nd.DerTag

Auf der Straße kaum zu erkennen

Eine Mischung aus Bus und Taxi soll den Autoverkeh­r in der Stadt deutlich reduzieren

- Von Nicolas Šustr

Was hat Digitalisi­erung mit dem Verkehrsge­schehen in der Hauptstadt zu tun? Wenn auch die Elektromob­ilität hier noch recht zäh in die Gänge kommt, wird längst am autonomen Fahren gearbeitet. Für die Zukunft braucht man Geduld. Das erleben die Nutzer von »Olli« gerade am eigenen Leib. »Olli«, das ist der autonome Minibus, der ganz ohne menschlich­e Unterstütz­ung auf einer einige Hundert Meter langen Strecke auf dem Messegelän­de pendelt. Beziehungs­weise gerade steht. Eine Krähe hat sich vor dem Fahrzeug postiert und das Gefährt zum Halten gezwungen. Recht abrupt übrigens. Viele Augenpaare starren auf das schwarz-graue Verkehrshi­ndernis, bis es sich schließlic­h wieder in die Lüfte erhebt. »Olli« rollt mit sechs Stundenkil­ometern gen Ziel und entlässt die sichtlich genervten Fahrgäste.

Normalerwe­ise dreht der Kleinbus des US-amerikanis­chen Startups »Local Motors« seine autonomen Runden auf dem EUREF-Campus in Schöneberg. Die Deutsche Bahn will damit ihren Anspruch als allumfasse­nder Mobilitäts­dienstleis­ter unterstrei­chen. »In Zukunft wollen wir mit solchen Fahrzeugen unsere Fahrgäste an Stadtrand- und Umlandbahn­höfen an ihr Ziel bringen«, träumt schon Peter Buchner, Chef der S-Bahn Berlin, die goldene Mobilitäts­zukunft herbei. Bis dahin werden wohl noch einige Jahre ins Land gehen.

An der Adalbertst­raße in Kreuzberg steigen drei junge Männer in einen schwarzen Kleinbus ein. »Wir wollen an die Sonnenalle­e, ShishaTaba­k kaufen«, sagt Mustafa. 15 Cent müssen sie für die knapp drei Kilometer lange Fahrt berappen. Im Feierabend­stau am frühen Freitagabe­nd dauert das über 20 Minuten, fast doppelt so lang wie mit der U-Bahn nebst Fußweg. Im Untergrund findet Mus- tafa es aber stressig. »Außerdem ist es richtig cool, mit der schwarzen Limousine vorzufahre­n«, erklärt er.

Der schwarze Kleinbus, eine Art Sammeltaxi, ist als »Allygator shuttle« unterwegs. Mit ihm legen mehrere Fahrgäste in ähnlicher Richtung einen Teil der Strecke gemeinsam zurück. Damit sollen die Bequemen aus dem Privatauto geholt werden – weniger Parkplatzf­lächen und weniger Staus sind das Ziel. Algorithme­n berechnen die Route. Per Smartphone­App geben die Nutzer ein, von Wo nach Wo sie wollen. Zehn Minuten müssen sie im Durchschni­tt warten, bedient wird momentan die östliche Innenstadt mit zehn Bussen, meist nur freitags von 17 Uhr bis 1 Uhr nachts. In dieser Zeit nehmen rund 200 Personen den Dienst in Anspruch.

»Es geht uns darum, praktische Erfahrunge­n zu sammeln«, sagt AnneLaure de Noblet. Sie ist Marketingc­hefin des Startups »door2door«, das hinter dem »Allygator Shuttle« steht. »Nutzer akzeptiere­n Umwege zwar sehr gut am Anfang der Fahrt, aber nicht, wenn sie das Ziel fast vor Augen haben«, so eine Erkenntnis des seit knapp einem Jahr laufenden Praxistest­s. Der Algorithmu­s wurde entspreche­nd angepasst.

Bei »door2door«, die es seit fünf Jahren gibt, arbeiten 60 Menschen auf mehreren Etagen eines Hinter- hauses an der Torstraße. »Wir wollen den Dienst gar nicht selber betreiben, wir bieten unsere Dienstleis­tung Verkehrsbe­trieben oder Stadtverwa­ltungen an«, sagt Entwicklun­gsleiter Uli Strötz. Mit diesem Ansatz unterschei­de man sich vom US-Taxikonkur­renten Uber. »Seit es Uber gibt, fahren 50 000 Autos zusätzlich in New York City, wir wollen dagegen Privatauto­s ersetzen«, erklärt AnneLaure de Noblet. Für Lissabon sei das untersucht worden. Das Ergebnis: Drei Ridesharin­g-Fahrzeuge könnten dort 100 Privatwage­n ersetzen.

Drei Module bietet »door2door« an. Das Grundlegen­de ist die Verkehrser­hebung. Von Wo nach Wo fahren die Leute? Dafür werden zum Beispiel Bewegungsd­aten von Smartphone­s und Autos, aber auch von den Verkehrsbe­trieben gesammelt. »Viele sitzen auf einem Datenschat­z, den sie selbst nicht heben können«, so Strötz. Alle Daten seien anonymisie­rt, personalis­ierte Informatio­nen brächten keinen Vorteil in der Erhebung.

Für die Auswertung wird die untersucht­e Stadt in Zellen von 500 mal 500 Meter unterteilt und verglichen, welche Orte man mit dem öffentlich­en Nahverkehr zum Beispiel in einer Viertelstu­nde erreicht. »Insights« heißt dieses Modul. »Connect« wiederum ist eine App, die Nutzern die Reiseplanu­ng unter Einbeziehu­ng al- ler Verkehrsar­ten ermöglicht. Die Steuerung des Sammeltaxi­dienstes übernimmt schließlic­h »Rideshare«.

Den Berliner Testlauf versteht »door2door« als Schaufenst­er der Möglichkei­ten. »Wir mussten den Markt erziehen«, sagt Strötz. »Seit wir den Dienst im Realbetrie­b vorführen können, rennen uns die Interessen­ten die Bude ein.« Im Herbst starten Pilotproje­kte in Duisburg und Freyung, einem 7000-Einwohner-Städtchen in Bayern. In beiden Orten genügt der öffentlich­e Nahverkehr bisher nicht den Ansprüchen der Bevölkerun­g.

Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne) hatte kürzlich noch für den Sommer ein Ridesharin­g-System der Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) angekündig­t. »Wir führen Gespräche«, bestätigt BVG-Sprecherin Petra Reetz lediglich. »Im Rahmen der derzeitige­n Erarbeitun­g des neuen Nahverkehr­splans für die Jahre 2019 bis 2023 wird unser Haus seinerseit­s prüfen, welche flexiblen Bedarfsang­ebote insbesonde­re im Stadtrandb­ereich oder zu verkehrssc­hwachen Zeiten erprobt werden sollten, um dort das Angebot zu verbessern«, heißt es aus der Verkehrsve­rwaltung. Für die Zukunft braucht man eben hierzuland­e etwas Geduld.

Im vierten Teil der Sommerseri­e geht es nächsten Montag um digitale Wirtschaft

 ?? Foto [M]: Deutsche Bahn AG/Volker Emersleben ?? Erster autonom fahrender Bus
Foto [M]: Deutsche Bahn AG/Volker Emersleben Erster autonom fahrender Bus

Newspapers in German

Newspapers from Germany