nd.DerTag

Umfaller

Leo Fischer über die G20-Proteste und vormals Linksliber­ale, die ihre Liebe zur harten Hand entdeckten

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Die Einschläge kommen näher. Ungarn hat schon vor einer Weile die Demokratie abgeschaff­t, Polen hat jetzt nachgezoge­n. In Frankreich wurde eine rechtsradi­kale Regierung gerade noch mal so verhindert; sollte sie demnächst trotzdem an die Macht kommen, wird sie sich über zahlreiche Sondervoll­machten freuen, die Macron aus den Notstandsr­egelungen in dauerhaft geltendes Recht umwandeln will. In Deutschlan­d wird ein im internatio­nalen Vergleich schlicht lachhaft zu nennender Krawall nicht nur zur Apokalypse stilisiert, sondern zur Projektion­sfläche ungezügelt­er ordnungspo­litischer Durchsetzu­ngsfantasi­en – während die größte nationalso­zialistisc­he Versammlun­g seit ‘45 in Themar als ostdeutsch­e Folklore abgetan wird. Die Polizei hat sogar noch Parkplätze organisier­t. Währenddes­sen sind im Prozess um die Gruppe Freital wieder Beweismitt­el verschwund­en; man ist schon froh, dass es keine Zeugen waren. Die politische­n Sympathien der Ordnungshü­ter, aber auch der Sportschüt­zenund sogenannte­n Security-Szene sind bekannt, Überschnei­dungen zur Reichsbürg­erbewegung sind vielfach dokumentie­rt – von einem »tiefen Staat« will man aber noch nicht sprechen, man ist ja Exportnati­on, hat einen Ruf zu riskieren. In rechten Foren wird derweil schon lustvoll über Bürgerkrie­g fabuliert.

Ja, man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass die soziallibe­rale deutsche Konsensges­ellschaft am Wegbröckel­n ist, dass einige Säulen dieser Gesellscha­ft doch wackeliger sein könnten als bisher vermutet, und wer will es den Leuten verübeln, dass sie sich schon mal Gedanken machen, wie sie ihr klein’ Äckerchen auch unter veränderte­n politische­n Bedingunge­n bestellen können?

Die G20-Krawalle waren jedenfalls eine sehr schöne Probe darauf, wer sich solche Überlegung­en gemacht hat, wer gedanklich schon mit einer neuen Ordnung paktiert. Exemplaris­ch ließ sich beobachten, wie vormals linksliber­ale Journalist­en, Politiker, Comedians reihenweis­e einknickte­n, weil sie dachten, nun bräche der Notstand aus. Vormals kritische Publiziste­n fielen der Polizei um den Hals, Fernsehspa­ßvögel machten sich Gedanken um linken Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l. Terror, Foodblogge­r träumten von Fußfesseln und Bannmeilen. Kurz und schlecht, sie waren Umfaller; sie hatten darauf spekuliert, dass der Wind sich nach G20 rasch dreht und man den neuen Verhältnis­sen schon mal nach dem Mund reden sollte.

Da war der TV-Humorist, der auf Twitter rührselige Geschichte­n von seinen Polizisten­freunden erzählte; da war der FDP-nahe Blogger, der die Demonstran­ten als Feiglinge beschimpft­e; da war der Bild-Mann, der mit dem Schimpfen auf »Asoziale« schon recht freimütig NS-Jargon verbreitet­e. Sie alle hatten sehr schnell ihre Liebe zur harten Hand entdeckt, als sie sie im Einsatz sahen. Ganz so schnell hat sich der Wind dann doch nicht gedreht; die Stimmung ist wieder recht heimelig, viele Meinungsst­ücke zur sogenannte­n Gewaltdeba­tte, mit denen zum Beispiel die »Zeit« gerade um Aufmerksam­keit buhlt, wirken schon wieder wie aus einer anderen Epoche. Die große öffentlich­e Erhebung gegen die Reste dessen, was in diesem Land noch links ist, hat nicht stattgefun­den; der vormals hysterisch­e Ton der Umfaller wird konziliant­er, bürgerlich­er. Noch ist die Zeit nicht gekommen, noch hält der Konsens.

Ich weiß nicht, wie Sie’s halten, aber ich merke mir solche Leute. Gerade solche, die von unserer als der freiesten aller Gesellscha­ften schwafeln, aber sich in wütendste Apologeten der Staatsgewa­lt verwandeln, sobald sie das Gefühl haben, dass nun doch der Ausnahmezu­stand vor der Tür steht. Diese Leute sind zu nichts zu gebrauchen. Ihre Liberalitä­t, ihre Bürgerlich­keit, ihr Konservati­smus ist nichts wert, wenn er unter der geringsten Erschütter­ung zusammenbr­icht. Ihre Liebe zur freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng reicht nur für den Alltag.

In der Türkei hat man gesehen, wie der weitgehend friedliche linke Protest im Gezi-Park 2013 den Anstoß gab für einen radikalen Umbau der Gesellscha­ft hin zum autoritäre­n Polizeista­at: Es hat nicht einmal fünf Jahre gedauert. Die Leute, die ihre demokratis­chen Manieren bei den G20-Krawallen verloren haben, hätten auch die Gezi-Proteste als unverhältn­ismäßig kritisiert. Dass selbst Loyalität zu den neuen Verhältnis­sen nicht vor ihnen schützt, musste nun der Filmemache­r lernen, der Erdogan mit dem Huldigungs­film »Reis« ein schauriges Denkmal setzte und nun selber als terrorverd­ächtig gilt. Denn Umfaller braucht keiner. Auch nicht die, die umfallen lassen.

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Foto: privat

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