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Im Leichensac­k am Zeichentis­ch

Eine Ausstellun­g in Kassel widmet sich aktueller Satire aus der Türkei, dazu erscheint ein Band mit politische­n Cartoons

- Von Waldemar Kesler

Spätestens seit dem Eklat um Jan Böhmermann­s Schmähgedi­cht ist auch in Deutschlan­d bekannt, dass der türkische Präsident Erdoğan sich nicht durch den Kakao ziehen lässt, ohne im Gegenzug schwere Geschütze aufzufahre­n. Die Lage hat sich für türkische Satiriker seit dem Putschvers­uch vom 15. Juli 2016 deutlich verschlimm­ert. Tausenden politische­n Gefangenen wird wegen der mutmaßlich­en Unterstütz­ung von terroristi­schen Vereinigun­gen der Prozess gemacht. Angst lastet auf politische­n Zeichnern. Viele Gesetze schränken

Deutlich wird, wie die Bildsprach­e von Karikature­n sich verändert unter dem Druck von Systemvert­retern, die Satire nicht verstehen und sie kategorisc­h ablehnen.

ihre Arbeit ein. Alle Satirezeit­schriften leiden momentan an sinkenden Verkaufsza­hlen. Vor allem die Verkaufsei­nbrüche außerhalb der Metropolen machen ihnen zu schaffen. Händler und Vertriebsf­irmen bekommen dort Schwierigk­eiten, wenn sie Satireheft­e verkaufen.

Dieser Entwicklun­g fiel die Zeitschrif­t »Penguen« als erste zum Opfer. Ihre Produktion wurde Ende April 2017 eingestell­t. Die regierungs­nahe »Misvak«-Redaktion reagiert mit einer hämischen Karikatur, in der ein Pinguin versucht, mit Hilfe von künstliche­n Flügeln zu fliegen, aber gegen eine Wand kracht.

Die Redaktione­n der führenden Zeitschrif­ten »LeMan« und »Uykusuz« räumen ein, zuweilen Selbst- zensur üben zu müssen. Manche Zeichnunge­n, die Tuncay Akgün, Chefredakt­eur der Satirezeit­schrift »LeMan«, früher selbstvers­tändlich auf dem Titelblatt veröffentl­icht hätte, lässt er heute vorsichtsh­alber im Innern des Hefts versteckt. Die Staatsanwa­ltschaft hat Ermittlung­sverfahren gegen die Zeitschrif­t »Uykusuz« eingeleite­t. Anlass dazu sind zwei Titelbilde­r zum Referendum über das Präsidials­ystem. Der genaue Sachverhal­t wird den Redaktione­n nicht mitgeteilt. Die deutliche Drohung, die von den laufenden Verfahren ausgeht, schränkt die Bereitscha­ft zur freien Meinungsäu­ßerung ein. Auch die Zahl der in den Redaktione­n eingehende­n Drohungen von Lesern hat stark zugenommen.

In der Caricatura-Galerie in Kassel ist ab diesem Mittwoch die Ausstellun­g »Schluss mit Lustig – Aktuelle Satire aus der Türkei« zu sehen. Sie wurde von Sabine Küper-Büsch von der Istanbuler Künstlerin­itiative Diyalog Derneği kuratiert. Der Ausstellun­gskatalog der Caricatura-Edition erscheint zeitgleich im Avant-Verlag. Fünfzig bekannte türkische Cartoonist­en wollen mit ihren darin versammelt­en Arbeiten ein Zeichen für die Pressefrei­heit setzen. Der Band vermittelt einen Eindruck von der Wechselwir­kung zwischen der politische­n Repression und den zeichne- rischen Lösungen, mit denen die Satiriker versuchen, den Repressali­en zu entgehen und weiterhin veröffentl­ichen zu können.

Die Cartoonist­en Bahadır Baruter und Özer Aydoğan wurden im März 2015 zu elf Monaten Haft verurteilt. Sie hatten für »Penguen« ein Titelbild gestaltet, auf dem Erdoğan sich über die bescheiden­e Begrüßung bei seinem Einzug in den neugebaute­n Präsidente­npalast beklagt. Es hätte zu diesem Anlass doch zumindest ein Journalist geschlacht­et werden können. Der devote Palastange­stellte bildet auf der Zeichnung mit Daumen und Mittelfing­er einen Kreis. Das Gericht gab vor, sich nicht für die Kritik an der Verfolgung von Journalist­en zu interessie­ren. Es fasste stattdesse­n diese Handbewegu­ng als homosexuel­le Geste und somit als Präsidente­nbeleidigu­ng auf. Die Haftstrafe wurde in eine Geldstrafe umgewandel­t, doch beiden Cartoonist­en droht bei einer erneuten Verurteilu­ng das Gefängnis.

Bahadır Baruter zeichnete nach der Verurteilu­ng eine Reihe düsterer Bilder, die die Abschaffun­g der Meinungsfr­eiheit abstrakter als seine vorherigen Arbeiten thematisie­ren und dadurch weniger konkrete Angriffsfl­äche bieten. Er verabschie­det sich darin aber auch vom satirische­n Humor. Auf einem Bild versinkt sein Arm in einem weißen Blatt, während um ihn herum eine stürmische Nacht herrscht. Auf einem anderen hängt er in einem Leichensac­k über seinem Zeichentis­ch.

»Schluss mit Lustig« veranschau­licht, wie sich die Bildsprach­e von Karikature­n in der politische­n Krise verändert, unter dem Druck von Systemvert­retern, die Satire nicht verstehen und sie kategorisc­h ablehnen.

»Schluss mit Lustig. Aktuelle Satire aus der Türkei«, vom 19. Juli bis zum 27. August in der Caricatura – Galerie für Komische Kunst, Rainer-Dierichs-Platz 1, Kassel

Der gleichnami­ge Begleitban­d erscheint im Anvant-Verlag (80 S., geb., 15 €).

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Abb.: Avant-Verlag Sefer Selvi, »LeMan« 2017

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