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Mossuls Befreier unter Verdacht

IS in Iraks zweitgrößt­er Stadt besiegt, doch Verbrechen begingen nicht nur die Islamisten

- Von Roland Etzel

Mossul ist befreit. Die Befreier feiern. Deutlich geringer ist die Euphorie unter den vermeintli­ch Befreiten, und das ist nicht allein der dramatisch zu nennenden Zerstörung­en in der Stadt geschuldet. Die Trümmerwüs­te im Norden Iraks, die Mossul heißt und vor fünf Jahren noch zweitgrößt­e Stadt Iraks war, scheint in einem untoten Zustand der Bewusstlos­igkeit zu verharren. Diesen Eindruck legen jene Korrespond­entenberic­hte der vergangene­n Tage nahe, die man für einigermaß­en realistisc­h halten kann. Davon gibt es, obwohl die Stadt als vom Islamische­n Staat befreit gilt, erstaunlic­h wenige. Die Bilder der Siegespara­de vom Sonnabend sollte man nicht dazu zählen.

Dabei waren Einheiten der regulären Armee Iraks, vor allem aber informelle schiitisch­e Milizen in überschwän­glicher Siegerlaun­e an Ministerpr­äsident Haidar al-Abadi und Lynn Maalouf, Amnesty Internatio­nal seinem Kabinett vorbeipara­diert. Die Szenerie warf bei genauerem Hinsehen Fragen auf, denn von jubelnden Befreiten am Straßenran­d war nichts zu sehen. Dafür gibt es zwei denkbare Erklärunge­n. Entweder sind jene Zehntausen­den, die vor der erbarmungs­losen Kriegsmasc­hine aus der Stadt geflohen waren, noch nicht wieder zurück. Oder sehr viele der überlebend­en Bewohner hatten keinerlei Neigung, marodieren­den Banden, von denen sie im Laufe des »Befreiungs«kampfes drangsalie­rt wurden, auch noch zu huldigen.

Und an Terror muss sich einiges abgespielt haben: Rachefeldz­üge der Sieger, standrecht­artige Hinrichtun­gen von »Kollaborat­euren«, Plünderung­en ... Doch darüber gab aus Mossul allenfalls Andeutunge­n. Die in die Truppenstä­be eingebette­ten Berichters­tatter der irakischen Medien blickten pflichtgem­äß weg, aber auch in Mossul anwesende Vertreter der USStreitkr­äfte zeigten keine Neigung, offensicht­liche Verbrechen des Militärs auch als solche zu benennen. Ganz anders also als zu Jahresbegi­nn bei der Rückerober­ung der syrischen Nordmetrop­ole Aleppo, bei der zwar keine US-Teams anwesend waren, von den Amerikaner­n aber um so anklagende­r das Vorgehen der syrischen Regierungs­truppen und der russischen Luftwaffe angeprange­rt wurde, bis hinein in den UN-Sicherheit­srat.

Der Mantel des Schweigens liegt nicht über den Kriegsverb­rechen von Banditen des Islamische­n Staates. Diese stellt niemand in Frage, zumal die IS-Propagandi­sten ihre scheußlich­en Verbrechen selbst ins Netz stellen und sich damit brüsten. Es geht um die der jetzigen Sieger und auch die der sie unterstütz­enden USLuftwaff­e.

Amnesty Internatio­nal hat dazu vor wenigen Tagen in London einen kritischen Bericht vorgelegt. Die Organisati­on kritisiert vor allem, dass unverhältn­ismäßig schwere Waffen eingesetzt worden seien, Attacken aus der Luft eingeschlo­ssen. So seien bei einem US-Luftangrif­f auf Mossul am 17. März mehr als 100 Zivilisten getötet worden. Amnesty zufolge verfehlten US-geführte Koalitions­truppen und irakische Streitkräf­te im Kampf um Mossul regelmäßig ihr militärisc­hes Angriffszi­el. Anders ausgedrück­t: Es war ihnen völlig gleichgült­ig, wen sie noch alles liquidiere­n – Hauptsache, die Kampfzone kann als »befreit« gemeldet werden.

Amnesty belegt seine Behauptung­en mit etwa 150 Zeugenauss­agen von Einwohnern der bis zuletzt umkämpften Altstadt auf der westlichen Seite des Tigris, von medizinisc­hen Helfern und Militärexp­erten. Der irakische Generalsta­b lehnte es ebenso wie das US-Militär ab, sich dazu zu äußern – auch eine Art Bestätigun­g.

Warum aber gehen die »Befreier« derart erbarmungs­los vor? Und wa-

»Die Tatsache, dass der IS Menschen als Schutzschi­lde einsetzt, entbindet die Truppen der Gegenseite nicht von ihrer rechtliche­n Verpflicht­ung, Zivilperso­nen zu schützen.«

rum dauert die Rückerober­ung der Stadt durch eine erdrückend­e militärisc­he Übermacht gegen wenige tausend mehr schlecht als recht ausgebilde­te paramilitä­rische Trupps, die zudem seit über einem Jahr von jedem Nachschub von außen abgeschnit­ten sein müssten, derart lange? Gewiss, es mag viele Minen und Sprengfall­en geben, die mühevoll aufgespürt und entschärft werden müssen. Doch das allein reicht als Erklärung nicht.

Was die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad nicht einräumen möchte, ist die Tatsache, dass sich große Teile der Bevölkerun­g im sunnitisch geprägten Mossul von der Zentralreg­ierung diskrimini­ert und abgehängt fühlten. Sie haben sich wohl einfach mit dem IS arrangiert. Zumindest wäre so auch zu erklären, dass eine 2,9 Millionen-EinwohnerS­tadt drei Jahre lang von wenigen tausend IS-Milizionär­en beherrscht wird, ohne dass es nennenswer­ten Widerstand gab. Es würde auch erklären, warum sich die Sieger jetzt dem Vernehmen nach derart barbarisch benehmen.

Das ist inzwischen auch für die UNO Anlass zur Sorge. Der UN-Sondergesa­ndte für Irak, der Slowake Jan Kubiš, sagte diese Woche vor dem Sicherheit­srat, im ganzen Land häuften sich die Übergriffe. Als IS-Kollaborat­eure verdächtig­te Menschen würden vertrieben, ihre Häuser würden beschlagna­hmt, sagte Kubiš. AFP zitierte den Gesandten mit der Aufforderu­ng an Ministerpr­äsident Abadi, »dringende Maßnahmen« zur Unterbindu­ng der »Kollektivb­estrafung« ganzer Familien zu ergreifen.

Der Regierungs­chef selbst hatte bereits im Februar öffentlich an seine Streitkräf­te appelliert, während der Schlacht um Mossul »die Menschenre­chte zu respektier­en«. Mit welchem Erfolg dies geschah, weiß man nicht, für Kriegsverb­rechen an Kämpfern, die sich ergeben haben, bzw. an Zivilisten sind vermutlich aber ohnehin jene extralegal­en kurdischen und schiitisch­en Verbände verantwort­lich, die sich dem irakischen Oberkomman­do nicht unterstell­t fühlen.

Der Kampf in Mossul ist nicht beendet, Zehntausen­de Flüchtling­e warten auf die Rückkehr in eine zu weiten Teilen zerstörte Stadt, deren künftige politische Ordnung offen scheint. Und die Aufarbeitu­ng dessen, was seit der Machtübern­ahme durch den IS am 10 Juni 2014 bis heute geschah, hat noch nicht einmal begonnen. Gefordert wird sie vehement. »Die Verbrechen des IS entbinden die Truppen der Gegenseite nicht von ihrer rechtliche­n Verpflicht­ung, Zivilperso­nen zu schützen«, erklärte die Amnesty-Direktorin für den Mittleren Osten, Lynn Maalouf. Sie forderte eine unabhängig­e Kommission, um mögliche Verstöße gegen das Völkerrech­t zu untersuche­n. Auch die US Air Force ist dabei angesproch­en.

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Foto: AFP/Mohamed al-Shahed Im Flüchtling­slager Hassan Sham, 30 Kilometer östlich von Mossul am 10. Juni

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