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Havarist auf dem Müggelsee

Wissenscha­ftler erprobt, wie sich per Satelliten­radar Fluchtboot­e im Mittelmeer orten lassen

- Von Johanna Treblin

Wie können Fluchtboot­e auf dem Mittelmeer per Satellit geortet werden? Mit einem Schlauchbo­ot auf dem Müggelsee will Peter Lanz es herausfind­en. Für August sucht er noch Mitfahrer. Peter Lanz wirft den Anker ins Wasser, geht zum Bug des Bootes und richtet es mit einem Ruder nach Norden aus. So soll das Schlauchbo­ot für etwa eine Viertelstu­nde liegen bleiben. Dazu hält ein Helfer mit dem Ruder die Position. Lanz schaut auf die Uhr auf seinem Mobiltelef­on. Kurz nach 7 Uhr verkündet er: »Wir haben es geschafft, wir können wieder zurückfahr­en.« Die Mitfahrer klatschen. Lanz holt den Anker ein und lenkt das Boot Richtung Müggelspre­e.

Es ist Freitagabe­nd. Um 19 Uhr ist ein Forschungs­satellit des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) über den Müggelsee geflogen und hat Radarbilde­r von dem Gebiet aufgenomme­n. Lanz wird diese Bilder in fünf Tagen erhalten. Er braucht sie, um ein Problem zu lösen: Er will es möglich machen, mittels Satelliten­aufnahmen Schlauchbo­ote mit Flüchtende­n im Mittelmeer zu orten. Herauszufi­nden, ob und wie das geht, ist Ziel seiner Doktorarbe­it am Fachbereic­h Geografie der Universitä­t Oldenburg. Zwei Jahre sitzt er bereits an der Arbeit, jetzt ist die Praxisphas­e dran.

Viele Menschen, die mit Booten über das Meer nach Italien fliehen und in Seenot geraten, ertrinken, weil sie nicht rechtzeiti­g gefunden werden. Seenotrett­ungsorgani­sationen wie Sea-Watch oder SOS Mediterran­ee fahren regelmäßig mit Schiffen über das Mittelmeer und suchen nach Fluchtboot­en. Sea-Watch versucht seit April auch mit Hilfe eines Leichtflug­zeuges, Boote zu orten. Könnten dazu Satelliten hinzugezog­en werden, wäre es vielleicht möglich, mehr Menschen zu retten.

Allerdings: Auf den Radarbilde­rn des DLR-Satelliten sind vor allem metallisch­e Gegenständ­e leicht zu erkennen. Schlauchbo­ote aber sind aus Gummi. Lanz' Idee: Weil er die Koordinate­n kennt, an denen das Boot im See festgemach­t ist, weiß er, wo er auf den Aufnahmen nach ihm suchen muss. So will er feststelle­n, wie Gummiboote dieser Größe und Beschaffen­heit auf Satelliten­bildern aussehen. Seit April schon fährt Lanz mit dem Boot raus, bis September sollen es fast 60 Fahrten werden. Auf vier Fahrten nimmt er Mitfahrer mit, um mit ihnen für den Satelliten ein volles Fluchtboot zu simulieren. »Ein volles Boot sieht auf dem Radar anders aus als ein leeres Boot«, sagt er.

Peter Lanz nimmt an diesem Freitag zum zweiten Mal eine Gruppe mit. Beim ersten Mal waren nur Freunde und Bekannte dabei. Schwierig sei es nicht, genügend Mitfahrer zu finden. Aber: »Ich will möglichst vielen Menschen die Möglichkei­t geben, ein Fluchtboot zu sehen und darauf zu fahren.« Deshalb hat er die Webseite fluchtboot.de eingericht­et, auf der sich jeder zur Mitfahrt anmelden kann. Vor allem über Schulklass­en würde er sich freuen. »Sie sollen einen möglichst realistisc­hen Eindruck davon bekommen, was an den Außengrenz­en der EU passiert – ohne selbst dort gewesen zu sein.«

Auf »seinem« Schlauchbo­ot sind tatsächlic­h Menschen über das Mittelmeer geflohen. Im Sommer 2015 hat Sea-Watch rund 120 Flüchtende von diesem Boot geborgen. Lanz hat es zu Demonstrat­ionszwecke­n nach Deutschlan­d gebracht. Um es seetüchtig zu machen, musste er einige Löcher flicken. Die Multiplex-Bodenplatt­en sind noch original, und auch die mit ihnen verschraub­ten Bretter, die das Boot stabiler machen sollen.

25 Menschen sind an diesem Freitagabe­nd mit dabei. Ein Mädchen nimmt ein Buch mit aufs Boot, liest aber nur kurz darin, dann findet sie das, was um sie herum passiert, doch spannender. Sie ist mit ihren Eltern an Bord, die Mitglieder des Segelclubs sind, an dessen Anlegestel­le das Schlauchbo­ot liegt. Eine junge Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, hatte im April schon geholfen, das Boot ins Wasser zu hieven. Dazu aufgerufen hatte das »Zentrum für politische Schönheit«. Bea, die nur ihren Vornamen nennen will, hat über die Facebook-Seite von Sea-Watch von der Aktion erfahren. Sie war selbst schon auf Rettungsfa­hrten dabei. »Im Vergleich zu einer richtigen Fahrt auf einem Fluchtboot war es bei uns ziemlich komfortabe­l«, sagt sie. Schließlic­h teilten sich sonst dreimal mehr Menschen den Platz auf solch einem Boot, es habe keinen Wellengang, dafür aber angenehmes Wetter gegeben und die Freiwillig­en seien nur 45 Minuten statt einer Woche auf dem Wasser gewesen. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen, eine Woche hier an Bord zu sein.«

Mitfahren am 5. und 27. August. Weitere Infos unter fluchtboot.de

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Foto: Andreas Domma Freiwillig­e Teilnehmer der »Aktion Fluchtboot« auf dem Müggelsee in Friedrichs­hagen

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