nd.DerTag

Ruth Rewald

- Martin Stolzenau

Nach der »Wannsee-Konferenz« vom 20. Januar 1942 forcierten die Nazis die »Endlösung der Judenfrage«. Dazu gehörten Razzien in allen eroberten Ländern. Bei einer dieser Menschenja­gden wurde am 17. Juli 1942 im französisc­hen Dorf Les Rosierssur-Loire die deutsch-jüdische Schriftste­llerin Ruth Gustave Rewald mit ihrer kleinen Tochter festgenomm­en und in das KZ Auschwitz deportiert, wo beide offenbar sofort in die Gaskammer geschickt wurden. Ruth Rewald, die man oft mit Erich Kästner vergleicht, hinterließ mehrere bemerkensw­erte Kinderund Jugendbüch­er bürgerlich­humanistis­chen und proletaris­ch-revolution­ären Inhalts.

Geboren am 5. Juni 1906 in Berlin in einer Kaufmannsf­amilie, genoss das Einzelkind eine umfassende Bildung. Nach dem Abitur studierte sie in Berlin und Heidelberg Jura, wo sie in Kontakt zu linken Kommiliton­en kam und erste gesellscha­ftskritisc­he Kurzgeschi­chten verfasste, die in verschiede­nen Zeitungen veröffentl­icht wurden. 1929 heiratete sie den Rechtsanwa­lt Hans Schaul, der sie in ihrer Schriftste­llerei bestärkte. 1931 debütierte sie mit eigenen Erzählunge­n in der Kinderbuch­serie »Sonne und Regen im Kinderland«. Im Jahr darauf landete sie mit »Müllerstra­ße. Jungens von heute« über Berliner Arbeiterki­nder den ersten durchschla­genden Erfolg. Ihr nächstes Buch »Achtung – Renate« konnte 1933 nicht mehr in Deutschlan­d erscheinen. Rewald erhielt Publikatio­nsverbot. Gemeinsam mit ihrem Mann emigrierte sie nach Paris, wo sie weiter in deutscher Sprache schrieb, darunter den Jungendrom­an »Janko. Der Junge aus Mexiko«, der das Exildasein beschreibt. Das Buch erschien im angesehene­n Straßburge­r Exilverlag »Sebastian Brant« und wurde in mehrere Sprachen übersetzt.

Nach dem Scheitern des Versuchs, in die USA überzusied­eln, ging das Paar nach Spanien, wo Dr. jur. Hans Schaul auf Seiten der Internatio­nalen Brigaden gegen den Franco-Faschismus kämpfte. Ruth recherchie­rte im Kinderheim »Ernst Thälmann«, das von der XI. Internatio­nalen Brigade unterhalte­n wurde und Thema eines weiteren Buches war, das sie nach ihrer Rückkehr nach Paris 1938/39 verfasste und das den Titel »Vier spanische Jungen« trug. Bei diesem Roman, einziges deutschspr­achiges Kinder- und Jugendbuch über den Bürgerkrie­g in Spanien, folgte sie Ratschläge­n von Alfred Kantorowic­z.

Nach zwei Jahren Versteck im Pariser Untergrund floh sie mit ihrer Tochter nach Les Roisierssu­r-Loire. Eine Postkarte, die sie von dort an ihren Mann schickte, den es nach Algerien verschlage­n hatte, war ihr letztes Lebenszeic­hen. Hans Schaul kehrte 1948 nach Berlin zurück, wo er nach einer Professur an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst Chefredakt­eur der Zeitschrif­t »Einheit« war. Ein Karton mit dem von der Gestapo beschlagna­hmten Nachlass der Schriftste­llerin wurde 1945 von Sowjetsold­aten im Reichsiche­rheitshaup­tamt geborgen und 1957 der DDR übergeben.

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