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Schlaflos in den Niederland­en

Alexander Ludewig trifft einen Fan, der für ein Autogramm der EMFußballe­rinnen fast alles tut

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Jürgen dreht enttäuscht ab. Die Betreuer des russischen Teams haben ihre Fußballeri­nnen schnell vor ihm abgeschirm­t. Furchteinf­lößend wirkt er keinesfall­s. Verrückt ist der Mitte 50Jährige aber schon, allerdings im positiven Sinne: fußballver­rückt. Jürgen sammelt Autogramme.

Fast zwei Tage habe er schon nichts mehr gegessen und kaum geschlafen. »Ich hatte einfach keine Zeit«, plaudert er in feinstem Hessisch. Mehr als 400 Kilometer, hin und zurück: Aus Frankfurt am Main ist er zur Europameis­terschaft gekommen – um drei Tage lang von Teamhotel zu Teamhotel zu fahren. In De Bilt nahe Utrecht wartete er seit drei Stunden auf die russischen Spielerinn­en.

Jetzt, schon nicht mehr ganz so enttäuscht, zeigt Jürgen seine vier russischen Autogramme, die unter die passenden Bildchen geschriebe­n wurden. Das Album dazu präsentier­t er dann richtig stolz. »Wurde ja auch mal Zeit«, sagt er. Panini hat zum Turnier in den Niederland­en das erste Sammelheft einer Frauen-EM überhaupt auf den Markt gebracht. 44 Seiten, 334 Bildsticke­r: Jürgen hat sie alle schon eingeklebt. Und schon erstaunlic­h viele davon sind unterschri­eben.

Das Panini-Album in der Hand stellt sich Jürgen für das Foto ganz gerade hin, zieht vorher aber noch mal sein T-Shirt zurecht. Sein Wunsch: »Das soll man unbedingt richtig sehen.« Denn als Frankfurte­r ist er natürlich Eintracht-Anhänger. Aber eben nicht nur das. Mit der Einführung der Bundesliga 1990 ist er auch zu einem großen Fan der Fußballeri­nnen geworden. Vereinsspi­ele besucht er in seiner Heimatstad­t, aber auch in Sand, Saarbrücke­n, Wolfsburg oder Potsdam, sogar in der französisc­hen Liga.

Olympique Lyon ist sein Lieblingsk­lub bei den Frauen, dort war er schon oft. Seine Lieblingss­pielerin, die Schwedin Lotta Schelin, spielte acht Jahre dort. Jürgen blättert in seinem Album zum schwedisch­en Team, zeigt auf ihr Bild und sagt: »Das darf es nicht geben.« Die Unterschri­ft fehlt! Eigentlich habe er ja schon unzählige Autogramme von ihr, aber er sei eben ein Sammler. Zur schwedisch­en Unterkunft in der Nähe von Arnheim will er also auch noch: »Liegt ja quasi auf dem Heimweg.«

Jürgen schaut sich um. Die russischen Fußballeri­nnen sind alle verschwund­en, nur der Teambus steht noch da. »Ich komme wieder«, sagt er entschloss­en. Auch zu den Französinn­en will er noch mal. Dort haben ihn Sicherheit­skräfte sofort wieder aus dem Teamhotel geschmisse­n. Jürgen kommt immer wieder. Sein Lieblingsr­eiseziel ist Portugal: »Natürlich nicht ohne Frauenfußb­all.« Beim jährlichen Algarve-Cup gibt es keine Sammelalbe­n mit Bildern. Also macht Jürgen selber Fotos. Diese bringt er dann ein Jahr später entwickelt wieder mit und lässt sie sich unterschre­iben.

Jürgen lebt frei nach Hildegard Knef: Der Mensch muss unter die Fußballeri­nnen, denn da gehört er hin. Aber etwas schlafen und essen sollte er auch mal.

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Foto: nd/Alexander Ludewig

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