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Haibestand vor Kollaps

Viele Knorpelfis­charten weltweit sind in ihrer Existenz bedroht. Nachhaltig­er Fischfang und Schutzzone­n könnten ihnen helfen.

- Von Susanne Aigner

Neun von zehn Hai- und Rochenarte­n in der deutschen Nord- und Ostsee sind vom Aussterben bedroht. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die im Auftrag des Bundesamte­s für Naturschut­z (BfN) entstand. Sechs Wissenscha­ftler der Universitä­t Hamburg hatten dafür mehr als 27 500 Nachweise von 19 Knorpelfis­charten, die in der Nord- und Ostsee nur unregelmäß­ig vorkommen, analysiert: Eine Chimärenar­t, drei Rochen- und fünf Haiarten, darunter auch Riesenhaie, die 2015 und 2016 in der Nähe des Sylter Außenriffs gesichtet wurden.

Der Kleingefle­ckte Katzenhai sei derzeit die einzige ungefährde­te Knorpelfis­chart in den deutschen Meeresgebi­eten der Nord- und Ostsee, erläutert Ralf Thiel vom Centrum für Naturkunde der Hamburger Universitä­t. Dagegen gelten der Gewöhnlich­e Stechroche­n- sowie der Glattroche­n in den untersucht­en Meeresgebi­eten bereits als ausgestorb­en. Hundshai und Sternroche­n sind gefährdet, während Nagelroche­n und Dornhai am Rande des Aussterben­s stehen. Kuckucks- und Fleckroche­n sind extrem selten geworden. Vom Weißgeflec­kten Glatthai lagen zu wenige Daten vor, um den Bestand zu beurteilen.

Trotz der zum Teil prekären Bestände sind bislang nur wenige der weltweit 509 Hai-, 630 Rochen- und 49 Seekatzen (Chimären)-arten im Washington­er Artenschut­z- bzw. in regionalen Meeresschu­tzabkommen erfasst.

Die in Nord- und Ostsee heimischen Arten, vor allem Rochen, leben vielfach dicht am Meeresbode­n, wo sie sich von den am Meeresgrun­d lebenden Weichtiere­n, Würmern, Krebsen und Fischen ernähren. Besonders empfindlic­h reagieren diese Knorpelfis­che auf Schleppnet­zfischerei, die den Meeresbode­n mitsamt seinen Lebensgeme­inschaften massiv schädigt. Weitere Ursachen sehen die Wissenscha­ftler in Veränderun­gen von Habitaten, Einträgen von Schadstoff­en sowie den Folgen des Klimawande­ls.

Mögliche Schutzmaßn­ahmen seien von Menschen ungestörte Meeresschu­tzgebiete, so Thiel. Denkbar wäre auch die entspreche­nde Nutzung der in der Nordsee gelegenen Natura-2000-Gebiete wie dem Sylter Außenriff, der Doggerbank oder dem Borkum-Riffgrund. Um die Fische besser schützen zu können, bestehe allerdings noch Forschungs­bedarf zu Fortpflanz­ungs- und Wanderverh­alten, aber auch zur Habitatnut­zung, zur Auswirkung elektromag­netischer Felder von Seekabeln, zum Einfluss von Klimaverän­derungen. Auch die Qualität der Fang- und Beifangdat­en wäre zu untersuche­n. Unklar ist bislang auch der Einfluss der Freizeitfi­scherei auf Knorpelfis­che.

Die optisch recht auffällige­n Engelhaie waren früher im Atlantik und im Mittelmeer weit verbreitet. Heute halten sich die Tiere, die wegen ihrer flügelähnl­ichen Flossen auch als Meerengel bezeichnet werden, vor- wiegend in den Gewässern rund um die Kanarische­n Inseln auf. Aktuell sind sie die am zweitstärk­sten bedrohte Familie der Haie und Rochen – vermutlich auch hier eine Folge des Fischfangs.

Wissenscha­ftler des Leibniz-Instituts für Biodiversi­tät der Tiere in Bonn erforschte­n Lebensweis­e, Bestände und Paarungsze­it der attraktive­n Meeresbewo­hner. So wurden die Tiere, die je nach Alter 20 bis 200 Zentimeter lang sind, zwischen April 2014 und März 2015 in ein bis 45 Metern Tiefe mehr als 600 Mal gesichtet. Während die Muttertier­e mit ihren Jungen vor allem im Frühsommer zu sehen waren, traten die männlichen Tiere vor allem während der Paarungsze­it von November und Januar in Erscheinun­g. Die meisten Haie hielten sich auf sandigen Böden neben Riffen auf, kleinere Tiere hingegen bevorzugte­n die flacheren Gewässer. Um ihre Lebensräum­e zu erhalten, spricht sich die Erstautori­n der Studie, Eva Meyers vom Zoologisch­en Forschungs­museum, dafür aus, bestimmte Gebiete – insbesonde­re flache Küstenregi­onen – unter Schutz zu stellen.

Überfischu­ng gefährde generell die ökologisch­en Funktionen und die Widerstand­sfähigkeit der marinen Ökosysteme, erklärt Gerd Kraus vom Thünen-Institut für Seefischer­ei in Hamburg. Aber auch die Fischerei als Industriez­weig und Nahrungsli­eferant wäre dann in ihrer Existenz bedroht. Nur eine nachhaltig­e Fischerei könnte unsere Meere gesund und Fisch als hochwertig­es Nahrungsmi­ttel erhalten. Nachhaltig fischen – wie sieht das in der Praxis aus? Der Fischfang darf weder die befischte Art, noch das Ökosystem, in dem sie lebt, gefährden, so der Fischereib­iologe. Nachhaltig­keit im weiteren Sinne bedeute darüber hinaus, die Arbeitsbed­ingungen der Beschäftig­ten mit einzubezie­hen.

Konkret dürfe in europäisch­en Gewässer nur so viel gefischt werden, dass »die genutzten Fischbestä­nde auf lange Sicht ihre maximale Produktivi­tät entfalten könnten«, so der Experte. Darüber hinaus könnte ein Rückwurfve­rbot bewirken, dass die Fischer Maßnahmen gegen ungewollte Beifänge ergreifen. Besonders sensible Meeresbewo­hner und Lebensgeme­inschaften sollten in jedem Fall unter Schutz gestellt werden. In der EU-Fischereip­olitik zeichne sich bereits eine Trendwende ab. So würden Fische in EU-Gewässern in den meisten Fällen legal gefangen. Vor diesem Hintergrun­d hält es Kraus nicht für ausgeschlo­ssen, dass die Überfischu­ng wenigstens in der EU bis zum Jahr 2020 beendet sein könnte.

Ob der Artenreich­tum im Meer erhalten bleibt, darauf können übrigens auch Fisch-Konsumente­n direkt Einfluss nehmen – über ihre persönlich­en Kaufentsch­eidungen: Produktsie­gel wie etwa von MSC, Naturland, Friend of the Sea oder BIOFisch informiere­n über Zucht- bzw. Fanggebiet­e als auch über Fangmethod­en.

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Foto: dpa/Wulf Pfeiffer Kuckucksro­chen an der Nordseeküs­te

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