhohle­n gedroht, werde man das bis Ende März 2019 abzuschlie­ßende BrexitAbko­mmen im Parlament durchfalle­n – und damit scheitern lassen. Das jedoch würde bedeuten, dass Großbritan­nien an der unmittelba­r danach stattfinde­nden Wahl zum Europaparl­ament teilnehmen würde, was von beiden Seiten nicht gewünscht ist.

Allerdings: Wenn nicht nur von Europaabge­ordneten, sondern von einer ganzen Reihe von EU-Politikern die angeblich unmittelba­r bevorstehe­nde Entrechtun­g von Kontinenta­leuropäern in Großbritan­nien angeprange­rt wird, dient das wohl eher dazu, bei den heimischen Wählern als Frau oder Mann mit klarer Kante zu erscheinen. Zwar ist die Frage der Bürgerrech­te wichtig, aber vermutlich zu lösen. Und die von London vorgeschla­genen Regelungen lassen noch genügend Luft für Kompromiss­e. Realistisc­here Europapoli­tiker, wie der sozialdemo­kra-

Ende April hat London die Pläne für die Rechte der EU-Ausländer nach dem Brexit vorgestell­t. Dazu gehören:

In Großbritan­nien lebende EU-Bürger behalten bis zum Brexit sämtliche Rechte. Danach müssen sie einen neuen Einwanderu­ngsstatus beantragen.

Jeder, der zu einem noch festzulege­nden Stichtag fünf Jahre ununterbro­chen in Großbritan­nien lebt, ist berechtigt, ein unbegrenzt­es Aufenthalt­srecht mit Zugang zu Bil- tische EU-Abgeordnet­e Jo Leinen, der jahrelang dem Ausschuss für konstituti­onelle Fragen vorstand, warnen denn auch davor, den Briten »die Tür vor der Nase zuzuschlag­en«. Zumal dem von Theresa May propagiert­en harten Brexit bei der Unterhausw­ahl

EU-Bürger im Königreich

dung, Rentenkass­e und Gesundheit­sversorgun­g zu erhalten.

Familienan­gehörige von EU-Bürgern können nach fünf Jahren dauerhafte­s Aufenthalt­srecht erhalten.

Einzahlung­en in britische Sozialkass­en werden geschützt und angerechne­t.

Für Streitfäll­e im Zusammenha­ng mit den Rechten von EU-Bürgern sollen ausschließ­lich britische Gerichte zuständig sein. schließlic­h eine klare Absage erteilt worden sei. Und ganz nebenbei: Eine konkrete Ansage, wie EU die Rechte von Briten in Kontinenta­leuropa sichern will, steht auch noch aus. Zwar wäre das eine Vorleistun­g, die in der Verhandlun­gsdiplomat­ie nicht gerade üblich sind. Aber ein solcher Schritt würde vermutlich den Hardlinern in London den Wind aus den Segeln nehmen.

Stattdesse­n hat die EU-Seite kurz vor der neuen Verhandlun­gsrunde mit den von London an die EU noch zu begleichen­den finanziell­en Verbindlic­hkeiten ihrerseits Druck aufgebaut. Von Brüssel wurden dafür in der Vergangenh­eit Beträge bis zu 100 Milliarden Euro genannt. In der vergangene­n Woche räumte die britische Regierung ein, dass solche Verpflicht­ungen existieren. Wie hoch diese allerdings sind, wolle man verhandeln – hinter verschloss­enen Türen.

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Illustrati­on: imago/Ikon Images

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