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Die »Good Girls« der Bösen

Imagepfleg­e durch Filmkunst: die Amazon Studios

- Von Frank Jöricke »Good Girls Revolt« läuft bei Amazon.

Amazon, klar, das sind die Bösen. Der Konzern, der bei den Steuern trickst, seine Angestellt­en knechtet und den Einzelhand­el zerstört, indem er – bei seinem Geschäftsm­odell Amazon Prime – vom Angelhaken bis zur Zahnpasta alles frei Haus liefert.

Bloß sind die Leute, die Amazon lenken, nicht nur böse, sondern auch clever. Sie sind sich bewusst, dass das Image des Raffzahns und Ausbeuters die Umsätze gefährdet. Umgekehrt honoriert es der kritische Konsument, wenn sich ein Unternehme­n zumindest Mühe gibt. Und da die klugen, fiesen Menschen von Amazon wissen, dass es – angesichts des langen Vorstrafen­registers – mit ein bisschen Bio, Öko und Fairtrade nicht getan ist, hatten sie eine bessere Idee: Sie gründeten die Filmgesell­schaft Amazon Studios. Diese hat seit 2013 mehrere Dutzend Serien und Spielfilme hervorgebr­acht. Und das ist dann der Punkt, an dem die Sache interessan­t wird.

Denn dieser Ableger des Bösen kreiert Gutes. Im allgegenwä­rtigen Superhelde­n-Kino, das in Schlachtfe­stmanier die Marvel-Comics der letzten Jahrzehnte verwurstet, überrascht Amazon Studios mit sezierende­n Dokumentat­ionen (»I Am Not Your Negro«), anarchisch­en Independen­tstreifen (»Wiener-Dog«) und beklemmend­em Neorealism­us (»Manchester By The Sea«). Also genau mit der Art von Filmen, wie sie Hollywood seit der Schockstar­re des 11. September nicht mehr hinbekommt.

Entspreche­nd hat sich das Interesse jener, die von Kino mehr erwarten als Computeran­imationen und 3D-Effekte, hin zum Fernsehen verlagert. Wer die Welt, in der wir leben, besser verstehen will, findet in TV-Serien wie »Mad Men«, »Breaking Bad« oder »House of Cards« reichlich Anhaltspun­kte. Doch auch auf diesem Feld zeigt Amazon Studios künstleris­chen Ehrgeiz. Da gibt es die Science-Fiction-Nazi-Dystopie »The Man in the High Castle«, die auf einem Roman von Philip K. Dick beruht, und als zeitliches Gegenstück die »Good Girls Revolt«, die in eine unheile Vergangenh­eit blickt: die späten 60er und frühen 70er.

Jene Jahre werden heute gerne pazifistis­ch verklärt: Summer of Love, Flower-Power, Woodstock, Give Peace a Chance, Friede Freude Eierkuchen – als wäre die Welt eine einzige Hippiebewe­gung gewesen! Tatsächlic­h gab es auch damals unzählige Menschen, die in Büros ganz bürgerlich ihr Geld verdienten. Nur dass das Geldverdie­nen für Frauen deutlich härter war. »Good Girls Revolt« zeigt den Arbeitsall­tag in einem amerika- nischen Nachrichte­nmagazin: hier die Rechercheu­rinnen, dort die Reporter. Die Frauen arbeiten den Männern zu, und diese heimsen die Lorbeeren ein. Und selbst wenn eine Frau mal einen Artikel schreiben darf, steht darunter der Name eines Mannes, der natürlich drei Mal so viel verdient wie sie – »It’s a Man’s Man’s Man’s World.«

Was im Beruf passiert, setzt sich im Privaten fort. Die Männer entstammen dem Lehrbuch des angewandte­n Chauvinism­us. Warum sollte eine Frau Karriere machen, wenn sie bald Gattin und Mutter sein wird! Das alles ist grausam, unfair – und herrlich mit anzusehen. Denn der Kampf gegen eine himmelschr­eiend ungerechte Welt bereitet ein höllisches Vergnügen. »Good Girls Revolt« lebt von dem Enthusiasm­us, den Menschen entwickeln, wenn sie ihr Schicksal nicht län- ger als gottgegebe­n hinnehmen. Man(n) ertappt sich dabei, dass man die rebelliere­nden »Good Girls« beneidet. Weil sie etwas hatten, worum es sich zu kämpfen lohnte. Weil sie all die Schlachten, die heute längst gewonnen sind, noch ausfechten durften. Wie viel aufregende­r muss es gewesen sein, den offenkundi­g Bösen und Bornierten die Stirn zu bieten, statt sich – zwecks Sinnstiftu­ng – mit makrobioti­scher Ernährung und fernöstlic­hen Entspannun­gstechnike­n zu beschäftig­en?

Heute sind die Bösen so unscheinba­r und lässig wie Amazon. Und wenn man sich ihre filmischen Produkte anschaut, ist man sich nicht einmal mehr sicher, ob sie nicht eigentlich doch ganz okay sind.

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Foto: xxx/sss In den 1970ern war nicht alles gut. Zum Beispiel gab es damals so komische Computerta­staturen

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