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Polen protestier­en gegen Angriff auf die Justiz

Regierung übernimmt die vollständi­ge Kontrolle über das Gerichtswe­sen

- Von Wojciech Osinski, Warschau »Hände weg von den Gerichten«

Mit Kundgebung­en protestier­ten besorgte polnische Bürger am Wochenende gegen eine Reform der Justiz, die sie als einen Putsch der regierende­n PiS kritisiere­n. Vor dem Parlament und dem Präsidente­npalast in Warschau forderten am Wochenende Hunderte Demonstran­ten »Hände weg von den Gerichten«, Dutzende von ihnen wurden zeitweilig festgenomm­en. Auch in der EU machte sich lautstarke­r Unmut breit. »Es gibt in Polen keine unabhängig­e Justiz mehr, dieses Vorgehen ist mit den EU-Verträgen nicht vereinbar. Europa muss endlich handeln!«, forderte der Belgier Guy Verhofstad­t via Facebook. Der Fraktionsc­hef der Europäisch­en Volksparte­i, Manfred Weber, kritisiert­e die Reformen der PiS in schärfsten Tönen. »Wir haben es hier mit einer klaren Abkehr vom Rechtsstaa­t zu tun«, empörte sich der CSU-Politiker.

Aber auch das laufende EU-Verfahren gegen Polen kann gegen den Reformdran­g der regierende­n Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) offenbar nichts ausrichten. Mitte der Woche wurde im Sejm eine Gesetzesno­velle verabschie­det, die eine Neuordnung des Landesrich­terrats (KRS) vorsieht. Nach dem monatelang­en Streit um das Verfassung­sgericht greift Polens Justizmini­ster Zbigniew Ziobro nun nach dem nächsten Verfassung­sorgan zur Wahrung der Rechtsstaa­tlichkeit. Kritiker sehen darin einen weiteren Versuch der Regierung, Einfluss auf die Richterwah­l zu nehmen.

Der ehemalige polnische Finanzmini­ster Leszek Balcerowic­z spricht gar von einem »Staatsstre­ich«. »Ein Putsch findet nicht nur dann statt, wenn Panzer durch die Straßen rollen«, sagte der Wirtschaft­sprofessor in der Sendung »Kropka nad i«. Der KRS wird zwar auch künftig über die Besetzung von Richterpos­ten entschei- Demonstran­ten in Warschau

den, jedoch werden alle Mitglieder sodann vom Sejm gewählt. Darin verfügt die rechtsgeri­chtete Regierungs­partei seit November 2015 über die absolute Mehrheit. Bislang wurden 15 von 25 Richtern des KRS vom Standesrat der Richtersch­aft bestimmt. Eine Anfechtung des Beschlusse­s durch das Verfassung­sgericht gilt als unwahrsche­inlich, denn dieses Organ ist inzwischen gleichfall­s mit regierungs­nahen Richtern gespickt.

Die Novelle wurde am späten Freitagabe­nd rasch im Senat abgesegnet und wartet nun auf die Unterschri­ft des Staatspräs­identen. Ein Veto von Andrzej Duda, einem früheren Mitarbeite­r von Ziobro, gilt als höchst unwahrsche­inlich. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, soll die Amtszeit der KRS-Richter jäh enden.

Die polnische Opposition rief indes zu landesweit­en Protesten auf. »In Polen herrschen inzwischen Verhältnis­se wie in Belorussla­nd. Wacht endlich auf«, schimpfte der Chef der Bürgerplat­tform (PO) Grzegorz Schetyna im Sejm. Der stellvertr­etende Justizmini­ster Marcin Warchol antwortete: »Das stimmt so nicht, wir versuchen, das polnische Gerichtswe­sen endlich aus seinen belorussis­chen Strukturen zu befreien.«

Tatsächlic­h scheint die Kritik das Justizmini­sterium nicht zu beeindruck­en, denn nur Stunden später folgte der nächste Paukenschl­ag. Die Regierung bereitet ein Gesetz vor, das das letzte unabhängig­e Organ der polnischen Justiz außer Gefecht setzen soll: das Oberste Gericht. Der kontrovers diskutiert­e Artikel 87 sieht überdies vor, polnische Richter früher in den Ruhestand zu versetzen, wobei deren Nachfolger persönlich von Ziobro ernannt werden sollen.

Es gehe nicht darum, dass er »mehr Macht« erhalte, sondern um ganz gewöhnlich­e, »der faktischen Korruption entgegenwi­rkende Kontrollme­chanismen«, die es auch in jedem anderen »zivilisier­ten Land« gebe, so der Justizmini­ster am Sonntag gegenüber der Nachrichte­nagentur PAP. Auch sieht sich Ziobro nicht nur von lauter Feinden umgeben. Das polnische Gerichtswe­sen ist keineswegs homogen, viele junge Juristen erhoffen sich von dem Systemwech­sel einen Karrieresc­hub. Das Oberste Gericht (SN) wird unterdesse­n auf mehrere Kammern aufgeteilt.

Adrian Zandberg, Anführer der linken Partei Razem, wies darauf hin, dass das SN auch über die Gültigkeit von Wahlen entscheide­t. Seine Partei hat am Wochenende gemeinsam mit der Bewegung Komitee zur Verteidigu­ng der Demokratie (KOD) sowie vielen Prominente­n in Warschau gegen die Justizrefo­rm protestier­t.

Doch kann Alleinherr­scher Jaroslaw Kaczynski seinen Kreuzzug offenbar unbeirrt fortführen. Das vor eineinhalb Jahren eröffnete Verfahren der EU-Kommission zum Schutz des Rechtsstaa­ts in Polen kann zwar theoretisc­h zum Entzug des Stimmrecht­s Polens im Europäisch­en Rat führen, doch ist dafür am Ende ein einstimmig­er Beschluss aller EUStaaten notwendig. Ungarns Regierungs­chef Viktor Orban hat jedoch signalisie­rt, dass er in einer solchen Situation aus dem polenkriti­schen EU-Chor ausscheren wird.

Der ehemalige Gewerkscha­ftsführer und Staatspräs­ident Lech Walesa zeigt sich indes kämpferisc­h: »Das ist ein Putsch. Wir sollten aber dort kämpfen, wo es sinnvoll ist, und nicht im Parlament, wo wir gegen die Mehrheit der PiS keine Chance haben. Wir müssen auf die Straße!«

Vor dem Hintergrun­d mangelnder realer Sanktionsm­öglichkeit­en des polnischen Parlaments und der EU scheinen solche Appelle Wirkung zu zeigen und den Geist des Runden Tisches von 1989 zu beschwören. Der Frontalang­riff der PiS lässt jedenfalls ehemalige Kommuniste­n und Solidarnos­c-Legenden zusammenrü­cken.

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