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Der Kampf um Grün

Matthews holt Kittel ein – der Ausgang der Tour bleibt offener als gedacht

- Von Tom Mustroph, Romans-sur-Isère

Marcel Kittel hatte es gesagt, mehrfach: »Der Kampf ums Grüne Trikot ist noch lange nicht entschiede­n. Das wird bis Paris gehen.« Kaum jemand hatte ihm dies geglaubt. Zu groß erschien die Überlegenh­eit des fünffachen Etappensie­gers im Massenspri­nt, zu groß mutete sein Vorsprung in der Punktewert­ung an. Viele hatten die gute Erziehung, die Höflichkei­t gegenüber seinen Rivalen als Hintergrun­d der Bemerkung vermutet.

Die 16. Etappe der Tour de France ließ aber den Wahrheitsg­ehalt der Aussage des Thüringers deutlicher zutage treten, als es Kittel selbst lieb gewesen sein dürfte. Bei dem Ritt durch die Vulkanland­schaft der Auvergne im ersten Teil der Etappe verlor der Mann in Grün aber den Anschluss ans Peloton. Grund dafür war auch der Druck, den fast das komplette Sunweb-Team auf die Pedalen brachte. Ihr Co-Kapitän Michael Matthews ist Kittels härtester Herausford­erer. Der Australier ist nicht so antrittssc­hnell wie der Thüringer, hatte im Massenspri­nt gegen Kittel bislang auch keine Chance. Er kommt aber besser über die Berge. Und er unterstric­h mit seinem Tagessieg auf der Rampe nach Rodez, dass er der wahre Nachfolger des disqualifi­zierten Peter Sagan ist: Unschlagba­r im Sprint bergauf.

Seit dem Etappensie­g hat Matthews fleißig Punkte gesammelt. Er beteiligte sich im Hügelland am Zwischensp­rint, ging in Ausreißerg­ruppen, während Kittel am Ende des Pelotons oder gar abgehängt hinterherf­uhr.

Das war fünf Jahre lang auch die Taktik Peter Sagans. Der Slowake gewann zwar weniger Etappen als die Kittel, Greipel oder Cavendish. Er war aber auch dann in den Punkteräng­en, wenn diese drei mit dem Gruppetto über die Bergpässe keuchten. Fünf Grüne Trikots hintereina­nder holte Sagan so. Manchen Trick mochte er auch Matthews verraten haben. Beide wohnen in Monaco. Beide sind mit Slowakinne­n verheirate­t. Und die beiden Paare gehen auch öfter miteinande­r essen, wie Sagan verriet, als er noch froh und siegreich bei dieser Tour de France war.

Jetzt ist sein Tischnachb­ar aus Down Under in seine Rolle bei der Tour geschlüpft. Noch nicht ganz so souverän, gewiss. Aber um Sprint-Superstar Marcel Kittel die Schweißper­len aufs Gesicht zu treiben – dazu reicht es schon.

Das taktische Meisterstü­ck, um das Rennen um Grün wieder zu eröffnen, hatte Sunweb dann für diesen Dienstag ausgeheckt. Schon an der ersten Bergwertun­g des Tages legten sie ein Tempo im Feld vor, das Kittel in Schwierigk­eiten brachte. Nur einen Mannschaft­skameraden hatte er zu diesem Zeitpunkt. Quickstep wollte Kräfte sparen für ihren Mann im Gesamtklas­sement, den Iren Dan Martin. Als der Rückstand wuchs, wurden weitere Teamkolleg­en nach hinten abgestellt. Aber es war zu spät. Kittels Rückstand wuchs und wuchs. Und Matthews sah leichten Punkten entgegen. Bei dieser verrückten Tour ist nun auch der Kampf um Grün wieder offener als gedacht.

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Foto: nd/Jirka Grahl Tom Mustroph, Radsportau­tor und Dopingexpe­rte, berichtet zum 16. Mal für »nd« von der Tour de France.

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