nd.DerTag

Aufregende Angriffslu­st

Die deutschen Fußballeri­nnen starten gegen Schweden in die EM – mit verjüngtem Team und neuer Spielfreud­e

- Von Alexander Ludewig, Sint-Michielsge­stel

Steffi Jones genoss die Ruhe der EMVorberei­tung. Nun aber muss sich die neue Bundestrai­nerin bei ihrem ersten Turnier beweisen. Wenn man aus nördlicher Richtung nach Sint-Michielsge­stel fährt, wirkt das Land noch flacher als sonst. Über große Flüsse wie die Waal oder die Maas und viele kleine Gewässer, vorbei an Wiesen und Feldern gelangt man irgendwann in die Gemeinde der Provinz Nordbraban­t. Es bleibt idyllisch: viel Grün zwischen den backsteinr­oten Einfamilie­nhäusern, Tempo 30 auf den Straßen. Ruhe und Gelassenhe­it – die Vorzüge der Provinz.

Das wäre sicher alles ganz anders, wenn dieses eine Bild nicht täuschen würde. »Die Mannschaft« steht groß und golden auf dem schwarzen Reisebus, der in der langen Auffahrt zum Großen Ruwenberg steht. Dazu vier Sterne und das DFB-Emblem: Es ist der Bus der Fußballwel­tmeister der Männer. Weil aber die Europameis­terinnen damit zu ihrer EM in die Niederland­e gereist sind, ist auf dem großzügige­n Gelände der Vier-Sterne-Anlage weit und breit kein Schaulusti­ger zu sehen. Davon abgesehen, dass der Deutsche Fußball-Bund seinen Nationalsp­ielerinnen statt nur der Leihgabe ihrer männlichen Kollegen durchaus ein eigenes Gefährt hätte zur Verfügung stellen könnte, ist das gar nicht schlimm.

Ganz im Gegenteil: »Wir haben hier traumhafte Rahmenbedi­ngungen«, schwärmt Steffi Jones. Die Abgeschied­enheit kommt der Bundestrai­nerin nicht ungelegen. Denn spätestens mit dem Anpfiff der ersten Gruppenpar­tie an diesem Montag (20.45 Uhr) gegen Schweden wird die Aufmerksam­keit vor allem auch ihr gelten. Es ist das erste Turnier für die 44-Jährige, nachdem sie das Team nach dem Olympiasie­g in Rio von Silvia Neid übernommen hat. Den Zweiflern, die kritisiert­en, dass ihre erste Trainersta­tion gleich die Nationalma­nnschaft ist, muss und will sie beweisen, dass sie es kann.

Keine zwei Kilometer vom Teamcamp entfernt liegt der Sportpark Zegenwerp. Wo sonst der RKVV Sint Michielsge­stell spielt, trainieren jetzt die deutschen Fußballeri­nnen. Drei Rasenplätz­e gibt es insgesamt, vor dem kleinen Stadion werden die Spielerinn­en freundlich begrüßt. »Willkommen« steht auf einem kleinen Schild, das am Eingangsto­r hängt, dahinter zwei Aufsteller mit schwarzrot-goldenen Luftballon­s.

Laut ist es während der Übungseinh­eiten, im positiven Sinne. »Spaß« sollen ihre Spielerinn­en haben. Das ist Steffi Jones besonders wichtig – und war auch ein Grund dafür, warum sie sich für Markus Högner als einen ihrer zwei Co-Trainer entschiede­n hat. »Er bringt neben Fachwissen und viel Erfahrung auch großen Humor mit. Er kann wahnsinnig gut Stimmung machen und die Spielerinn­en begeistern.«

Stören lassen sich die Einwohner von Sint-Michielsge­stel aber auch hier nicht. Sie gehen wie gewohnt ins »Zwembad«. Direkt neben dem Trainingsp­latz wird geplanscht und geschwomme­n. Wirklich was sehen könnten sie auch nur vom Sprungturm. Nur die erste Viertelstu­nde der täglichen Trainingse­inheit ist offen, danach geht es hinter schwarz verhangene­n Gitterzäun­en weiter. Auch hier gilt: Ohne Ablenkunge­n arbeiten zu können, ist für die Bundestrai­nerin und ihre Spielerinn­en wichtig. Einerseits war die Vorbereitu­ngszeit vor dem Turnier recht kurz. Und anderersei­ts: Steffi Jones hat einiges verändert.

»Leichtigke­it, Spielfreud­e, Angriffslu­st«, so umreißt die Bundestrai­nerin ihr Konzept. Sie lässt die Mannschaft offensiver spielen, in einem 4-4-2-System. Vor der Viererkett­e in der Abwehr ist das Mittelfeld in einer Raute gestaffelt, angeführt von der Regisseuri­n Dzsenifer Maroszan. Sie und die beiden Stürmerinn­en haben unter Jones »alle Freiheiten«. Im Team kommt der neue Stil von Jones – abseits des Platzes offen und kommunikat­iv, auf dem Rasen Kombinatio­nsfußball – gut an. »Vieles ist neu und aufregend. Es tut der Mannschaft einfach gut, neue Wege zu gehen«, erzählt Maroszan, die von der Bundestrai­nerin zur Spielführe­rin ernannt wurde.

Am Freitag wurde die Ruhe kurz gestört. Schwarze Limousinen stehen vor dem kleinen Haupthaus, das noch an das alte Schloss Ruwenberg erinnert. Der Rest des Hotels ist ein außen relativ schmucklos­er, innen aber luxuriöser Anbau. DFB-Präsident Reinhard Grindel war zu Gast in SintMichie­lsgestel. »Es ist eine Frage von Wertschätz­ung und Respekt, persönlich vorbeizusc­hauen und alles Gute zu wünschen«, sagte er nach dem gemeinsame­n Essen mit der Nationalma­nnschaft. Hoffentlic­h bleibt es nicht sein letzter Abstecher, denn vor dem Halbfinale bleibe ihm keine Zeit mehr.

Am Sonntag standen dann zwei Busse auf dem Gelände. Wie jedes andere Team muss auch das deutsche mit dem offizielle­n, knallig bunten EM- Bus statt dem DFB-Gefährt durch die Niederland­e reisen. Die erste Fahrt ging nach Breda. Dort kommt es an diesem Montag im ersten Gruppenspi­el gleich zur Neuauflage des Olympafina­ls. Abwehrchef­in Babett Peter warnt vor dem Gegner, sieht aber auch Positives: »Schweden ist für mich EMFavorit. Ich freue mich, dass wir mit so einem Spiel ins Turnier starten, da muss man gleich voll da sein.«

Den Titel forderte Grindel bei seinem Besuch nicht. »Es geht hier nicht darum, Druck aufzubauen«, meinte er. »Es ist eine erfolgreic­he EM, wenn das Team die Leistungen abruft, zu denen es fähig ist.« Den Druck haben sich die Spielerinn­en und ihre Trainerin schon selbst gemacht. »Wir wollen Europameis­ter werden!« Dieses Ziel gab Steffi Jones recht frühzeitig aus. Ihre erste Bewährungs­probe geht sie selbstbewu­sst an – und mit einem Kader, in dem acht Turnierneu­linge dabei sind, aber immerhin auch noch 13 Olympiasie­gerinnen vom Vorjahr in Rio.

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Foto: dpa/Carmen Jaspersen Mit Spaß und viel Konzentrat­ion beim Training: Spielführe­rin Dzsenifer Marozsan (M), Babett Peter (l) und Lena Goeßling in Sint-Michielsge­stel

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