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Wohlstand heißt nicht nur Geld

Der britische Ökonom Tim Jackson über das absehbare Ende des Wachstumsm­odells und die Degrowth-Bewegung

- Foto: Susanne Schwarz

Herr Jackson, seit dem viel beachteten »Stern-Report« von 2006 dominiert ein Gedanke die Klimaschut­zdebatte: dass man durch Einsatz der richtigen Technologi­en Menschheit und Planeten vor dem Klimawande­l retten kann und die Weltwirtsc­haft weiter wächst. Sie werben stattdesse­n für eine Abkehr vom Wachstum. Sind die anderen Studien schlicht falsch?

Sie sind nur in gewisser Weise falsch. Ich bin nicht dagegen, die Notwendigk­eit oder das theoretisc­he Potenzial der Entkopplun­g von Wachstum und Treibhausg­asemission­en zu benennen. Ich bin auch nicht gegen neue Technologi­en. Wissen Sie, meine eigene Arbeit hat vor 30 Jahren genau an diesem Punkt angefangen: Ich erkannte, dass es Technologi­en gibt, die unsere Einwirkung auf den Planeten stark mindern können. Irgendwann sah ich mich um und dachte: Warum setzen sie sich aber nicht oder zumindest nicht in ausreichen­dem Maße durch? Diese Problemati­k fehlt in jenen Studien, wenn sie sonst auch richtig sind.

Sie plädieren nicht für Wachstum, aber für mehr Wohlstand. Was meinen Sie damit?

Es geht mir darum, Wohlstand anders zu fassen, als das die meisten Ökonomen tun. Ich habe Personen auf der Straße gefragt, was sie für Wohlstand halten, ich habe mit Philosophe­n, Psychologe­n, Künstlern und Schriftste­llern gesprochen. Und es kam Erstaunlic­hes heraus: All diese Gruppen sehen Wohlstand nicht nur in Geld und Einkommen, sondern als sehr weit gefasstes Konzept. Wohlstand hat mit Identität zu tun, mit gutem Zusammenle­ben, mit der Gesundheit unserer Familien, mit Teilhabe an der Gesellscha­ft. Man könnte vielleicht sagen: Wohlstand ist die Fähigkeit, als Mensch zu erblühen. Wir sind kulturell darauf getrimmt, dass man zufriedene­r wird, wenn man immer mehr hat – das ist aber eine Täuschung. Es geht um mehr Spaß mit weniger Zeug.

Es gibt Menschen auf der Welt, die können nicht noch »weniger Zeug« haben. Sollen auch Entwicklun­gsländer nicht mehr wachsen? Natürlich kann man es den Ärmsten auf der Welt nicht verbieten, ein besseres Leben aufzubauen! Wenn man die Pro-Kopf-Einkommen von unter 5000 US-Dollar auf, sagen wir, 15 000 Dollar erhöhen könnte, hätte das enormen sozialen Fortschrit­t zur Folge: Es würde die Lebenserwa­rtung erhöhen, die Kinderster­blichkeit stark senken, den Zugang zu Bildung erleichter­n – man könnte all die Dinge erreichen, die wirklich wichtig sind. Da bringt Wirtschaft­swachstum also wirklich noch etwas.

Ich war aber übrigens überrascht, dass auch in Entwicklun­gsländern einige meine Ideen aufgegriff­en haben. Es herrscht vielerorts der Wille, nicht so zu werden wie der Westen und deshalb gerade nicht auf ein Wirtschaft­smodell zu setzen, das ohne Wachstum gar nicht auskommt.

Und wie kommen wir im Westen auf den rechten Pfad?

Besonders in der neuen Ausgabe von »Wohlstand ohne Wachstum« habe ich Kernbereic­he ausgelotet, in denen wir umdenken müssen: Unternehme­n, Arbeit, Investitio­nen und Geld. Diese Konzepte sind korrumpier­t worden, sie wirken im herrschend­en Wirtschaft­ssystem nahezu toxisch. Unternehme­n dienen der Profitmaxi­mierung, Arbeit ist Lohnsklave­rei, Investitio­nen sind Glücksspie­le, Geld ist Macht. Wir brauchen eine Umdeutung: Unternehme­n sollten wieder dem Menschen dienen, Arbeit sollte Teilhabe an der Gesellscha­ft bedeuten, Investitio­nen ein Engagement für die Zukunft und Geld ein öffentlich­es Gut sein.

Wie kann sich diese Umdeutung in realen Veränderun­gen niederschl­agen? Man braucht die veränderte Denkweise, um die richtigen Fragen zu stellen: Welche perversen Anreize führen momentan dazu, dass beispielsw­eise Unternehme­n in erster Linie nach Profit streben?

Können Sie ein Beispiel nennen? Die aktuelle Lohnpoliti­k ist etwas, das einer fairen Wirtschaft­sweise im Weg steht. Maßstab ist im Normalfall die Arbeitspro­duktivität. Das führt zu einer Jagd danach, die Effizienz zu erhöhen, um den Profit zu steigern. Das ist schlecht für die Umwelt, es drängt den arbeitende­n Menschen aus dem Mittelpunk­t und funktionie­rt außerdem in bestimmten Bereichen überhaupt nicht. Sorgearbei­t, Bildung, Kunst und echtes Handwerk erfordern einfach Zeit. Diese Sektoren leiden unter dem falschen Anreiz, mehr in weniger Zeit schaffen zu müssen.

Und was kann man dem entgegense­tzen?

Wenn wir bei der Lohnpoliti­k bleiben: Statt der Produktivi­tät sollte die Zeit honoriert werden, die jemand in seine Arbeit gesteckt hat. Im Allgemeine­n müssen wir anerkennen, dass wir durch unsere Politik – Steuern, Gesetze, Gesetzeslü­cken – auch jetzt schon systematis­ch Dinge fördern und andere untergrabe­n. Eine ganz einfache Weisheit: das Schlechte besteuern, nicht das Gute! Die Subvention­en für fossile Energiegew­innung etwa müssen einfach gestrichen werden, das ist keine Frage.

Gerade erst haben die Staatenlen­ker der G20 bei ihrem Treffen in Hamburg einen »Aktionspla­n zu

Eine Zukunft ohne Wirtschaft­swachstum ist möglich und unabdingba­r, um die Klimakatas­trophe zu verhindern, meint Tim Jackson (Jg. 1957), Professor an der Universitä­t Surrey und Leiter des interdiszi­plinären Forschungs­zentrums für nachhaltig­en Wohlstand. Ein schlechter­es Leben müsse das aber nicht bedeuten. Jacksons Buch »Wohlstand ohne Wachstum« von 2009 gilt als Standardwe­rk der Umweltökon­omie. Jetzt hat er das Werk in aktualisie­rter Form neu aufgelegt. Mit dem Ökonomen sprach Susanne Schwarz. Klima und Energie für Wachstum« veröffentl­icht.

Wenn das nicht vielverspr­echend klingt!

Und als der Industriel­änderclub OECD im Mai eine Studie vorstellte, laut der Klimaschut­z und Wachstum zusammenge­hen können, gab es viel Applaus, weil dies als Abkehr vom kompletten Ausbremsen des Klimaschut­zes interpreti­ert wurde. Ist Postwachst­um im aktuellen politische­n Klima wahrschein­lich?

Es ist sehr wahrschein­lich, dass das Wirtschaft­swachstum aufhört. Schon jetzt fällt es in Industriel­ändern äußerst gering aus. Für oder gegen Postwachst­um wird man sich also letztlich gar nicht entscheide­n müssen. Die Frage lautet eher: Werden Menschen, Unternehme­n und Politik auf diese andere Welt vorbereite­t sein?

Ich bin ja nicht dagegen, dass sich Staaten auf gemeinsame Ziele einigen und Erklärunge­n abgeben wie nun die G20. Aber zu sagen, dass wir eine Klimakatas­trophe abwenden und wirtschaft­lich weiter so wachsen können, wie wir es kennen, ist ein Fehler. Es ist nachvollzi­ehbar, aber blendet uns und hält uns davon ab, Lösungen für die Zukunft zu finden. Wir graben uns selbst ein großes Loch, in das wir tief fallen werden.

Was hat Sie eigentlich bewogen, »Wohlstand ohne Wachstum« aktualisie­rt zu veröffentl­ichen?

Seit 2009 hat sich einiges verändert. Wir haben zum Beispiel ein viel besseres Verständni­s der Weltwirtsc­haftskrise ab 2007. Der Duktus im Politikbet­rieb ist durchaus ein anderer geworden. Anfang 2007, als Gordon Brown (der spätere Labour-Premiermin­ister, d. Red.) Schatzkanz­ler war, sprach ich mit Mitarbeite­rn des britischen Finanzmini­steriums, die mir erklärten, dass wir gerade die längste Konjunktur­phase in 200 Jahren erleben und dass man jetzt wisse, wie so etwas funktionie­rt. Sie glaubten, sie hätten alles fest im Griff. Natürlich hatten sie nichts im Griff und fuhren das System mitten in die Krise. Heute wird auch immer deutlicher, dass die Weltwirtsc­haftskrise nicht nur durch finanziell­e Verantwort­ungslosigk­eit einzelner kam, sondern dass sie auch Teil eines Trends war – dass es also unwahr- scheinlich ist, dass die Weltwirtsc­haft unendlich weiterwach­sen kann. Mich hat aber auch angetriebe­n, dass es mittlerwei­le eine überwältig­ende Zahl von Menschen gibt, die das herrschend­e Wirtschaft­smodell in Frage stellen.

Sie meinen die Degrowth-Bewegung?

Genau, die Stimme dieser Menschen ist lauter und deutlicher vernehmbar geworden. Es geht ihnen nicht nur um die Stimme, sondern auch um Aktion, um Wandel. Ich wurde von vielen Seiten mit der Bitte um ein neues Buch sozusagen bombardier­t, denn viele sind auf der Suche nach einem konzeptuel­len Rahmen für ihr gemeinnütz­iges Unternehme­n, ihre Bürgerener­giegenosse­nschaft, ihr Reparatur-Café oder ihre Leihplattf­orm. Es gibt so eine Fülle an interessan­ten Initiative­n, die die Postwachst­umsidee umsetzen wollen. Diese Projekte haben etliche Leute durch die schwierige­n Jahre der Krise begleitet. Ich bin nicht so naiv anzunehmen, dass Postwachst­um damit ein Selbstläuf­er wird, aber die Vision wird so anschaulic­her und bedeutsame­r.

Bekommen Sie auch mehr Zuspruch von Ihren Kollegen aus der Wirtschaft­swissensch­aft? Akademiker sind in der Regel nicht wahnsinnig gut darin, sich gegenseiti­g zu loben. Es sind aber meine Kollegen, die meine Forschungs­arbeiten und -anträge lesen und bewerten. Ihre Integrität dabei hat es mir erlaubt, mein Forschungs­zentrum für nachhaltig­en Wohlstand zu finanziere­n – im derzeitige­n politische­n Klima finde ich das bemerkensw­ert.

Aber hat sich auch der Diskurs gewandelt?

Ja, das glaube ich schon. Das liegt nicht nur an der eigentlich­en Forschung, sondern auch an der aufstreben­den Degrowth-Bewegung und den wirtschaft­lichen Herausford­erungen, vor denen viele stehen. Es haben sich im vergangene­n Jahrzehnt neue Räume entwickelt, die es möglich machen, die schwierige­n Fragen zu stellen.

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum – Das Update. Grundlagen für eine zukunftsfä­hige Wirtschaft, oekom Verlag, München 2017, 368 S., Klappenbro­schur, 19,95 Euro.

 ?? Foto: akg-Images ?? In der jetzigen Wirtschaft­sweise dreht sich, wie Tim Jackson kritisiert, alles um die Steigerung der Arbeitspro­duktivität – der Mensch bleibt auf der Strecke.
Foto: akg-Images In der jetzigen Wirtschaft­sweise dreht sich, wie Tim Jackson kritisiert, alles um die Steigerung der Arbeitspro­duktivität – der Mensch bleibt auf der Strecke.
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