nd.DerTag

Deutschlan­d verlässt widerwilli­g den Strand

Neuausrich­tung der Türkeipoli­tik bleibt im Vagen, sicherer Verlierer ist bisher nur die Wirtschaft

- Von Uwe Kalbe

Deutsche Unternehme­n bangen um ihre Geschäfte in der Türkei, und der Ton regierungs­naher türkischer Medien verschärft sich. Da wirkt ein schiefer Vergleich Wolfgang Schäubles beinahe entspannen­d. Partner oder Gegner? Die Türkei ist jetzt irgendwie beides. Für den Präsidente­n des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz wird diese Zwitterste­llung nicht ungewöhnli­ch sein, vermutlich behandeln sich auch verbündete Geheimdien­ste immer misstrauis­ch und kooperativ zugleich. Jedenfalls hielt Hans-Georg Maaßen das Bekenntnis auf einer Veranstalt­ung am Freitag in Berlin offenbar für an der Zeit: Man behandele die Türkei spätestens seit dem Putschvers­uch im letzten Sommer nicht nur als Partner, sondern »mit Blick auf Einfluss-Operatione­n in Deutschlan­d auch als Gegner«.

Gegnerisch klingen auch die Schlagzeil­en, die derzeit zu lesen sind: »Bei uns ist die Justiz unabhängig, Hans«, titelte die Zeitung »Türkiye« am Freitag. »Hans« ist für Präsident Recep Tayyip Erdogan ein gern genutztes Synonym für »den Deutschen«. Auf der ersten Seite des »Star« fanden sich Fotos des Journalist­en Deniz Yücel und des gleichfall­s inhaftiert­en Menschenre­chtlers Peter Steudtner als Illustrati­onen zur Schlagzeil­e: »Neues EU-Kriterium: Freiheit für Agenten«. Die »Bild«-Zeitung goss ihrerseits Öl ins Feuer: »Türkei-Krise: Verhaftet Erdogan jetzt auch Urlauber?« Ein empörtes Echo der türkischen Politik war ihr am gleichen Tag gewiss.

Während Peter Steudtners Berliner Kirchengem­einde um ihr langjährig­es Mitglied bangt und ankündigte, nunmehr regelmäßig in der Gethsemane­kirche für seine Freilassun­g beten zu wollen, bangt die deutsche Wirtschaft wegen der Folgen, die die »Neuausrich­tung« der deutschen Politik gegenüber Ankara haben wird. Nach der Ankündigun­g von Außenminis­ter Sigmar Gabriel am Donnerstag, die Hermes-Bürgschaft­en »auf den Prüfstand« zu stellen, befinden sich die über 6000 in der Türkei an- gagierten Unternehme­n gleicherma­ßen im Dilemma. Öffentlich­e Ablehnung der türkischen Politik oder Wahrung der eigenen Interessen? Hermes-Bürgschaft­en sichern deutsche Unternehme­n bei Investitio­nen im Ausland mit staatliche­n Mitteln ab; Verluste werden erstattet. Aus dem Rückgang dieser Bürgschaft­en im letzten Jahr von zwei Milliarden auf 1,2 Milliarden Euro folgerte Michael Fuchs, Wirtschaft­spolitiker der CDU, im Deutschlan­dfunk, dass die Wirtschaft bereits ihre Schlüsse zog und vorsichtig­er geworden ist. Die Exporte sanken um zwei Prozent auf 21,9 Milliarden Euro – bei einem Handelsvol­umen von insgesamt 37 Milliarden Euro. Zum Teil sei dies aber auch ein Ergebnis des verteuerte­n Exports deutscher Waren, weil die türkische Lira an Wert verlor. Volker Treier, Außenwirts­chaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages, erwartete im Deutschlan­dfunk einen Rückgang der Exporte in die Türkei von zehn Prozent. Gabriels Ankündigun­gen nannte er immerhin einen »notwendige­n Schritt«.

Die Opposition verlangt freilich viel mehr Härte, als die Bundesregi­erung bisher an den Tag zu legen bereit ist. Vor allem sind es die Rüstungsex­porte, die ihr ein Dorn im Auge sind und die etwa die Grünen-Politikeri­n Claudia Roth, Vizepräsid­entin des Bundestage­s, als Verstoß gegen die deutschen Exportrich­tlinien betrachtet. Die LINKE lehnt solche Exporte ohnehin ab. Allerdings unterliege­n Rüstungsex­porte in ein NATO-Land keinen Beschränku­ngen. Die Möglichkei­t einer Beschränku­ng, wie sie aus dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium am Freitag bestätigt wurde, bleibt bisher vage. Die Bemerkung von Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) im ZDF-Morgenmaga­zin, man werde zu jedem Zeitpunkt prüfen, ob weitere Beschlüsse notwendig sind«, dürfte eher ein Hinweis darauf sein, dass keine aktuellen Anträge vorliegen. Der Bundessich­erheitsrat, dessen Zustimmung Voraussetz­ung jedes Rüstungsex­ports ist, tritt bis zur Bundestags­wahl gar nicht mehr zusammen. Viel Prüfstand, wenig Konkretes also. Immerhin kündigte Altmaier an, die Bundesregi­erung werde auf die EUPartner einwirken, dass die sogenannte­n Vorbeitrit­tshilfen, also die beträchtli­chen Mittel, die Ankara als Beitrittsk­andidat erhält, auf Eis gelegt werden. Die Türkei erhält von 2014 bis 2020 rund 4,45 Milliarden Euro.

Für ein wenig Ablenkung des Zorns von Ankara sorgte Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU), indem er seine Assoziatio­nen mit den Verhaftung­en in der Türkei öffentlich machte und dabei Erinnerung­en an die DDR bemühte. »Die Türkei verhaftet inzwischen willkürlic­h und hält konsularis­che Mindeststa­ndards nicht ein. Das erinnert mich daran, wie es früher in der DDR war«, sagte Schäuble der »Bild«-Zeitung. »Wer dort gereist ist, dem war klar: Wenn dir jetzt etwas passiert, kann Dir keiner helfen.« Auch die Türkei sei für deutsche Touristen zum Risikoland geworden. Dass Schäuble nicht mehr zu helfen ist, so weit ging Egon Krenz, befragt von der Deutschen PresseAgen­tur, nicht. Der letzte DDRStaats- und Parteichef nannte den Vergleich nur absurd. »Genau so absurd, wie der Vergleich der Bundesrepu­blik mit dem Nazireich durch Erdogan«.

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Foto: dpa/Can Merey Alanya war eine Hochburg deutscher Touristen, heute sind dort kaum noch Bundesbürg­er anzutreffe­n.

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