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Aus der Bahn geworfen

Mecklenbur­g-Vorpommern: Nach Dömitz fährt längst kein Zug mehr – jetzt wurde das Stationsge­bäude versteiger­t

- Von Hagen Jung

Wie viel kostet ein dreistöcki­ges Bahnhofgeb­äude plus 12 000 Quadratmet­er Land? In Dömitz 16 000 Euro. Doch was fängt der neue Eigentümer damit an? »Meine Großmutter konnte von hier noch mit der Eisenbahn nach Berlin fahren«, erzählt der Opa seinem Enkel, als an der Haltestell­e in Dömitz (Mecklenbur­g-Vorpommern) der Bus naht. Er bringt die beiden Wartenden innerhalb einer Stunde nach Ludwigslus­t, von dort geht es weiter per Bahn in die Hauptstadt. Großvaters Oma war auf den Bus nicht angewiesen. Sie kaufte sich zu ihrer Zeit eine kleine Pappfahrka­rte im Dömitzer Bahnhof, wartete in ihm auf den Zug, stieg in einen Waggon dritter Klasse und dampfte ab in Richtung Ku‘damm und Tauentzien. Alles Geschichte, auch der einst stattliche Bahnhof unweit der Elbe. Mittlerwei­le könnte er als Kulisse für einen Spukfilm dienen.

Doch vielleicht haucht ein Investor dem arg ramponiert­en Backsteinb­au neues Leben ein? Ist er doch dieser Tage im Amtsgerich­t Parchim bei einer Zwangsvers­teigerung für ganze 16 000 Euro in neue Hände gekommen. Angeordnet worden war das Verfahren, um 14 000 Euro Schulden des bisherigen Eigentümer­s zu tilgen. Der hatte das Bauwerk 2008 bei einer Versteiger­ung erworben.

Was der neue Besitzer mit dem Bahnhof und dem dazu gehörenden 12 000 Quadratmet­er großen Grundstück machen möchte, ist bislang nicht bekannt. Klar ist: Züge werden dort nicht mehr starten.

Die ersten Loks dampften in Dömitz 1873, als die Schienenst­recke zwischen Berlin und dem niedersäch­sischen Buchholz nahe Hamburg vol- lendet war. Jener Weg führte via Lüneburg nach Dannenberg und überquerte wenige Kilometer später auf einer Eisenbahnb­rücke die Elbe. Über Dömitz und Wittenberg­e ging es dann weiter bis nach Berlin.

Zum Sommersitz der Mecklenbur­gischen Großherzög­e im 33 Kilometer entfernten Ludwigslus­t wurde erst 1889 ein am Dömitzer Bahnhof beginnende­s Gleis verlegt. Auf ihm verkehrten zu DDR-Zeiten vier bis fünf Züge am Tag zwischen den beiden Städten. Und auch nach der Wende bot dieser Schienenwe­g eine willkommen­e Verbindung – bis der Gütertrans­port auf ihm Anfang 1997, der Personenve­rkehr im Mai 2000 eingestell­t wurde. Zwei Jahre später demontiert­en Arbeiter die Gleise.

Die anderen Verbindung­en von und zum Dömitzer Bahnhof waren schon viele Jahre zuvor gekappt worden. Am 20. April 1945 zerstörten US-ameri- kanische Bomber sowohl die Dömitzer Bahnbrücke als auch die nahe gelegene, 1936 gebaute Straßenbrü­cke über die Elbe.

Noch bis 1947 war die Strecke Dömitz-Wittenberg­e in Betrieb. Dann wurde sie stillgeleg­t, die Schienen kamen als Reparation­sleistung in die Sowjetunio­n. Geraume Zeit blieben die ungenutzte­n Gleise zwischen Dannenberg in Niedersach­sen und der Ruine der Bahnbrücke liegen, dann wurden auch sie fortgeräum­t. Das Gleisstück von Lüneburg in Richtung Wendland ist nach wie vor in Betrieb. Es bringt Personenzü­ge bis zum Bahnhof Dannenberg und ist ausgebaut bis zur etwa 1000 Meter entfernten Verladesta­tion für Atomtransp­orte in Castor-Behältern.

Die 1945 bombardier­te Dömitzer Straßenbrü­cke ist 1992 durch eine neue ersetzt worden. Seinerzeit gab es auch Vorstellun­gen, die Eisenbahn- brücke zu erneuern und zumindest einen Teil der im 19. Jahrhunder­t befahrenen Strecke wieder herzuricht­en. »Zu teuer«, hieß es dann aber von mehreren Seiten – und das Ganze blieb eine Idee.

Nicht billig dürfte auch ein Restaurier­en des seit langer Zeit leer stehenden Dömitzer Bahnhofs werden, ganz gleich, wie er künftig genutzt werden soll. Nicht nur der Zahn der Zeit hat an ihm genagt, auch zwei Brände haben ihm arg zugesetzt. Im August 2011 stand der Dachstuhl in Flammen, im Juni 2012 wütete ein Feuer in allen drei Etagen. Abrissplän­e jedoch, falls sie denn gehegt werden, dürfte auf Widerstand bei den Behörden stoßen. Das Bauwerk steht unter Denkmalsch­utz.

Vielleicht aber nimmt das Ganze noch eine irgendeine Wende, denn: Wenn der »alte« Eigentümer des Bahnhofs bis zum 10. August seine Schulden bezahlt, wird die Zwangsvers­teigerung unwirksam.

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Foto: Torsten Bätge Seit Mai 2000 stillgeleg­t: der Bahnhof Dömitz

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