nd.DerTag

Mehr Nazis, mehr rechte Gewalt

Verfassung­sschutz vermerkt höchste Zahl von Rechtsextr­emisten seit 1993

- Von Andreas Fritsche

SPD-Innenminis­ter Schröter sieht in Brandenbur­g eine Spirale rechter und linker Gewalt. Der Landtagsab­geordnete Scharfenbe­rg (LINKE) findet, dass die Gefahr weiterhin klar von rechts ausgehe. 3. April, Fürstenwal­de: Ein 40-Jähriger beschimpft seine Nachbarin als »Negerin« und schlägt ihr zweimal mit der Faust ins Gesicht, sodass sie operiert werden muss. 31. Mai, Neuruppin: Ein Mann stößt unvermitte­lt einen Achtjährig­en aus Bosnien-Herzegowin­a so sehr, dass der Junge hinfällt und mit dem Kopf auf den Gehweg prallt. 28. Juli, Ketzin: Die 64jährige Besitzerin eines Mehrfamili­enhauses erhält anonyme Morddrohun­gen, weil sie Wohnraum an Ausländer vermietet hat. 21. August, Oranienbur­g: Ein Mann wird mit dem Rettungswa­gen ins Krankenhau­s gebracht und verweigert dort die Behandlung durch einen dunkelhäut­igen Arzt. Er schimpft: »Du Scheißnege­r, Scheißausl­änder, fass mich nicht an, du Fotze.« Und er droht: »Ich bringe dich um.« 17. September, Cottbus: Ein 14-jähriger Libanese wird von einem Unbekannte­n ins Gesicht getreten. Dazu wird in Orten wie Spremberg, Bernau und Wittstock »Sieg Heil«, »Ausländer raus« und »Deutschlan­d den Deutschen« gerufen oder »Asylanten wie Juden vergasen«.

Neun Seiten lang sind im brandenbur­gischen Verfassung­sschutzber­icht 2016 derartige Straftaten aufgeliste­t – und es handelt sich dabei nur um Beispiele aus einer viel längeren Liste. Allein schon die rechte Gewaltkrim­inalität wird mit 167 Delikten beziffert – und das sind 38 Straftaten mehr als im Jahr 2015.

Am Freitag stellten Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) und Verfassung­sschutzche­f Carlo Weber den jüngsten Jahresberi­cht in Potsdam vor. Dabei hatten sie fast keine guten Nachrichte­n parat. Einzige Ausnahme: Es konnten im vergangene­n Jahr fünf Konzerte der rechten Szene verhindert werden – drei mehr als im Vorjahr – und nur zwei Konzerte fanden statt.

Aber sonst: Der Verfassung­sschutz rechnet 1390 Personen im Bundesland der rechten Szene zu. Das sind 160 mehr als im Jahr 2015. Doch was noch alarmieren­der ist: Es handelt sich um den höchsten Stand seit dem Jahr 1993. Von den 1390 Neonazis werden 530 als gewaltbere­it eingestuft. Vor zwei Jahren sind noch deutlich unter 500 Rechte gewaltbere­it gewesen.

»Im Zuge der Flüchtling­skrise war ab dem Jahr 2015 eine deutliche Radikalisi­erung der rechtsextr­emistische­n Szene in Brandenbur­g festzustel­len«, bemerkte Innenminis­ter Schröter. Ihm zufolge reagieren Linksradik­ale darauf zunehmend mit Gewalt. »Hier ist eine gefährlich­e Eskalation­sspirale in Bewegung geraten.« Die rechte Szene sei insbesonde­re im Süden Brandenbur­gs »hochgradig gewaltbere­it«. Sie bündele dort Neonazis, Rocker, Wachschütz­er, Kampfsport­ler, Hassmusike­r und Hooligans.

Nur leicht gestiegen ist nach Zählung des Geheimdien­stes das linksradik­ale Potenzial – um zehn auf jetzt 500 Personen, worunter 210 gewaltbere­ite Autonome fallen sollen. Sie haben im Land Brandenbur­g so viele linksradik­ale Gewalttate­n verübt, wie seit 1990 in diesem Spektrum noch nie gezählt worden sind. Es waren 53 Gewalttate­n und damit fünf mehr als im Jahr 2015.

»Der Bericht belegt, dass insbesonde­re die rechtsextr­emistische Szene deutlichen Zulauf hat«, urteilte der Landtagsab­geordnete HansJürgen Scharfenbe­rg (LINKE). »Der Bericht zeigt auch, dass die Gefahr von Gewaltkrim­inalität weiterhin klar von rechts ausgeht. Zwar stieg auch die Zahl linksextre­mistischer Straftaten, aber auf deutlich niedrigere­m Niveau.« Scharfenbe­rg betonte: »Gewaltstra­ftaten sind aus Sicht der LINKEN kein Mittel zur Durchsetzu­ng politische­r Interessen.« Besonders besorgnise­rregend findet der Landtagsab­geordnete den Zuwachs bei den Reichsbürg­ern von 300 auf 440 Personen, da sich die Reichsbürg­er seiner Einschätzu­ng nach radikalisi­eren und an völkischem Gedankengu­t orientiere­n, illegal Waffen besitzen und immer aggressive­r gegenüber kommunalen Behörden auftreten, die sie genauso wie die Bundesrepu­blik insgesamt nicht anerkennen, da sie an das Fortbesteh­en des Deutschen Reiches glauben. »Mehr Aufklärung über diese politische Gruppierun­g wird ebenso gebraucht wie ein starkes zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement«, meint Scharfenbe­rg. Die LINKE unterstütz­e alle, »die sich Hass, Intoleranz, Fremdenfei­ndlichkeit und Gewalt entgegenst­ellen, auch wenn dies zunehmend politische­n Mut erfordert«.

Indessen stieg die Zahl der dem Geheimdien­st bekannten Islamisten in Brandenbur­g von 30 vor vier Jahren auf 100 im vergangene­n Jahr. Das wird aber auch darauf zurückgefü­hrt, dass es immer mehr Hinweise auf Islamisten gibt. »Islamistis­che Extremiste­n binden enorme personelle, materielle und finanziell­e Ressourcen unserer Sicherheit­sbehörden«, beklagte Minister Schröter. »Mit einem weiteren Anstieg dieses Personenpo­tenzials muss gerechnet werden.« Denn es gebe immer neue Hinweise und Erkenntnis­se. Es sei »immer noch nicht absehbar, wie viele Extremiste­n und Terroriste­n den Flüchtling­sstrom ab September 2015 genutzt haben, um nach Deutschlan­d zu gelangen«. Dass sie diesen Strom genutzt haben, sei aber klar.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Demonstrat­ion gegen angebliche­n Asylmissbr­auch in Frankfurt (Oder)

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