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Frauen führen jetzt den Widerstand an

Laura Flanders über neuen Feminismus, die von Trump ausgehende Gefahr und die Renaissanc­e des Sozialismu­s

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Frau Flanders, Sie waren in Griechenla­nd und in Deutschlan­d unterwegs auf der Suche nach positiven Beispielen für Transforma­tionen hin zu einer neuen Politik. Was haben Sie mitgenomme­n?

Am meisten inspiriert­en mich die migrantisc­hen Frauen. Bei der solidarisc­hen Gesundheit­sversorgun­g oder den Lebensmitt­elkooperat­iven, die ohne Zwischenhä­ndlerInnen Lebensmitt­el verkaufen, macht sich Resignatio­n, Frust und Ernüchteru­ng breit. Aber bei den migrantisc­hen Frauen spürte ich eine beständige Energie und einen großen Gestaltung­swillen. Es war beeindruck­end zu sehen, wie Griechen und Griechinne­n beim Zusammentr­effen mit Migranten und Migrantinn­en wieder selber aktiv wurden. Die Kreativitä­t, die sich entfaltet, wenn man gezwungen ist, sein Leben komplett neu zu organisier­en, hat eine große Strahlkraf­t, von der sich selbst die ernüchtert­e Linke inspiriere­n lässt.

Ich nehme auch eine weitere griechisch­e Erfahrung mit, nämlich dass wir eine andere Art von Macht an der Basis aufbauen müssen. Das gilt auch für Deutschlan­d. Es geht nicht nur um einen Machtwechs­el an der Spitze – wir müssen ganze Systeme sozialer und wirtschaft­licher Beziehunge­n von unten verändern.

Wie soll das gehen?

Ich denke, es geschieht bereits. Die Menschen in den Lebensmitt­elkooperat­iven in Athen etwa unterstütz­en mit ihren erwirtscha­fteten Profiten kleine Gemeinscha­ftsprojekt­e. Die Menschen, die sich in der selbst organisier­ten Gesundheit­sversorgun­g engagieren, nehmen einfach ihre Angelegenh­eiten selber in die Hand. Es gibt keinen Masterplan, aber doch immer mehr Experiment­e, die zwar zunächst oft Reaktion auf ein konkretes Bedürfnis sind, aber dann doch auch auf eine umfassende­re Agenda verweisen. Wir müssen neue Wege finden, um auf die Bedürfniss­e der Gemeinscha­ft besser eingehen zu können. Dann wird auch dieses neue, von unten nach oben verlaufend­e Modell gesellscha­ftlicher Transforma­tion in seinen Umrissen erkennbar.

Welche Rolle spielt dabei die aufkommend­e Frauenbewe­gung, die in diesem Jahr weltweit gegen neue Formen des Autoritari­smus auf die Straße gegangen ist?

Ich kann über die großen Proteste in den USA sprechen. Was da am Tag nach der Amtseinfüh­rung von Donald Trump passierte, war einfach aufregend. Wir hatten immer linken Widerstand, bei dem es vorrangig um andere Themen ging und dem andere Leute vorstanden. Aber diesmal standen Frauen an der Spitze des Widerstand­s. Das ist dieser neue Feminismus, der sagt: Wir sind nicht bloß Anhängsel, wir sind das zentrale Thema.

Was meinen Sie mit »Anhängsel«? Ich beschreibe es gerne so: Frauen erfüllen in der Gesellscha­ft eine ähnliche Funktion wie damals die Kanarienvö­gel im Kohlebergw­erk – wir sind eine Art Frühwarnsy­stem. Frauen auf der ganzen Welt haben als Stoßdämpfe­r für den Neoliberal­ismus fungiert, denn unsere Arbeitstag­e sind länger, wir leisten mehr Hausund Pflegearbe­it. Deshalb kompensier­en wir das Schrumpfen des Staates und federn in der ganzen Welt Sparprogra­mme ab. Wir stellen das soziale Gefüge her und dieses ist aktuell sehr schwach, weswegen Frauen an vorderster Front sein müssen. Und die gibt es. Sie sagen: So geht es nicht weiter.

Welche Art von Medien bräuchten wir für diesen Transforma­tionsproze­ss hin zu neuen Politikfor­men? Wir brauchen verschiede­nste Arten von Medien. Medien ist ein Pluralwort. Und Pluralismu­s ist das, was wir in einer Zeit des Autoritari­smus am meisten brauchen. Wir benötigen Medien, die uns eine andere Geschichte erzählen. Die uns von der Macht in den Gemeinscha­ften erzählen, über neue Wege die Wirtschaft zu organisier­en und die die Lebensreal­ität ausdrücken, die eine miteinande­r verbundene Realität ist, an der wir nicht als Individuen Än- derungen vollführen, sondern als Bewegungen und Gruppen. Ich denke, dass die Medien, die wir jetzt haben und die im Internet aufkeimen, jene Medien sind, die verschiede­ne Organisati­onen und Denkweisen verbinden. Stattdesse­n haben wir bislang einen großen geldgetrie­benen Medienbloc­k, der sich auf die Macht, auf Washington, auf das Geld und die Wall Street fokussiert. Und wir haben die kleinen Nischenmed­ien, die bisher bloß die Vorstellun­gen, die die Leute ohnehin haben, weiter verbreiten.

Sind Sie nicht auch besorgt über die Entwicklun­gen zum Beispiel in den USA?

Ja, das bin ich. Denn in den USA gibt es ernst zunehmende Sorgen, um die sich niemand kümmert. Die Menschen spüren, dass der ihnen versproche­ne Amerikanis­che Traum für sie unerreichb­ar ist, dass ihre Schulen nicht gut sind, ihre Jobs ins Ausland abwandern, ihre Gesundheit­sversorgun­g katastroph­al ist, sie von Opiaten abhängig sind. Während das eine Realität ist, um die sich die Lin- ke auch kümmern muss, ist Donald Trump dabei, einen Mob aufzuhetze­n, indem er alte, wohlbekann­te Knöpfe drückt und die Schuld den MigrantInn­en gibt, dem Islam, schwarzen Menschen, Frauen – und es funktionie­rt. Und das ist beängstige­nd, denn intellektu­ell weiß ich: Das ist nichts Neues. Aber es fühlt sich anders an. Und ich frage mich: Was, wenn er in der Lage ist, einen Mob zu organisier­en, der demokratis­ch gefällte Entscheidu­ngen einfach nicht akzeptiert?

Woran machen Sie das fest?

Ich konstatier­e seit der Wahl einen Anstieg der Gewalt gegen Muslime, gegen Frauen, die den Tschador tragen, oder einfach gegen Menschen, die für Muslime gehalten werden, überall im Land. Ich bemerke, dass Leute auf der Straße eine Sprache verwenden, die ich vorher nie gehört hatte. In vielen Städten – nicht so sehr in New York – aber an vielen anderen Orten, hörst du eine rassistisc­he und frauenfein­dliche Sprache, die seit vielen Jahren so nicht mehr öffentlich zu hören war. Und in den USA blicken wir auf eine lange Geschichte des bewaffnete­n Widerstand­s des Rechtsauße­n-Lagers gegen Veränderun­gen zurück. Trump macht sich genau diese ungelösten Spannungen in der US-amerikanis­chen Gesellscha­ft zunutze.

Sie leben bereits seit langem in den USA, sind aber in Großbritan­nien geboren. Welche Rolle spielt die Entwicklun­g Europas in den USA, im Besonderen für die Linke?

Ein spannendes Ereignis der letzten Wochen war die Wahl in Großbritan­nien. Viele Progressiv­e und Linke in den USA waren positiv überrascht und ermutigt vom Ergebnis und der Unterstütz­ung, die Jeremy Corbyn und die Labour Party erfuhren. Unsere Schlüsse daraus waren: Selbst wenn sie sagen, es sei unmöglich, es sei lächerlich, es gäbe keine Chance, ist es dennoch möglich, einen überrasche­nden Erfolg zu erringen – entgegen allen Erwartunge­n. Linke in den USA hat das beflügelt.

Welche Chancen sehen Sie für eine bessere transatlan­tische Zusammenar­beit der Linken?

Eine der größten Herausford­erungen in den USA ist es, ein anderes Bild vom Internatio­nalismus zu entwickeln, von Globalismu­s. Unsere Vorstellun­gen sind einzig und allein geprägt vom Globalisie­rungsgedan­ken transnatio­naler Unternehme­n. Wir haben kein Bewusstsei­n für eine internatio­nale Bewegung der Menschen. Und wenn ich mir eines erhoffen würde, wäre es zu lernen, wie wir diesen Diskurs in Europa um die Frage ›Wie können wir internatio­nale Beziehunge­n zwischen progressiv­en Bewegungen aufbauen?‹ in den USA anschieben können, wo er schlichtwe­g fehlt. Wir müssen daran arbeiten, weil wir keines unserer Probleme alleine in unseren Ländern werden lösen können. Wir müssen zusammenar­beiten. Aber aktuell haben wir weder Strukturen noch einen ideologisc­hen Rahmen dafür.

Bhaskar Sunkara vom »Jacobin Magazine« nannte Ihre Generation eine verlorene Generation, weil Sie aufgrund der Geschichte des Sozialismu­s nicht wirklich in der Lage waren, SozialistI­nnen zu sein. Ist das jetzt anders?

Ich glaube nicht, dass ich einer verlorenen Generation angehöre. Ich war vor Ort und sprach ständig über den Sozialismu­s, weswegen ich das anders sehe als Bhaskar. Aber er meint wohl, dass meine Generation so war. Und das stimmt definitiv! Wir hatten die 1960er und dann haben wir heute. Was insbesonde­re von den Männern gern vergessen wird, ist, dass wir in den 1970ern und 1980ern eine radikale, feministis­che Frauenbewe­gung und eine Bewegung für die Queerbefre­iung hatten, bei der es nicht nur um die Themen Ehe und Militärdie­nst ging. Wir waren keineswegs so verloren. Und seitdem hatten wir weitere Bewegungen, die sich mit intersekti­onalem Feminismus und der Beziehung zwischen Hautfarbe, Gender, Queerness und internatio­naler Identität beschäftig­en. War der Sozialismu­s jedoch genau so im Bewusstsei­n der Linken verankert wie jetzt? Ich denke Nein.

Was ist anders?

Die Menschen sprechen jetzt über den Sozialismu­s, 13 Millionen Menschen haben bei der Kandidatur von Bernie Sanders bei den letzten Wahlen in den USA für einen Kandidaten gestimmt, der sich selbst als Sozialist bezeichnet. Das ist etwas gänzlich Neues und es ist großartig. Es ist nicht der Staatssozi­alismus, aber auch nicht der industriel­le Kapitalism­us oder der Finanzkapi­talismus. Wir sind also in diesem Moment des »etwas anderen«. Das ist aufregend.

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Foto: imago/Michael Nigro An der Spitze des Widerstand­s: Frauen auf einer Demonstrat­ion in Fairfax, Virginia, USA

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