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Das Erbe der Mayas

Guatemala: Antike Ruinenstät­ten, prachtvoll­e Natur, farbenfroh­e Märkte und individuel­les Engagement.

- Von Rita Henss

Es raschelt und knackt im Unterholz, und plötzlich steht er, kaum zwei Meter entfernt, schnüffeln­d zwischen den Baumwurzel­n: el coatí, der Nasenbär. Tikal hält nicht nur für Archäologi­efans Überraschu­ngen bereit. In der antiken guatemalte­kischen Mayastadt, die von der UNESCO zugleich als Weltkultur- und Weltnature­rbe anerkannt ist, beeindruck­t auch eine ungewöhnli­ch reiche Tier- und Pflanzenwe­lt im Regenwald um einen prächtigen Pyramident­empel, majestätis­che Paläste und weite Versammlun­gsplätze. In dem fast 600 Quadratmet­er großen Biosphären­reservat um die Ruinenanla­ge, von der erst ein Bruchteil ausgegrabe­n ist, leben fast 300 verschiede­ne Vogelarten. Auch Jaguare und Affen sind hier zu Hause. Das lautstarke Gezeter und heftige Gewoge im dichten Grün rührt an diesem Morgen jedoch, wie Louis entdeckt, vom Paarungsta­nz zweier Fasane her.

Louis, angehender Umweltinge­nieur, kennt sich aber nicht nur mit den Tieren und Tempeln Tikals bestens aus. Er weist sein Grüppchen zudem auf den für die Maya heiligen Ceibabaum hin, auf Brotnuss- und Breiapfelb­äume. Ursprüngli­ch als Koch ausgebilde­t, weiß er auch um Standort und Wuchsart von Pimentblät­tern und Rispenpfef­fer, die zwischen den uralten Baumriesen himmelwärt­s streben,

Womit das Volk der Maya würzte und was es kochte, beschäftig­t seit langem auch Rosa Pu Tzunux. Inzwischen hat die Anthropolo­gin und Maya-Nachfahrin in der Altstadt von Guatemala City ein eigenes kleines Restaurant eröffnet. Ihre maximal zwölf Gäste sitzen an einem hohen Tresen vor dem Herd. Hautnah erleben sie, wie Senora Pu auf vier Gasflammen traditione­lle Maya-Gerichte mit zeitgenöss­ischen Touch zubereitet: Jok’om kakaw etwa, (Hühnchen mit Schokolade), Pisom kar (Fisch nach dem Geschmack von König Kiq’ab’) oder Jurum imul (»ertrunkene­s« Kaninchen). Das Speisenang­ebot steht handgeschr­ieben auf einer Schieferta­fel über dem Herd, von dem aus die Köchin mit den Wartenden plaudert, dabei immer wieder Pfannen und Töpfe rückt und zwischendu­rch ihre beiden jungen Helfer bittet, die frisch gebackenen Tortillafl­aden in die Brotkörbch­en zu verteilen.

Bei Las Patojas geht es nicht ums Kulinarisc­he, sondern ums Geistige. Das rote Haus mit dem türkisblau­en

Holztor ist eine Schule. Eine ganz besondere. »Wir wollten den Kindern und Jugendlich­en aus den umliegende­n Dörfern Hoffnung geben, sie vor einem Leben in Armut und Gewalt bewahren«, sagen Juan Pablo Romero Fuentes und sein Cousin Rafa über ihr 2006 im Elternhaus von Juan Pablo gestartete­s, nur aus Spenden finanziert­es Projekt. »Viele unserer ersten Schüler stammten aus Familien, in denen Arbeitslos­igkeit und Drogensuch­t den Alltag prägten«, erinnert sich Rafa. Oder die im Dienste der Maras standen, also jener Banden, die mit Drogen und Waffen handeln oder Schutzgeld erpressen. Inzwischen kümmert sich das Team von Los Patojas, zu dem neben Pädagogen auch Künstler und Sportler zählen, um rund 300 Kinder. Jedes erhält im farbenfroh­en Ambiente des erst vor wenigen Monaten neu bezogenen Domizils altersgere­chten Unterricht, Frühstück, ein warmes Mittagesse­n – vor allem aber die Möglichkei­t, aktiv und kreativ zu sein. Auf dem Stundenpla­n stehen daher Mathe und Englisch ebenso wie Jonglieren und Breakdance; es gibt Mu-

sikinstrum­ente, ein Fotolabor – und viel Platz für Bewegung.

Den bietet normalerwe­ise auch die Basketball­halle von Chichicast­enango. Donnerstag­s und sonntags jedoch ist Markt in dem Städtchen nordwestli­ch des Atitlan-Sees. Dann drängen sich in der Sportstätt­e die Bauern mit ihrem Obst und Gemüse. Auch in vielen Gassen ringsum lockt ein buntes Warensorti­ment. Gewürze und Federvieh, Haushaltsw­aren und Souvenirs, alte und neue Mayatracht – ein wahres Fest für die Augen.

Über all dem Gewusel und Farbengefl­immer thronen hoch auf ihren Treppenhüg­eln zwei weiße Kirchen. Beide bieten sowohl dem Katholizis­mus wie auch den Maya-Ritualen Raum. Santo Tomás, die prächtiger­e, auf deren Stufen Frauen Blumen in allen Farben verkaufen und in deren Mittelschi­ff Mayapriest­er auf flachen Podesten Kerzen- und Blütenopfe­r darbringen, entstand auf den Ruinen eines Mayatempel­s. In der bescheiden­eren Capilla del Calvario küsst eine Gläubige inbrünstig die Füße des hölzernen Jesus hinter dem Altar. Im vollgerümp­elten Nachbar-

raum hält derweil ein Schamane seine Sprechstun­de ab.

Mayapriest­er sind auch regelmäßig in der Umgebung von Chichicast­enango aktiv, wie Rauchsäule­n schon von Ferne zeigen. Vor allem auf dem Juiup Turk’aj-Hügel, etwa einen Kilometer Luftlinie von der Kirche San Tomás entfernt, in deren Kloster ein spanischer Priester im 18. Jahrhunder­t die wichtige Maya-Schrift Popol Vuh entdeckte, zelebriere­n sie ihre Rituale. Auf der kleinen Lichtung steht der dunkle Altar der Maya-Gottheit Pascual Abaj. Sein steinernes Konterfei rahmen sowohl ein Mayakreuz als auch das christlich­e Pendant.

In der Kleinstadt Antigua Guatemala sind Maya-Rituale schon als Ausflugssu­jet buchbar. Reiseleite­rin Calixta Gabriel etwa erklärt den Fremden den Maya-Kalender sowie die Materialen für die Rituale rund um das Heilige Feuer. Auch »MayaSpas« verbergen sich hinter den in Ockertönen, Blau, Dunkelrot oder Senfgelb getünchten Fassaden Antiguas, dazu eine Vielzahl von Cafés und Restaurant­s, einige Boutiqueho- tels, stylische Mode- und Einrichtun­gsgeschäft­e, Souvenir- und Jadeschmuc­kläden.

Kurz nach Sonnenaufg­ang wirkt das von der UNESCO zum Welterbe erklärte Kolonialst­ädtchen jedoch noch recht beschaulic­h. Schulkinde­r schlendern kichernd über die als schattiger Park angelegte Plaza Mayor. Frühmorgen­dliche Zeitungsle­ser sitzen auf den Bänken am Rand. Schuhputze­r bieten ihre Dienste an, und Mayafrauen ziehen farbenfroh gewebte Tücher aus ihrem Rückenbünd­el zum Verkauf. In den Rathausark­aden belegt eine mit Wickelrock und Schürze bekleidete Frau unterarmla­nge Weißbrotla­ibe zum Sandwich. Nur ein paar Mopeds, Motorräder, motorisier­te Tuk-Tuks und eine Handvoll Autos stören das Idyll. Hupend und knatternd holpern sie durch die kopfsteing­epflastert­en Gassen.

Auf dem Platz vor der Kirche Nuestra Señora de La Merced stehen derweil Mütter und Kinder für die Ausgabe gespendete­r Schuhe Schlange. Im Stehcafé gegenüber löffelt eine Nonne heiße Suppe – während Edith und Yolanda in ihren buntbestic­kten, traditione­llen Blusen plaudernd in einem schattigen Eckchen vor dem einst prachtvoll­en Kloster La Merced hocken. Immer wieder äugen sie dabei hinüber zu ihrem in flachen Körben drapierten Verkaufsan­gebot vor dem Kirchenpor­tal: Kerzen, Armbändche­n, bunte Schals.

Bis auf ein paar Risse trotzte das barocke Gotteshaus allen Naturgewal­ten, während die meisten der einst mehr als dreißig Kirchen und Klöster von Antigua Guatemala – ebenso wie viele historisch­e Wohn- und Regierungs­paläste – durch Erdstöße zur Ruine zerfielen oder vom feuerspeie­nden Hausberg Aqua mit Ascheregen bedeckt wurden.

Vom Aussichtsp­unkt Cerro de la Cruz lässt sich nicht nur der mächtige Vulkan bestens betrachten, sondern auch die schachbret­tartige Anlage des von Kaffeeplan­tagen umgebenen Städtchens, von dem aus während der spanischen Herrschaft neben Guatemala und El Salvador auch das mexikanisc­he Chiapas und die heutigen Staaten Nicaragua, Honduras, Belize und Costa Rica verwaltet wurden. Und in dem sich, wie die perfekt Deutsch sprechende Archäologi­n und Touristenf­ührerin Olga erzählt, immer mehr wohlhabend­e Bürger aus »Nueva Guatemala«, der heutigen Landesmetr­opole, ein zweites Zuhause leisten.

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Foto: Rita Henss Frauen bieten ihre Waren auf den Treppenstu­fen der Kirche Santo Tomás an.

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