nd.DerTag

Viel Feind, viel Ehr’

Erdogan wird außenpolit­isch deutlich einsamer

- Von Jan Keetmann

Die deutsche Neuorienti­erung der Türkeipoli­tik ist folgericht­ig. Ihr ging die Neuorienti­erung der türkischen Außenpolit­ik voraus. Es ist bisher unklar, wie der deutsche Menschenre­chtstraine­r Peter Steudtner in die Mühlen der türkischen Justiz geriet. Nicht alle Menschenre­chtsaktivi­sten, die am 5. Juli bei einem Seminar auf der Insel Büyükada bei Istanbul festgenomm­en wurden, kamen später in Untersuchu­ngshaft. Die türkische Justiz hätte Steudtner ziehen lassen oder unter der Bedingung, das Land nicht zu verlassen, auf freien Fuß setzen können. Der große Krach mit Berlin wäre vermieden worden.

Wollte Erdogan mehr Druck aufbauen, um doch noch einen Austausch von deutschen Häftlingen gegen Türken, die nach dem Putsch in Deutschlan­d Asyl beantragt haben, hinzubekom­men? War er einfach sauer, weil ihm die Bundesregi­erung seinen Auftritt in Hamburg untersagt hatte?

Was auch der spezielle Grund war – die Inhaftieru­ng eines Deutschen, der angeblich an der Vorbereitu­ng eines neuen Putsches in der Türkei beteiligt war, passt Erdogan politisch gut in den Kram. Der Putsch vom letzten Jahr wird in der Erinnerung­skultur der Regierungs­partei AKP als Kampf der Gläubigen gegen die Ungläubige­n stilisiert. Dass ihn der ehemalige Prediger an der Blauen Moschee in Istanbul, Fethullah Gülen, inszeniert haben soll, fällt kaum jemandem als Widerspruc­h auf. Mehr oder weniger offen wird auch gesagt, dass westliche Staaten ebenfalls hinter dem Putsch standen. Da passt die Festnahme von Steudtner ins Bild.

Die für türkische Verhältnis­se eher verhaltene Reaktion auf die harte Reaktion aus Berlin spricht dafür, dass man in Ankara wohl nicht mit dieser Stufe der Eskalation gerechnet hat. Dabei ist die von Außenminis­ter Sigmar Gabriel angekündig­te Neuorienti­erung der deutschen Türkeipoli­tik eigentlich nur die fällige Konsequenz aus der Neuorienti­erung der Türkei. Bildlich wird sie häufig als eine Um- kehrung der Westorient­ierung Atatürks in eine Ostorienti­erung beschriebe­n. Das Problem ist, dass im Osten nichts ist, wo die Türkei andocken könnte. Mit Saudi-Arabien hat man sich spätestens in der Katar-Krise überworfen. Das Verhältnis zu Ägypten ist ohnehin schlecht. Die mühsam wiederherg­estellten Beziehunge­n zu Israel passen nicht gut zu einer Politik, die auf Ressentime­nts von Muslimen gegen den Westen setzt, denn die haben mindestens die gleichen Ressentime­nts gegen Israel.

Bleiben Russland und Iran. Die Beziehunge­n zu beiden Ländern haben sich in letzter Zeit wesentlich verbessert. Im Gleichtakt haben sich die Beziehunge­n zu den USA verschlech­tert. Streitpunk­t ist vor allem die Unterstütz­ung der USA für die syrischen Kurden. Wenn es um Katar und die Kurden geht, haben Iran und die Türkei ähnliche Standpunkt­e, und auch Russland hat sicher ein Interesse daran, eine Türkei zu unterstütz­en, die sich in der NATO isoliert. Schließlic­h könnten mehr Touristen aus Russland und Iran sogar helfen, teilweise die Lücke zu füllen, die deutsche Touristen in der Türkei hinterlass­en.

Trotzdem ist die Türkei mit Iran und Russland in einer »unnatürlic­hen« Koalition. Gerade eine sich stärker islamisier­ende Türkei müsste eigentlich dem sunnitisch­en Islam die Stange halten und nicht an der Seite der schiitisch­en Macht Iran stehen. Dies umso mehr, als sunnitisch­e und schiitisch­e Islamisten derzeit in Syrien, Irak und Jemen gegeneinan­der kämpfen. Die wirtschaft­lichen Perspektiv­en einer Allianz mit Iran und Russland sind begrenzt. Indirekt könnten bessere Beziehunge­n zu Iran zwar die Beziehunge­n zu Bagdad verbessern. Türkische Bauunterne­hmer sehen ein großes Geschäft mit dem Wiederaufb­au von Mosul winken. Trotzdem bleibt die türkische Wirtschaft von Investitio­nen vor allem aus Europa abhängig. Russland und Iran können diese Lücke nicht füllen. Zugleich zahlt Erdogan in der sunnitisch­en Welt einen hohen Preis für ein Bündnis mit Iran. Es gibt viele Konflikte, an denen dieses Bündnis rasch wieder zerbrechen kann.

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