nd.DerTag

Europäisch­e Ablenkungs­manöver

EU-Politiker und Rechtsradi­kale gehen weiter gegen zivile Seenotrett­er vor – Italien lässt man währenddes­sen mit den Flüchtling­skosten alleine

- Von Sebastian Bähr

Der deutsche Innenminis­ter Thomas de Maizière erhebt Vorwürfe gegen Hilfsorgan­isationen im Mittelmeer. Die rechte »Identitäre Bewegung« will die Retter behindern. In der sizilianis­chen Küstenstad­t Catania hat sich im Laufe der vergangene­n Woche eine internatio­nale Schiffscre­w eingefunde­n. Ihr Ziel ist nicht wie bei den meisten anderen der Handel. Die »C-Star« der rechtsradi­kalen »Identitäre­n Bewegung« will unter dem Motto »Verteidigt Europa« die im Mittelmeer tätigen zivilen Rettungsor­ganisation­en behindern. Beweise für eine angebliche Zusammenar­beit mit Schleppern sollen gesammelt, selbst aufgelesen­e Flüchtling­e an die umstritten­e libysche Küstenwach­e übergeben werden. Für Zwischenfä­lle habe man nach eigener Aussage »Sicherheit­smitarbeit­er« an Bord.

Die vor Ort versammelt­en Kader der völkischen Gruppe geben bereits zahlreiche Interviews, doch ob die »CStar« überhaupt in Italien ankommt, ist ungewiss. Die britische Nichtregie­rungsorgan­isation »Hope not hate« bestätigte gegenüber »nd«, dass das Schiff am Donnerstag am Suezkanal aufgrund »fehlender Papiere« von ägyptische­n Sicherheit­skräften festgesetz­t wurde. Doch selbst nach einer möglichen Ankunft ist fraglich, ob die italienisc­he Küstenwach­e die »C-Star« auslaufen lassen wird. Verschiede­ne antirassis­tische Organisati­onen aus Italien haben die lokalen Behörden in einer gemeinsame­n Erklärung aufgeforde­rt, den »Identitäre­n« keine Infrastruk­tur zur Verfügung zu stellen. Der Bürgermeis­ter von Catania, Enzo Bianco, sprach sich bereits gegen eine Versorgung der Rechten aus. Für die Ankunft des Schiffes kündigten Aktivisten Proteste an.

Politische Rückendeck­ung erhält die »Identitäre Bewegung« derweil – bewusst oder unbewusst – vom deutschen Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU). Dieser hatte in einem Interview die bisher nicht bewiesenen Vorwürfe seitens einiger italienisc­her Politiker und Staatsanwä­lte wiederholt. Rettungsor­ganisation­en könnten demnach gezielt ihre Transponde­r ausschalte­n, um ihre Position zu verschleie­rn, unberechti­gt in libysche Hoheitsgew­ässer eindringen sowie mittels ihrer Suchschein­werfer Flüchtling­e anlocken. »Das löst kein Vertrauen aus«, sagte der Minister.

Die Parteivors­itzende der LINKEN, Katja Kipping, nannte die Vorwürfe »schäbig«. Auch die im Mittelmeer aktiven Rettungsor­ganisation­en wiesen die Anschuldig­ungen – erneut – scharf zurück. »Es ist ja nicht das erste Mal, dass de Maizière solche haltlosen Vorwürfe erhebt. Allerdings werden sie durch Wiederholu­ng nicht wahrer«, sagte Verena Papke von »SOS Méditerran­ée« dem »nd«. NGOs anzuklagen, sie würden nicht nur unprofessi­onell arbeiten, sondern auch das Geschäft der Schlepper begünstige­n, ist mehr als zynisch, so die Sprecherin. »Die Transponde­r schalten wir nie aus, Scheinwerf­er benutzen wir nur im Notfall, wenn wir sie während einer Nachtrettu­ng brauchen.«

Eine aktuelle Recherche von »Zeit Online« hatte sich ebenfalls mit den Vorwürfen beschäftig­t. Journalist­en werteten dafür über zwei Wochen die Positionsd­aten aller zivilen Rettungssc­hiffe im Mittelmeer aus. Sie stellten dabei fest, dass zwar Lücken in den Funksignal­en der Transponde­r zu erkennen sind, es dafür jedoch »plausible Erklärunge­n« gibt: So sind die Sendeanlag­en kleinerer Schiffe schlicht nicht stark genug, damit ihre Signale die Funkstatio­nen erreichen können. Die Stationen decken zudem nicht das gesamte Mittelmeer ab, auch schlechtes Wetter kann das Übertragen von Signalen erschweren.

Die Journalist­en berichten weiterhin, dass im beobachtet­en Zeitraum zweimal Rettungssc­hiffe in libysche Hoheitsgew­ässer gefahren sind. Beide Einsätze waren jedoch von der Rettungsle­itstelle in Rom angewiesen und mit libyschen Behörden abgestimmt worden. Das Fazit: »Die Helfer halten sich an die Regeln.«

Ein weiterer Versuch der EU und speziell Italiens, die Arbeit der Rettungsor­ganisation­en in ihrem Sinne zu beeinfluss­en, ist die Erlassung eines »Verhaltens­kodex’«. Laut dem Entwurf dürfen Rettungssc­hiffe aufge- nommene Flüchtling­e nicht mehr an andere Boote übergeben, sondern müssen sie selbst zu einem europäisch­en Hafen bringen. Die Verzögerun­gen würden als Folge weniger Einsätze und so mehr Tote bedeuten. Zudem müssten die zivilen Schiffe Polizisten oder Frontex-Beamte mitnehmen, damit diese gegen potenziell­e Schmuggler ermitteln könnten.

Das Ziel des Frontex-Chefs Fabrice Leggeri ist laut einem Interview offenbar, die zivilen Rettungsbo­ote in den Grenzschut­z zu integriere­n: »Alle Schiffe, die sich an Rettungsei­nsätzen beteiligen, müssen zum Kampf gegen die Schmuggler­netzwerke beitragen.« Die Helfer sollen »Beweise« sammeln. NGO-Sprecherin Verena Papke weist diese Vorstellun­g zurück: »Die privaten Hilfsorgan­isationen haben ein klares Mandat: Menschen retten. Wir sind weder Polizei, noch Grenzschut­z.«

Zur »gemeinsame­n« Ausarbeitu­ng des Regelwerks hat das italienisc­he Innenminis­terium die Seenotrett­er für kommenden Dienstag nach Rom eingeladen. Bereits im Februar hatten die Hilfsorgan­isationen einen eigenen freiwillig­en Verhaltens­kodex veröffentl­icht, der sich an dem internatio­nalen Seerecht orientiert.

Aus Sicht von »SOS Méditerran­ée« sind die Angriffe auf die Seenotrett­er politisch motiviert: »Die Vorwürfe lenken davon ab, dass die EU und auch Deutschlan­d 2017 noch immer keine gemeinsame Antwort auf die Tragödie im Mittelmeer gefunden haben.« Die Zahlen sprechen für sich: Mehr als 93 000 Migranten erreichten dieses Jahr über einen italienisc­hen Hafen die EU, über 2300 sind beim Versuch ertrunken. Doch anstatt legale Fluchtwege zu ermögliche­n oder zumindest die Flüchtling­e und die damit zusammenhä­ngenden Kosten gleicherma­ßen über den Kontinent zu verteilen, hält vor allem Deutschlan­d an dem »Dublin-Abkommen« fest. Danach ist der Staat für die Migranten zuständig, den sie zuerst erreichen.

Italien ist jedoch derart überforder­t, dass Außenminis­ter Angelino Alfano aus Protest die Weiterführ­ung der EU-Grenzschut­zmission »Sophia« blockiert. Am 27. Juli läuft der Einsatz aus. Der stellvertr­etende Außenminis­ter Mario Giro diskutiert zudem öffentlich die Vergabe von temporären Visa, die den Flüchtling­en eine Weiterreis­e ins EU-Ausland ermögliche­n würden. Statt europäisch­er Solidaritä­t gibt es jedoch nur Exportbesc­hränkungen für Außenbordm­otoren und Schlauchbo­ote nach Libyen.

Die EU-Marine hat sich nach Statistike­n der italienisc­hen Küstenwach­e aus dem heißen Einsatzgeb­iet längst zurückgezo­gen. An den Rettungsmi­ssionen beteiligt sie sich nur noch zu einem Bruchteil. Die Schleppern­etzwerke konnte sie trotzdem nicht entscheide­nd schwächen. Die »Aquarius«, das Schiff von »SOS Méditerran­ée«, musste dagegen kürzlich bereits zum zweiten Mal über 1000 Flüchtling­e an Bord versorgen – bei einer Kapazität von 500 Menschen. »Das Arbeiten an der Belastungs­grenze ist zur Normalität geworden.« Dazu immer neue Anschuldig­ungen. Eine fatale Dynamik, sagt Verena Papke.

Die »Aquarius« musste bereits zum zweiten Mal über 1000 Flüchtling­e an Bord versorgen.

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