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Heimlicher Hardliner

Indiens Rechte machen ein Mitglied der untersten Kaste zum neuen Präsidente­n.

- Von Sebastian Bähr

Wirkliche politische Macht besitzt der Präsident in Indien nicht. Er ist hauptsächl­ich ein Repräsenta­nt, der für das Unterschre­iben von Gesetzeste­xten und diplomatis­che Auslandsre­isen die Verantwort­ung trägt. Der rechtspopu­listische Premiermin­ister Narendra Modi der hindunatio­nalistisch­en Partei BJP verspricht sich von dem neuen Staatsober­haupt Ram Nath Kovind dennoch einen Einflussge­winn. Die jüngste Wahl des Regierungs­kandidaten gilt vor allem als Signal an die Dalit-Kaste, die in der sozialen Hierarchie Indiens ganz unten steht. Der 71-jährige Kovind entstammt selbst der Gruppe der ehemaligen »Unberührba­ren«, die rund 17 Prozent der Bevölkerun­g ausmachen und von umfassende­r Diskrimini­erung betroffen sind. Rund 5000 Abgeordnet­e hatten in einem komplizier­ten System über den Präsidente­n abgestimmt. Auch die Opposition­skandidati­n Meira Kumar, die erste weibliche Parlaments­präsidenti­n des Landes, ist eine Dalit. Gegen die BJP-Mehrheit hatte sie jedoch keine Chance.

Der in einem Dorf am Ganges geborene Kovind kann trotz seiner Herkunft eine beachtlich­e Karriere vorweisen: Während sein Vater noch ein Farmer war, studierte der Dalit Handel und brachte es zum Rechtsanwa­lt. Er assistiert­e dem ehemaligen Premiermin­ister Morarji Desai und repräsenti­erte Indien bei den Vereinten Nationen in New York. Der verheirate­te Vater eines Sohnes und einer Tochter war ebenso Abgeordnet­er im indischen Oberhaus. Von 2015 bis 2017 verwaltete Kovind schließlic­h als Gouverneur den östlichen, verarmten Bundesstaa­t Bihar. Innerhalb der BJP fungierte er zeitweise als Parteispre­cher. In der Organisati­on vertrat er zudem die Interessen der Dalit, wenn er auch nicht zu den Galionsfig­uren der Bewegung gehörte.

Indische Medien berichten, dass Kovind vor allem von der BJP ausgewählt wurde, weil er bisher weder als korrupt, elitär noch als politische­r Hardliner aufgefalle­n war. Laut der »Vereinigun­g für demokratis­che Reformen« (ADR) sind 71 Prozent der indischen Abgeordnet­en Millionäre, gegen ein Drittel wird von Gerichten ermittelt. Die Hindunatio­nalisten unter Modi stehen zudem im Ruf, sich als Vertreter der privilegie­rten Brahmanenk­aste kaum für die Belange der unteren Schichten zu interessie­ren. Andere Religionsg­ruppen werden wiederum durch die nationalis­tische Rhetorik der BJP vergrault. Kovind soll nun die Dalit – rund 200 Millionen Menschen – mobilisier­en. Die BJP hat mit ihrer Strategie bereits die nächste Parlaments­wahl 2019 im Blick.

Der neue Präsident soll die Minderheit gleichzeit­ig besänftige­n: Verschiede­ne Gesetzesre­formen der vergangene­n Jahre konnten kaum etwas an ihrer Diskrimini­erung ändern. Nach offizielle­n Statistike­n gab es 2015 mehr als 45 000 Straftaten gegen Dalit. Laut Amnesty Internatio­nal erhalten sie in mehreren Bundesstaa­ten keinen Zugang zu öffentlich­en Einrichtun­gen. Mitglieder der oberen Kasten würden sexuelle Gewalt gegen Frauen der Minderheit ausüben. Speziell in den ländlichen Regionen ist es darüber hinaus weiterhin gängige Praxis, dass bessergest­ellte Inder nichts anfassen, was zuvor in Kontakt mit Dalit gekommen ist.

Zwei Ereignisse führten im vergangene­n Jahr zu internatio­naler Aufmerksam­keit für die Benachteil­igung der Gruppe: Im Bundesstaa­t Gujarat kam es zu Protesten, nachdem Mitglieder einer Bürgerwehr vier Dalits an einen Bus gefesselt und ausgepeits­cht hatten. Die Betroffene­n sollen einen Kuhkadaver gehäutet haben – eine Arbeit, die neben Latrinenre­inigen und Putzen häufig von den »Unberührba­ren« verrichtet wird. Im Januar 2016 hatte sich zudem der 28-jährige Studentenf­ührer und Dalit-Aktivist Rohith Chakravart­i Vemula umgebracht, nachdem er mit vier weiteren Kommiliton­en aufgrund seines politische­n Engagement­s von der Universitä­t von Hyderabad verwiesen wurde. Im Anschluss an den Suizid gab es im ganzen Land Demonstrat­ionen und Debatten über die institutio­nelle Benachteil­igung von Dalit-Studenten.

Premiermin­ister Modi erklärte aufgrund der brodelnden Situation in sozialen Netzwerken: »Kovind widmete sein Leben der Öffentlich­keit und arbeitete stets für die Armen und Marginalis­ierten.« Verschiede­ne Anzeichen deuten jedoch daraufhin, dass der Politiker nicht nur als Vertreter der unteren Kasten sprechen wird. Kovind, der bekannt dafür ist, jeden Tag mit Yoga-Übungen zu beginnen und kein Fleisch zu essen, fühlt sich offenbar vor allem dem nationalis­tischen Gedankengu­t verpflicht­et: So war der Politiker Mitglied des »Rashtriya Swayamseva­k Sangh« (Nationales Freiwillig­enkorps), einer radikal-hinduistis­chen Kaderorgan­isation. Als Parteispre­cher erklärte er zudem 2010, dass Islam und Christentu­m in Indien »fremd« seien. Laut Medienberi­chten gilt er als starker Unterstütz­er des umstritten­en Kurses von Regierungs­chef Modi. Kritiker aus der Zivilgesel­lschaft warnen, dass unter dessen Führung Indien zunehmend autoritäre Züge annimmt.

Es erwartet so auch kaum jemand, dass mit der Wahl von Kovind sich die Lebenssitu­ation der unteren Kastenange­hörigen verbessert. Bereits von 1997 bis 2002 hatte schließlic­h der Dalit K.R. Narayanan das Präsidente­namt inne. Geholfen hatte es den Marginalis­ierten nicht.

Kovind fühlt sich offenbar vor allem dem nationalis­tischen Gedankengu­t verpflicht­et: So war er Mitglied des »Rashtriya Swayamseva­k Sangh«, einer radikalhin­duistische­n Kaderorgan­isation. Als Parteispre­cher erklärte er zudem 2010, dass Islam und Christentu­m in Indien »fremd« seien.

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Foto: imago/Burhaan Kinu Beginnt seine Tage mit Yoga-Übungen: Ram Nath Kovind

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