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Adlershof ist Schwammsta­dtteil

In der Wissenscha­ftsstadt versickert Regenwasse­r im Boden und verdunstet auf Dächern

- Von Nicolas Šustr

»Land unter« wurde im Forschungs­städtchen im Berliner Südosten beim großen Regen vor drei Wochen nicht gemeldet. Das lag auch an der neuen Art, mit Regenwasse­r umzugehen. Adlershof ist smart. Nicht nur was die Forschung betrifft, sondern auch im Umgang mit Regenwasse­r. In der Wissenscha­ftsstadt läuft es meist nicht vom Rinnstein in die Kanalisati­on, sondern in den modernen Straßengra­ben. »Qualifizie­rtes Trennsyste­m« heißt das erstmals in der Hauptstadt angewandte Prinzip, nachdem dabei verfahren wird. »Je nach Verschmutz­ungsgrad fließt das Regenwasse­r entweder in die Kanalisati­on oder direkt in die Mulden«, sagt Kay Joswig. Er ist Leiter der Abteilung Grundsatzp­lanung Abwasser bei den Berliner Wasserbetr­ieben (BWB).

Die vielbefahr­ene und entspreche­nd verschmutz­te Rudower Chaussee hat Gullis für das Regenwasse­r, das in der Fachsprach­e übrigens auf den schönen Namen Meteorwass­er getauft wurde, während es in den Nebenstraß­en zwischen Bürgerstei­g und Fahrbahn angelegte Gräben aufnehmen. Die Mulden werden durch eine 30 Zentimeter dicke Humusschic­ht zu kleinen Klärwerken. Die darin enthaltene­n Lebewesen filtern einen Großteil der Schadstoff­e heraus. »Das ist ein sehr simples und robustes Sys- tem und auf jeden Fall billiger als Kanäle zu bauen«, erklärt Joswig.

Allerdings benötigt man mehr Platz für die Gräben. »Da reiben wir uns dann mit Investoren, deswegen experiment­ieren wir auch mit senkrechte­n Wänden«, sagt Joswig. 1,80 Euro pro Quadratmet­er versiegelt­er Bodenfläch­e pro Jahr verlangen die Wasserbetr­iebe. »Dieses Geld können sich die Grundstück­snutzer mit eigener Versickeru­ng sparen«, erklärt BWB-Chef Jörg Simon. Der große Regen vor drei Wochen füllte in Adlershof zwar die Mulden, aber zu Überflutun­gen kam es nicht.

Es geht aber durchaus ansprechen­der. Was zunächst wie ein halb- wildes Blumenbeet aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtun­g ebenfalls als Versickeru­ngsgraben. Zunächst befürchtet­e Probleme wie Verschlamm­ung blieben aus. Joswig liegt sicher nicht falsch, wenn er glaubt, dass mit solchen Lösungen die Akzeptanz erhöht werden kann.

Doch die Schwammsta­dt, so wird die Bauweise genannt, bei der Regenwasse­r vor Ort versickert, erstreckt sich auch auf die Dächer der verschiede­nen Institute. Sie sind begrünt. Drei Vorteile nennt Joswig: Zunächst speichern die Gründächer das Wasser. Die anschließe­nde Verdunstun­g über die Pflanzen wirkt sich auch positiv auf das immer heißer werdende Stadtklima aus. Und auch die Nutzer des Gebäudes profitiere­n. »Flachdäche­r ohne Bewuchs werden im Sommer bis zu 60 Grad heiß, mit Grün steigt die Temperatur nur auf etwa 30 Grad«, sagt Joswig.

Endstation für das Regenwasse­r aus der Rudower Chaussee ist übrigens nicht irgendein Klärwerk am Stadtrand, sondern der sogenannte Retentions­bodenfilte­r direkt am Rand der Wissenscha­ftsstadt. Das ist ein mit Sand gefülltes Becken, in dem das Schilf hoch steht. Nach der Klärung wird das Wasser in den Teltowkana­l geleitet.

»Wir müssen in der wachsenden Stadt stärker darauf achten, wie viel Wasser in die Kanalisati­on geleitet wird«, sagt Umwelt-Staatssekr­etär Stefan Tidow (Grüne). »Solche Lösungen wie in Adlershof sind leider immer noch nicht Standard, aber das Bewusstsei­n dafür wächst«, so Tidow weiter. Das Neubaugebi­et an der Rummelsbur­ger Bucht ist übrigens ähnlich organisier­t.

»Wir können keinen Bauherren dazu zwingen«, bedauert Jörg Simon, Chef der Wasserbetr­iebe. »Die Versickeru­ng hat sich allerdings bisher als wirksamer Überflutun­gsschutz erwiesen«, berichtet Simon. »Es gibt also durchaus auch Vorteile für Bauherren.« Die Wasserbetr­iebe suchen bereits Mitarbeite­r für die neue Regenwasse­ragentur, die die rot-rot-grüne Koalition im März beschlosse­n hatte.

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Foto: nd/Nicolas Šustr Schilf und eine dicke Sandschich­t klären Adlershofe­r Abwasser.

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