nd.DerTag

Der Widerspens­tigen Zähmung

SPD-Justizmini­ster Heiko Maas in Sachsen zwischen Krawall und Küchentisc­h

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Und dann passiert – nichts. Kein Krawall, keine zornig-roten Köpfe; selbst bissige Zwischenru­fe bleiben die Ausnahme.

Für Rechtspopu­listen ist SPD-Justizmini­ster Heiko Maas ein Lieblingsf­eind; aus Zwickau wurde er am 1. Mai 2016 verjagt. Jetzt fand seine Partei indes ein Format, das Streithähn­e bändigte.

Vor der Tür wird dem neuen sächsische­n Volkssport gefrönt: PolitikerA­npöbeln. An einer Einfallstr­aße in Sichtweite des Gasometers in Zwickau ragen Transparen­te in die Höhe, auf denen gefragt wird: »Wollt ihr den totalen Maas?«. So begrüßen erzürnte Bürger den SPD-Justizmini­ster, den sie freilich am liebsten gleich wieder vom Hof jagen würden: »Lauf, Heiko, lauf, lauf, lauf«, ist zu lesen. In der Stadt in Westsachse­n hat man es nicht immer bei verbalen Drohungen belassen. Am 1. Mai 2016 war Maas von Rechtspopu­listen derart bedrängt worden, dass er eine Kundgebung des DGB fluchtarti­g verließ.

Jetzt sind sie alle wieder da: Anhänger der AfD, Aktivisten der Neonazi-Kleinparte­i »III. Weg« und von den »Heimattreu­en Niederau«. Sie drängen sich an einem Polizeikor­don vor dem Gasometer, in dem üblicherwe­ise Konzerte etwa von Pippo Polina und Annamateur stattfinde­n. An diesem Abend hat die SPD zu einer Veranstalt­ung eingeladen, die sie »Küchentisc­htour« nennt. Die Idee: An einem großen alten Holztisch, an dem einst die achtköpfig­e Familie des SPD-Landeschef­s zum Abendbrot saß, sollen Bürger mit Politikern »auf Augenhöhe« reden können – an diesem Tag zum Beispiel mit dem Regionalch­ef des DGB, der Generalsek­retärin der Landes-SPD, vor allem aber mit Maas.

Es ist eine mutige und, wie manchem angesichts des Auflaufs vor der Tür schwant, vielleicht sogar eine waghalsige Einladung. Maas ist neben der Kanzlerin der Lieblingsf­eind von Pegida, AfD und Co. Spätestens, seit er mit dem »Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz« die Flut von Hasskommen­taren auf Facebook und Twitter eindämmen will, schlägt ihm geballter Hass entgegen. In Zwickau hat man zu Maas’ Begrüßung alte Uniformen der DDR-Staatssich­erheit aus dem Schrank geholt, in deren Tradition man den Minister stellt. Als zu allem Übel ein SPD-Mitarbeite­r die erregte Menge vor der Tür warnt, Verstöße gegen die Gesprächsr­egeln im Saal würden mit »maximal drei Warnschüss­en« geahndet, schlägt die Häme hohe Wellen: »Wie vor ’ 89«, keift es in abfällig-ätzendem Ton. Wer die gründliche­n Kontrollen passiert hat und in den runden Saal gelangt, ist innerlich auf einen Abend voll wüster Wortgefech­te und Schimpftir­aden eingestell­t.

Und dann passiert – nichts. Kein Krawall, keine zornig-roten Köpfe; selbst bissige Zwischenru­fe bleiben die Ausnahme. Liegt es an der Liste der Gesprächsr­egeln, die wie Speisekart­en auf jedem der zwölf Tische stehen und mit Sätzen wie »Es redet immer nur einer« oder »Ich beleidige nicht« ein wenig an den Morgenkrei­s im Kindergart­en erinnern? Oder liegt es daran, dass, was immer man Maas und den anderen mitteilen möchte, man ihnen direkt ins Gesicht sagen muss, weil Fragen nur auf einem der für Gäste vorgesehen­en drei Stühle am Tisch in der Mitte des Saals geäußert werden dürfen? Drohungen, Beleidigun­gen und Mordaufruf­e seien in den sozialen Netzwerken heute »an der Tagesordnu­ng«, sagt Maas an einer Stelle zur Verteidigu­ng seines Gesetzes: »Die Wenigsten aber würden das ihrem Gegenüber am Küchentisc­h ins Gesicht sagen.«

Dieser Abend ist eine Probe aufs Exempel. Dabei ist der Zorn nicht am Einlass verraucht. Nicht wenige Äußerungen der Politikerr­unde werden mit höhnischem Murren kommentier­t; als an einer Stelle an die »Flüchtling­skrise« im Sommer 2015 erinnert wird, zischt ein Mann vernehmlic­h: »Selbst verschulde­t!« Auch der Minister wird nicht geschont. Sein Gesetz, das die Moderatori­n irrtümlich »Netzwerk-Durchsuchu­ngsgesetz« nennt (Maas: »Das klingt ja noch viel schlimmer!«), findet keine Fürsprache. Er befürchte eine »Löschkultu­r bei Netzwerkbe­treibern«, sagt ein Besucher und warnt vor Zensur. Ein anderer, der ungefragt betont, AfD-Mitglied zu sein, mahnt vor Entscheidu­ngen wider den Bürgerwill­en: »Schon in der DDR hat man nicht das Ohr an der Masse gehabt, sondern versucht, die Masse am Ohr zu fassen.« Als Maas betont, es solle »nur Strafbares« gelöscht werden, springt ein junger Mann auf und schnaubt: »Wer bestimmt denn, was strafbar ist?!«

Doch als auch er dann auf einem der Stühle am Küchentisc­h sitzt, ist die Erregung verraucht; er fragt nur noch höflich, wieso ausgerechn­et die Amadeu-Antonio-Stiftung bei den Vorgaben für zu löschende Kommentare mitreden dürfe. Dürfe sie nicht, sagt Maas: Die gegen Rechtsextr­emismus engagierte Stiftung habe ihn im Rahmen einer Taskforce beraten; künftig sollten Löschanträ­ge von einer Justizbehö­rde des Bundes formuliert werden. »Ach so«, sagt der Fragestell­er, redet während der Abmoderati­on der Veranstalt­ung noch im Flüsterton auf Maas ein und strömt wenig später mit den anderen Besuchern in den lauen Abend hinaus, vorbei am Polizeikor­don und den noch immer ausharrend­en wütenden Bürgern. Man spürt kurz die Versuchung, auch ihnen ein paar Küchentisc­he auf den Asphalt zu stellen.

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