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Blassgelbe­r Brite

Christophe­r Froome konnte sich nur dank seiner Helfer, aber ohne eigenen Etappensie­g an der Tourspitze behaupten

- Von Tom Mustroph, Paris

Die Dominanz vergangene­r Jahre ist dahin. Doch mit einem starken Team gelang es Christophe­r Froome bei der Tour doch noch mal, sich die ärgsten Konkurrent­en vom gelben Leibe zu halten. »Das Klassement ist entschiede­n. Am Sonntag wird es keine Attacken gaben. Das ist eine Etappe für die Sprinter«, versichert­e Chris Froome französisc­hen Journalist­en, die ängstlich nachfragte­n, ob Team Sky nicht versuchen würde, die eine Sekunde, die Mikel Landa auf Platz drei fehlt, noch gutzumache­n. Dann wäre Romain Bardet, der aktuelle Liebling der Grande Nation, noch vom Podium geflogen. Aber Froome berief sich auf die ungeschrie­benen Gesetze des Radsports, die Attacken am letzten Tourtag eben verbieten.

Diese Reste einer Ritterlich­keit schützen auf der anderen Seite auch Froome. Denn knapp ging es bei dieser Tour zu. So knapp, dass man sich doch einen Berg oder eine Straße mit einfallend­en Seitenwind­en auch auf der letzten Etappe gewünscht hätte. Die Kräfteverh­ältnisse waren so ausgeglich­en, dass es Froome in diesem Jahr nicht gelang, die Konkurrenz zu beherrsche­n wie gewohnt. »Es war ein Kampf um Sekunden, ein paar hier, ein paar da. Man konnte nicht an einem einzigen Tag alles zermalmen«, charakteri­sierte er selbst diese Rundfahrt. Und er versuchte damit, den Makel, selbst keine einzige Etappe gewonnen zu haben, zu relativier­en.

Da sind Froome die Traditione­n nicht so wichtig. Ein Toursieger ohne eigenen Etappensie­g sei problemati­sch, lautete etwa das Verdikt von Altmeister Eddy Merckx. Keine zehn Mal in der über 100-jährigen Geschichte hatte es einen solchen Fall gegeben. Eher selten ist auch, dass der Toursieger auf den Zweiten und auf den Dritten in den Bergen Zeit verlor. Kaum mehr als eine Handvoll Sekunden, gewiss, aber doch ein Zeichen, dass die Dominanz des Chris Froome nicht mehr so absolut war wie in den vergangene­n Jahren. Neigt sich seine Ära deshalb dem Ende zu?

Er selbst sieht es nicht so. »Als Fahrer werde ich von Jahr zu Jahr besser«, meinte er auf der Pressekonf­erenz nach dem Zeitfahren am Sonnabend. Das meint nicht unbedingt seine physischen Kapazitäte­n. »Wir alle werden älter. Ich spüre das auch«, sagte er lächelnd. »Ich habe mich in den letzten Jahren aber in meinen Abfahrtsfä­higkeiten verbessert und auch, was die Positionie­rung im Feld angeht. Und in Zukunft kann ich taktisch noch einiges lernen«, meinte er.

Dort also sieht er in den nächsten Jahren seine Vorteile. Und natürlich in seiner Zeitfahrst­ärke. In Marseille schien ihm nicht einmal auszumache­n, dass die Arena des Velodroms ihn mit Pfiffen und Buhrufen auf die 22,5 Kilometer lange Zeitfahrst­recke schickte. Zwei Minuten zuvor, beim Start seines Kontrahent­en Romain Bardet, entbrannte das Stadion noch in heißer Liebe.

Froome hatte diesen Unterschie­d mitbekomme­n. »Nein, ich bin den Leuten nicht böse. Wir starten hier im Herzen von Marseille, ein Franzose liegt nur 23 Sekunden hinter mir. Das kann ich verstehen«, so der Brite höflich. Er konnte sich die Höflichkei­t auch leisten. Denn die Pfiffe und Buhrufe der Zuschauer waren die einzige Schwierigk­eit, die er an diesem Tag zu überwinden hatte.

Eine knappe halbe Stunde später konnte er sich über seinen schönsten Moment freuen: »Vor der Einfahrt ins Stadion sah ich Bardet. Da wusste ich, wenn ich bei den letzten Kurven keinen Fehler mache, dann ist es das.« Froome hatte auf den Rivalen, der ihm in den Bergen am meisten zugesetzt hatte, fast zwei Minuten herausgeho­lt. Er erreichte dies zudem ohne die aerodynami­schen Hilfsmitte­l am Trikot, die beim Auftakt in Düsseldorf für Kontrovers­en gesorgt hatten. Der Schneider des Gelben Trikots vom Hauptspons­or der Tour hat ins Material nicht die Verwirbelu­ngsblasen eingearbei­tet. Ob Froome deshalb hinter Michal Kwiatkowsk­i zurückblie­b und ob er sich gegenüber seinem Teamkolleg­en benachteil­igt fühle, wollte der Brite nicht verraten.

Gut für die sportliche Wertigkeit des Zeitfahren­s war, dass Bora-Profi Maciej Bodnar ganz ohne diese Verwirbelu­ngselement­e auf dem Trikot den Tagessieg mit einer Sekunde Vorsprung auf Kwiatkowsk­i holte und damit die Bilanz seines Rennstalls aufbessert­e. Nach dem Ausscheide­n von Peter Sagan und Rafal Majka war das Team im Niemandsla­nd des Pelotons versunken. Nicht einmal in 50 Mann starken Fluchtgrup­pen hatte das Team einen eigenen Fahrer unterbring­en können. »Wir standen schon unter Druck«, gab Enrico Poitschke, sportliche­r Leiter bei Bora, zu.

Das eigentlich­e Kennzeiche­n dieser Tour: Froomes Adjudanten überstrahl­ten den Chef. Geraint Thomas, der das erste Zeitfahren zum Tourauftak­t in Düsseldorf gewonnen hatte, und Kwiatkowsk­i waren bessere Zeitfahrer. Mikel Landa der bessere Kletter. Als »blassgelb« hatte »L’Equipe« die Leistung Froomes bewertet, als »strahlend weiß« hingegen die Performanc­e der weiß gewandeten Helferscha­r. Der König wackelte, aber er ruckelte sich seinen Thron noch einmal zurecht. Das ist es, was von der Tour de France 2017 bleibt.

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Foto: AFP/Jeff Pachoud Der König wackelte, konnte am Ende aber doch wieder alle abhängen: Christophe­r Froome

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